SOCIUS.Blog

Autor: Simon Mohn

Jüngst hat sich die Sozialpsychologie mit bestimmten Einstellungs- und Haltungsfragen beschäftigt, die bisher eher dem Bereich der Religionen oder philosophischen Strömungen zugerechnet wurden. Konkret geht es um das Begriffspaar „Freigiebigkeit und Dankbarkeit“. Durch neue Abhandlungen, die losgelöst von religiösen Kontexten veröffentlicht wurden und werden, kommen nun erstaunliche Ergebnisse zustande, die für die Organisationsentwicklung in Zeiten von Laloux’ Reinventing Organizations eine große Bedeutung entwickeln können.

Die Zukunft von Organisationen – eine Haltungsfrage?

Das Einnehmen einer Haltung von Freigiebigkeit und Dankbarkeit macht nachgewiesenermaßen nämlich nicht nur das Erleben des eigenen Lebens sehr viel schöner, es bewirkt auch in starkem Umfang eine Steigerung von Selbstwertgefühl, Urvertrauen (hilfreich in der Strategiearbeit, s. Blogartikel von Andreas Knoth), Hilfsbereitschaft, Optimismus, wertschätzendem Umgang miteinander, Resilienz, Selbstwirksamkeit, gesunder Lebensführung, Gelassenheit und weiteren, um nur ein paar zu nennen (s. zusammenfassend Emmons und Suttie & Marsh).

All das sind gute Voraussetzungen, um mit neuen Organisationsformen zu experimentieren, in denen der ganze Mensch herausgefordert und miteinbezogen wird. Der interessante Punkt für die Organisationsentwicklung ist dabei, dass sich eine solche Haltung verhältnismäßig einfach kultivieren und einnehmen lässt und zudem auch noch ansteckend ist.

Durch eigenes Experimentieren mit dieser Haltung kann ich viele oben genannten Befunde bestätigen. Ich habe tatsächlich sehr viel mehr Freude, gerade an den Tätigkeiten gefunden, die ich weniger gerne mache, fühle mich einfach durch meine veränderte Haltung sehr viel wohler und getragener, meine Ideen sprudeln und ich komme leicht in die Umsetzung. Ich bin bereiter, Unterstützung anzunehmen und habe dafür sehr viel mehr zu geben.

 

Wieso schreibe ich über dieses Thema?

Seit ich im Sommer 2017 bei SOCIUS als Trainee angefangen habe, wollte ich dem Wunsch nachgehen, meine zuvor geschriebene Masterarbeit in einen Organisationskontext zu betten und sehen, was ich an Relevantem daraus in meine Arbeit übersetzen könnte. In dieser Masterarbeit ging es um die Frage, wie es gelingt, Liebe als Haltung und Qualität in Begegnungen zu kultivieren, ja, sie in uns selbst zu verstärken.

Einer der für mich entscheidendsten Aha-Momente war es bei dieser Auseinandersetzung, dass der Ausdruck von Liebe etwas Aktives ist, und zwar, dass sie im Geben von Herzen bzw. Schenken ihren Ausdruck findet (gelesen hatte ich davon zuerst in Erich Fromms Die Kunst des Liebens von 1956). Diese Deutung hatte mich sofort fasziniert.

Während meiner Recherchen und der Bearbeitung des Themas dachte ich lange Zeit, dass wir uns einfach in Freigiebigkeit und Schenken üben müssten und sich unsere Haltung zur Welt damit allein verändern würde (Schenken können wir wohlgemerkt nicht nur Materielles, sondern auch unseren Einsatz, Aufmerksamkeit, aufbauende Worte, gemeinsame Zeit usw. usf.). Erst gegen Ende meiner Forschung stolperte ich über zwei Umstände, die ich übersehen hatte:

  1. Schenken ist nicht gleich Schenken – wir haben eine Menge Beweggründe, etwas herzugeben und viele unserer Geschenke und Gaben fallen nicht in den engeren Begriff von Geschenk, da wir sie mit bestimmten Erwartungen verknüpfen. Schenken ist in sich eine Freude und ist insofern frei von Erwartungen an den/die Beschenkte*n. Es befriedigt unser ureigenes Bedürfnis, etwas von dem zu geben, wovon wir genug zu geben haben.
  2. Freigiebigkeit steht mit Dankbarkeit in einem sich bedingenden Verhältnis – sich alleine in Freigiebigkeit zu üben ist nur eine Seite der Medaillie. Im schlechtesten Falle leben wir einen Helfer*innentypus aus, der die eigenen Bedürfnisse nicht erkennt und sich stattdessen für andere aufopfert. Eine Haltung von Freigiebigkeit entsteht parallel zum Akzeptieren unserer Einbettung in unsere Umwelt und dem dankbaren Annehmen all dessen, was uns Wertvolles wiederfährt (und Erkennen des Wertes dessen, was wir schon haben).

Im Laufe der Recherchen für diesen Artikel und für die dazugehörige Laborveranstaltung, habe ich mich insbesondere dem zweiten Punkt intensiver angenommen. Dabei ist mir das erstaunliche Potential erst klargeworden, das in einer freigiebigen und dankbaren Haltung steckt.

 

Schenken macht glücklich, wenn wir genug zu schenken haben

Sozialpsychologische Studien (s. Anik et al. 2009) haben mit Experimenten belegt, dass es uns Menschen glücklich macht, wenn wir anderen etwas schenken können, von dem wir genug zu geben haben. Einer Gruppe Proband*innen wurde Geld in die Hand gegeben, mit dem Auftrag, mit diesem Geld anderen etwas Gutes zu tun. Eine zweite Kontrollgruppe bekam das Geld mit dem Auftrag, sich selbst etwas Gutes tun. Diejenigen, die das Geld für andere einsetzten (deren Essen bezahlten, es für gemeinnützige Zwecke spendeten etc.) waren nach dem Experiment signifikant glücklicher als diejenigen, die das Geld für sich selbst eingesetzt hatten. Da das Geld zweckgebunden und zusätzlich zum eigenen Geldbeutel war, wurde die Freigiebigkeit nicht als Verlust erlebt.

In der Folge wurde einer weiteren Gruppe Proband*innen sogar vorab gesagt, dass sie das Experiment machen würden, weil es sie glücklich machen würde, Geld für andere auszugeben. Der „Altruismus-Auftrag“ war also als absoluter Selbstzweck angelegt. Das gesteigerte Glücksempfinden ließ sich von diesem Wissen allerdings nicht korrumpieren, die Proband*innen kamen gleichsam glücklicher von ihrem Auftrag zurück, weil sie es per se als schön empfunden hatten, anderen eine Freude zu machen.

Wenn wir uns also selbst glücklich machen können, indem wir anderen etwas von uns schenken (die meisten werden das intuitiv wissen, gut spürbar ist das etwa in ehrenamtlicher Tätigkeit), scheint es sinnvoll, viel von dem zu geben, wovon wir genug haben.

Was wir haben, entscheidet unser Fokus

So weit so gut. Nun ist es aber sehr gängig, dass wir uns auf das fokussieren, wovon wir nicht genug haben. Anerkennung, Status, Ehre, Reichtum, Wissen, Entwicklung, Wertschätzung, Macht, Beziehungen und all das andere wonach wir streben, rühren meist aus dem Gefühl, nicht genug davon zu haben. Wenn wir mit dieser Brille etwas genauer hinschauen, werden wir das Streben aus einem Gefühl heraus, nicht genug zu haben sowohl in unserem Verhalten leicht entdecken, wie auch im Verhalten anderer. Dass dieses Spiel genauso im Arbeitskontext vorkommt, liegt auf der Hand.

Frederick (Fritz) Perls, Begründer der Gestalttherapie, hat dazu eine sehr wichtige Bemerkung gemacht:

Perls schrieb, dass unser Hunger nach etwas, wovon wir meinen, nicht genug zu haben, niemals mit dem Objekt unser Begierde selbst gestillt werden kann. Wer nach Anerkennung strebt, wird trotz höchster Anerkennung nie genug davon haben können; wer nach Reichtum strebt wird auch als reichster Mensch der Welt nicht genug haben können.

Laut Perls wäre solchen unersättlichen Mangelbedürfnissen nur durch (psychotherapeutische) Aufarbeitung der zugrunde liegenden Erlebnisse beizukommen. Ich glaube allerdings, dass es einen weiteren Weg gibt und Organisationen eine große Rolle dabei spielen können.

 

Was ist ein Geschenk?

Charles Eisenstein, ein zeitgenössischer Kulturphilosoph, hat in einem Buch über Geld (Sacred Economics) eine mitreißende Antwort auf die Frage gegeben, was ein Geschenk zu einem Geschenk macht und wie das außerdem mit der Empfänger*innenseite zusammenhängt. Eisenstein hält uns vor Augen, dass wir mit dem Beginn unseres Lebens eine Menge Geschenke erhalten, die keinerlei Verpflichtung mit sich bringen, etwas zurückzugeben.

Wir werden völlig hilflos geboren und sind auf andere angewiesen. Neben dem Geschenk des Lebens bekommen wir viel Fürsorge, zu Essen und zu Trinken, Sicherheit, Zeit und Einsatz etc., bis wir immer selbstständiger werden. Eigentlich wäre unser natürlicher Zustand also Dankbarkeit. Denn wir bekommen, kritisch betrachtet, eine ganze Menge von unserer Umwelt ohne dafür eine konkrete Gegenleistung bringen zu müssen.

All diese Geschenke zielen auf unsere Bedürfnisse ab. Darin zeigt sich eine entscheidende Facette des Schenkens: Schenken folgt dem Prinzip „mehr für mich ist mehr für dich“, es ist ein selbst-transzendierender Akt, indem das Eigene auf den/die Andere*n ausgeweitet wird. Beide Seiten profitieren von einem Geschenk. Die Geber*innenseite, weil sie Freude am Schenken empfindet und die Nehmer*innenseite, weil ein Bedürfnis befriedigt wird. Darüberhinaus ist der Akt selbst etwas Verbindendes. Schenken ist also nicht selbstlos sondern eher selbst-erweiternd, geteilte Freude.

Zwei Seiten machen ein Geschenk erst möglich

Beide Seiten haben eine Aufgabe, damit das Geschenk zum Geschenk wird. Wer schenkt, hat dies frei und ohne Erwartungen auf Gegenleistung zu tun. Wenn ich etwa einen Kollegen mit meinen Fähigkeiten und meiner Zeit unterstütze und das als Selbstzweck gerne tue, kann ich von einem Geben von Herzen sprechen. Wenn ich dafür ein Dankeschön erwarte oder eine Lobpreisung meines Einsatzes, geht es mir wohl eher um einen Austausch. Selbstverständlich ist ein Dankeschön wichtig, denn es zeigt uns, ob unser Geschenk ein Bedürfnis befriedigen konnte. Doch es ist nicht der Zweck unseres Handelns.

Die Geber*innenseite wiederum hat die Aufgabe, das Geschenk wahrlich anzunehmen, was bedeutet, sich nicht selbst zu irgendetwas zu verpflichten, sondern das Geschenk in Dankbarkeit anzunehmen. Werde ich also beispielsweise zum Essen eingeladen und kann mich darüber freuen und dankbar sein, habe ich dieses Geschenk wahrlich angenommen. Verpflichte ich mich, mein Gegenüber beim nächsten mal einzuladen oder interpretiere ich die Einladung als Teil eines Handels, weil mein Gegenüber etwas von mir im Ausgleich dafür will, ist es mir nicht gelungen, das Geschenk wahrlich anzunehmen.

Wir drücken uns gerne – vor dem Schenken und vor dem Empfangen

Interessanterweise ist es recht gängig, sich vor Akten des Schenkens zu drücken. Wir neigen dazu, Angebote auszuschlagen, obwohl wir sie gerne annehmen würden. Wir wollen unmittelbar Ausgleich schaffen für irgendetwas, das jemand Gutes für uns getan hat. Wir entwerten unsere eigenen Geschenke mit „Das war doch gar nichts“, wenn sich jemand bei uns ehrlich bedanken möchte usw.

Eisenstein begründet das mit unserem Unbehagen vor Abhängigkeit, also nicht in jemandes Schuld stehen zu wollen oder andere in Verpflichtungen uns gegenüber zu bringen. Dies sei jedoch nur ein Ausdruck unserer Illusion, zu glauben, wir wären unabhängig in der Welt. Faktisch brauchen wir andere Menschen, brauchen Nahrung, brauchen Sicherheit, brauchen Nähe und vieles mehr. Selbst wenn wir unsere ganze Zivilisation und was sie uns gibt wegdenken, brauchen wir immer noch die Natur und die Umwelt, um zu überleben und außerdem jemanden, der uns letzteres beibringt.

Wenn wir also beginnen zu sehen, dass wir von unserer Umwelt und unseren Mitmenschen abhängig sind, können wir dankbar annehmen, was uns alles gegeben wird. Und hierin liegt die erstaunliche Erkenntnis über die Beziehung von Freigiebigkeit und Dankbarkeit:

Wenn wir bewusst Dankbarkeit für das empfinden, was wir alles bekommen (haben), entsteht in uns ganz natürlich und ohne Selbstverpflichtung der freie Wunsch, auch etwas von uns zu geben. Dankbarkeit ist demnach die Grundlage von Frei-giebigkeit.

 

Die Bedeutung der Dankbarkeit

Die Auflösung unersättlicher Bedürfnisse, wie oben von Fritz Perls beschrieben, kann meiner Überzeugung nach nicht nur mittels Aufarbeitung der psychologischen Wurzeln, sondern auch durch das Kultivieren von Dankbarkeit möglich werden. Die Dankbarkeitsforschung, eine Partikularströmung der Positiven Psychologie, bestätigt diese Annahme auf eindrückliche Weise.

Allen voran hat Robert Emmons, Pionier der sozialwissenschaftlichen Dankbarkeitsforschung, in seinem Buch Vom Glück, dankbar zu sein von 2008 eine Menge Befunde zusammengetragen, welche Effekte eine dankbare (und freigiebige – die beiden sind nicht wirklich zu trennen) Haltung auf unser Leben hat. Das wurde in den folgenden Jahren um weitere Aspekte ergänzt, sodass eine Aufzählung aller Effekte hier zu umfangreich wäre. Ich beschränke mich auf diejenigen, die ich für die Organisationsentwicklung für besonders wichtig halte.

  • Größeres Wohlbefinden (physisch & psychisch) – Dankbarkeit lässt uns besser schlafen, macht uns weniger anfällig für toxische Emotionen, sorgt für weniger körperliche Beschwerden, vermindert Depression, stärkt das Immunsystem und sorgt beinahe automatisch für einen gesünderen Umgang mit uns selbst (bessere Ernährung, mehr Fitness usw.). Denn wir führen uns aus dieser Haltung heraus eher vor Augen, wie wertvoll wir für uns selbst sind, welches Geschenk unser Körper ist und was unsere sozialen Kontakte für uns tun. Durch diese Wertschätzung verhalten wir uns automatisch anders und erleben häufiger angenehme Emotionen, Glücksempfinden und Freude an dem, was wir tun.
  • Gesteigertes Selbstwertgefühl – wird uns erst einmal bewusst, was wir im Alltag alles von anderen bekommen und gelingt es uns, diese Geschenke dankbar anzunehmen, gelangen wir unweigerlich zu der Schlussfolgerung: „Wenn andere so viel Gutes für uns tun, müssen wir ja wirklich ganz schön wertvoll sein!“ Diese Erkenntnis hat signifikante Auswirkungen auf unser Selbstvertrauen und Auftreten, ohne dass wir in Hybris verfallen (Dankbarkeit stärkt nämlich unsere Demut und schützt uns so vor Selbstüberschätzung bzw. kann uns auf den Teppich zurückholen).
  • Gefühl von Urvertrauen – wenn wir all die schönen Dinge und Gesten, die uns alltäglich begegnen, als Geschenke verstehen, die wir nicht unmittelbar selbst herbeigeführt haben, fühlen wir uns eher getragen in der Welt. Wir erkennen und fördern unser Netzwerk das uns trägt und auf das wir zurückgreifen können, wenn wir Unterstützung brauchen. Selbst in Krisen und Durststrecken fühlen wir uns dadurch weniger ausgeliefert und kommen besser damit zurecht, Stichwort: Resilienz.
  • Erhöhtes Selbstwirksamkeitsempfinden und Hilfsbereitschaft – können wir unsere Talente, Fähigkeiten und unsere Zeit für das Wohl anderer einsetzen, so erleben wir uns als außerordentlich selbstwirksam. Oft macht es uns ohnehin Freude, unsere Begabungen einzusetzen und umso mehr, wenn auch andere davon profitieren können. Gleichzeitig inspiriert uns die Dankbarkeit für die Unterstützung anderer zu eigener Freigiebigkeit und kooperativem Verhalten, sodass ein Kreislauf von  gegenseitigem Geben und Nehmen in Gang gesetzt wird, der allen Seiten zugute kommt.

Auswirkungen in Organisationen

Dass Organisationen vielfältig von einer solchen Haltung ihrer Mitarbeiter*innen profitieren, liegt aus meiner Sicht sehr nahe. Folgend skizziere ich nun einige vorstellbaren Auswirkungen, denn bisher ist das Thema in Organisationskontexten leider nur gering bis gar nicht beforscht:

Es finden weniger Machtspiele statt und dafür ensteht umso eher eine kooperative Arbeitshaltung. Es wird untereinander ausgeholfen und unterstützt und die Menschen empfinden mehr Sinn in ihrer Arbeit, da sie ihren eigenen Beitrag deutlicher vor Augen haben und höher wertschätzen können. Statt konkurrierendem Verhalten wird eher auf Vernetzung und Austausch geachtet. Es wird einander inspiriert und die Atmosphäre ist freundlicher, wertschätzender und insgesamt angenehmer.

Gesündere Mitarbeiter*innen sind entsprechend seltener krank und energiegeladen. Projekte erfahren erfolgreichere Umsetzung, da sich die Beteiligten ihrer Fähigkeiten bewusst und sicher sind. Unkonventionelle und kreative Vorschläge bekommen mehr Raum, da die Angst, damit abgestraft zu werden, sinkt. Außerdem wird die Außenwirkung einer Organisation mit glücklichen und selbstbewussten Mitarbeiter*innen eine andere sein, insbesondere dann, wenn den einzelnen deutlich wird, dass alle einen bedeutenden und gestaltenden Teil im Gesamtgefüge der Organisation darstellen.

Die Arbeitsstelle wird weniger als Austauschbeziehung begriffen (Arbeitskraft gegen Lohn), sondern als Teil eines tragenden Netzwerkes. Die Lust steigt, die eigenen Talente und Interessen für die Organisation fruchtbar zu machen und insgesamt verstärkt sich der Wunsch, dem Daseinszweck der Gesamtorganisation möglichst gut gerecht zu werden. Die innere Ausrichtung wird kohärenter und die Organisation bekommt ein kooperatives, großzügiges und freundliches Image. Wobei zu letzterem noch ein wichtiger Aspekt zu ergänzen ist.

 

Sichtbarkeit

Wichtig für das Schenken und dankbare Annehmen ist deren Sichtbarkeit. Charles Eisenstein betont, dass es uns tief berührt, wenn wir Zeug*innen menschlicher Großzügigkeit und Dankbarkeit werden. In weiteren Studien wurde belegt, dass das Bezeugen allein schon Gefühle von Verbundenheit, Dankbarkeit und Großzügigkeit hervorbringt.

Als Beobachter*innen werden wir selbst zu freigiebigem Handeln inspiriert (angeblich agieren wir dreimal eher freigiebig, wenn wir kürzlich Zeug*in einer großzügigen Tat wurden), tragen das Gesehene weiter und stecken unser Umfeld damit an (ausführlicher beschrieben bei Suttie & Marsh).

Entsprechend ist es umso wichtiger, von solchen Erlebnissen und Geschichten zu erzählen und einander damit zu inspirieren, statt uns in falscher Bescheidenheit zu üben.

Mir selbst wurde der Zusammenhang von Freigiebigkeit und Dankbarkeit vor Augen geführt, als ich Zeuge wurde, wie meine Freundin einen Glückscent auf dem Boden fand. Sie freute sich ausgesprochen darüber und war dankbar, dass jemand eine Münze zu ihrem Glück hatte fallen lassen. Und, anders als erwartet, steckte sie die Münze nicht ein, sondern warf sie kurzerhand wieder auf die Straße. Auf dass auch die nächste Person am Glück teilhaben könnte. Dies war für mich ein so erkenntnissreicher Moment, dass ich bis heute davon profitiere (mittlerweile ist das drei Jahre her) und ihr wiederum sehr dankbar dafür bin. Ich hatte nicht geahnt, dass diese Erlebnis einmal so viel Bedeutung für mich bekommen sollte.

Mit dem zunehmens wichtiger werdenden Storytelling und dem bewussten Schaffen von organisationalen Narrativen können reale Begebnisse von Freigiebigkeit und Dankbarkeit ebenso eine entscheidende Rolle spielen. Sowohl bewegende Erlebnisse einzelner Mitarbeiter*innen und Teams, als auch eine freigiebig und dankbar auftretende Gesamtorganisation bieten Stoff für Geschichten, die mit Sinn und Freude angereichert sind und die die Organisation gut in die Zukunft tragen können.

Ausblick

Für mich scheinen eine Menge einzelner Organisationsanliegen wie die Zufriedenheit der Mitarbeiter*innen, gelingende Kommunikation, weitläufige Vernetzung, kollegiales Verhalten, wirksame Öffentlichkeitsarbeit und PR, hohe Wirksamkeit und flexible Strategiearbeit unter dem dargelegten Themenkomplex vereinbar zu sein. Dankbarkeit gilt im wissenschaftlichen Diskurs als eine der vielversprechendsten Haltungen, weil sie einerseits so viele positive Effekte mit sich bringt und andererseits als relativ leicht nachvollziehbar und erlernbar gilt.

Angesichts der spannenden Erkenntnisse der sozialpsychologischen Forschung wundert es mich, dass dieses Thema bisher noch kaum Einzug in die Organisationsforschung hatte. Erste Bestrebungen gibt es dennoch, so hat im November 2017 etwa eine Konferenz zur Integration von Dankbarkeit in die Arbeit stattgefunden, organisiert vom hier schon öfter zitierten Greater Good Science Center der Berkeley University, Kalifornien.

Es wäre sehr spannend, die genauen Auswirkungen einer Kultur von Freigiebigkeit und Dankbarkeit in Organisationen zu untersuchen. Bisher gibt es zwar einige best practices einer solchen gelebten Haltung, dies wurde meines Wissens nach jedoch nicht unter dem hier vorgestellten Gesichtspunkt betrachtet. Dieser Artikel soll ein Beitrag dazu sein, die Haltungsfragen von Freigiebigkeit und Dankbarkeit in Organisationskontexten zu verbreiten.

Interessant ist natürlich auch die sich aufdrängende Frage, wie eine solche Kultivierung vorstellbar und durchführbar ist. Dieser Frage gehe ich in meinem Folgeartikel nach, in dem ich bereits getestete Praktiken vorstelle, die sowohl individuell, in Teams als auch auf gesamtorganisationaler Ebene durchgeführt werden.

Zum Folgeartikel

 

Literatur

  • Anik, Lalin et al. (2009): „Feeling Good about Giving: The Benefits (and Costs) of Self-Interested Charitable Behavior.“ Onlineressource.
  • Eisenstein, Charles (2011): Sacred Economics.
  • Emmons, Robert (2008): Vom Glück, dankbar zu sein.
  • Emmons, Robert (2010): „Why Gratitude is good.“ Onlineressource.
  • Fromm, Erich (1956): Die Kunst des Liebens.
  • Laloux, Frederic (2015): Reinventing Organizations: Ein Leitfaden zur Gestaltung sinnstiftender Formen der Zusammenarbeit.
  • Perls, Frederick (2007): Das Ich, der Hunger und die Aggression.
  • Suttie, Jill & Jason Marsh (2010): „5 ways giving is good for you.“ Onlineressource.

Empfohlene Ressourcen

  • Di Fabio, Annemaria et al. (2017): „Gratitude in Organizations: A Contribution for Healthy Organizational Contexts.“ Onlineressource.
  • Fehr, Ryan et al. (2016): „The grateful workplace: a multilevel model of gratitude in organizations.“ The Academy of Management Review, February.
  • Wilberg, Hans-Arved (2018): Dankbarkeit.
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