Dieses Buch ist kein Roman, kein klassisches Sachbuch und keine polemische Streitschrift – es ist ein trialogisches Manifest, ein kollektiver Denk- und Erinnerungsraum. Die drei Autorinnen führen sieben Nächte lang Gespräche, die sie dann in ein Buch verwandeln. 

Zu dritt denken, sprechen und schreiben ist: Bereicherung, Spaß, Herausforderung, Entlastung, Vorantreiben, Reibung, Überraschung. Zu dritt in nur fünf Monaten dieses Buch zu denken und zu schreiben, war eine verrückte, anstrengende und großartige Angelegenheit.”

Sie sprechen über: “Das Klischee der Ostfrauen, das wir selber sind” (Nacht 1), “Eigentum oder warum die klassenlose Gesellschaft für die Mehrheit der Deutschen das Schlimmste ist” (Nacht 2), “Frauen in die Offensiven – wer sich nicht wehrt, kommt an die Kochinsel” (Nacht 3), “Der Appellplatz in uns – von solidarischen Idealen und traumschifflosen Wirklichkeiten” (Nacht 4), “Gummitwist oder der Körper als Schlachtfeld” (Nacht 5), “Die Schwerkraft der Verhältnisse oder was passiert hier gerade?” (Nacht 6) und zu guter letzt über “Geister der Zukunft oder ein “vom Utopismus entferntes Denken“” in Nacht 7. 

Worum geht’s?

  • Die DDR und ihre Ambivalenzen – zwischen emanzipatorischer Prägung und politischer Repression
  • Die Nachwendezeit – als Erfahrung von Entwertung, Umbrüchen und biografischer Desorientierung
  • Das Frausein im Osten – mit einem anderen Selbstverständnis von Arbeit, Care, Beruf und Körper
  • Ostdeutsche Kulturtechniken – wie Improvisieren, Teilen, Aushalten, Kümmern
  • Sprachkritik und Machtverhältnisse – insbesondere in Bezug auf westdeutsche Dominanz im Kulturbetrieb
  • Utopien – wie ein Staat aussehen könnte, der aus ostdeutscher weiblicher Perspektive heraus gedacht ist: gleichwürdig, solidarisch, pragmatisch, humorvoll, kritisch

“Immer radikal, niemals konsequent” wollen sie sein, weil Radikalität zusammen mit Konsequenz zum Dogmatismus führt, und der, so sind sie sich einig, hat selten zu Gutem geführt. 

Allzu gerne hätte ich als stille und unsichtbare Zuhörerin mit den Dreien am Tisch gesessen und ihnen gelauscht, wie sie sich in Echtzeit in kollektives Nachdenken begeben – zart, unbequem, witzig und traurig zugleich – hinein in ein performatives Gesprächsexperiment auf eine Reise durch ihre Erinnerungen, politischen Erfahrungen und utopischen Gedanken.

Der Stil ist gesprächsnah, literarisch, klug und witzig. Es ist ein Text voller Erfahrungswissen, aber nicht belehrend – sondern einladend, auch mal verwirrend, fragmentarisch. Der Sound: empfindsam ohne Opferhaltung, kämpferisch ohne Pathos, subversiv statt nostalgisch.

Auf die Frage Wovon erzählt Drei ostdeutsche Frauen betrinken sich und gründen den idealen Staat?” geben die drei Autorinnen unterschiedliche Antworten:

Peggy Mädler: “Ich sag nur: 7 Nächte, 7 Alkoholsorten, 7 Themen, über die es sich zu reden lohnt – und ein bisschen Idealismus angesichts der Schwerkraft der Verhältnisse ist auch dabei.”

Wenke Seemann: “Von Gummitwist vorm Kinderferienlager des Transformatorenwerks, utopischen Splittern an Badeseen, von Geistern in Fabrikantenvillen und Siedlungshäusern und Kindheitsmustern in ORWO-Color.”

Annett Görschner: “Aber immer radikal, niemals konsequent: Eine Nacht war ein Tag, und ein alkoholisches Getränk wurde durch einen Eisbecher ersetzt. Und was ein idealer Staat sein soll, das wissen wir immer noch nicht, dafür aber, was an achtlos Wegggeworfenem sich lohnt, aus der Vergangenheit in die Gegenwart und Zukunft mitgenommen zu werden.”

 

Was ich mitnehme (mit meiner westdeutsch Sozialisation)

  • Die Ost-Erfahrung ist nicht nur Schmerz, sondern vor allem auch Kompetenz.
  • Eine „gute Organisation“ ist weniger das, was Beratungsfirmen so hinlänglich beschreiben – sondern das, was Menschen gemeinsam tragfähig machen.
  • Sichtbarkeit ostdeutscher Frauen – als politische Akteurinnen, Denkerinnen, Gestalterinnen.
  • Wie sehr Erfahrungen von Systembrüchen, Unsichtbarmachung und Überanpassung in Körpern, Karrieren und Sprache weiterwirken.
  • Wie viel kulturelle und soziale Intelligenz im vermeintlich „Randständigen“ steckt – eine Perspektive, die auch für Organisationen und Teams extrem wertvoll ist.
  • Die Bestärkung, dass Utopien nicht aus Managementtheorien, sondern aus biografischem Wissen geschöpft werden.
  • Und immer wieder die Frage: Wie kann man einen Ort schaffen, an dem es sich anders leben lässt – ohne zu vergessen, woher man kommt?
Erscheinungsdatum: 18.03.2024
320 Seiten
Hanser Verlag
ISBN 978-3-446-27984-1
22,00 €

Autorin Nicola Kriesel

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