Mit Žaklina Mamutovič und Nele Kontzi hatten wir quasi zwei Pionierinnen des Anti-Bias-Ansatz in Deutschland ins SOCIUS labor im Juni eingeladen. Die beiden arbeiten seit über 23 Jahren zusammen im Anti-Bias-Netz. Sie klären auf, unterstützen, bieten Fortbildungen an, beraten und es ist ihnen sehr anzumerken, dass sie das voller Überzeugung und Leidenschaft tun. Bereits 2015 hat das Kollektiv des Anti-Bias-Netz ein Buch zum Anti-Bias-Ansatz veröffentlicht.

Sie werden nicht müde beizutragen zu einer vorurteilsbewussteren und diskrminierungsärmeren Gesellschaft. 

Was ist der Anti-Bias-Ansatz? 

Der Anti-Bias-Ansatz ist eine (pädagogische) Strategie, die darauf abzielt, Vorurteile und Diskriminierungen zu erkennen, zu reflektieren und abzubauen. Diese Methode wurde ursprünglich in den USA entwickelt und hat sich seit den 1980er Jahren weltweit verbreitet. Insbesondere mit dem Ende des staatlichen Apartheidsregime in Südafrika hat der Ansatz dort weite Verbreitung  gefunden. In Deutschland hat der Ansatz in der Mitte der 90er Jahre angekommen, hat sich Anfang der 2000er etabliert und ist seit dem stetig weiterentwickelt worden. 

Zentrale Aspekte des Anti-Bias-Ansatzes sind

Bewusstmachung von Vorurteilen: Der Ansatz hilft eigene Vorurteile und Stereotypen zu erkennen. Dies geschieht durch Reflexion und Diskussion über verschiedene Formen von Diskriminierung und Ungleichheit, sei es aufgrund von Herkunft, Geschlecht, sozialer Klasse, Behinderung oder anderen Merkmalen.

Vielfalt und Inklusion: Der Anti-Bias-Ansatz will Vielfalt und Inklusion fördern. Er ermutigt dazu, Unterschiede zu schätzen und als Bereicherung zu sehen, anstatt sie als Grundlage für Diskriminierung zu verwenden.

Kritische Reflexion: Ein wichtiger Bestandteil ist die kritische Auseinandersetzung mit gesellschaftlichen Machtstrukturen und deren Einfluss auf Individuen und Gruppen. Dies beinhaltet das Hinterfragen von Normen und Praktiken, die Ungleichheiten aufrechterhalten, sowie den eigenen individuellen Beitrag, den jede*r dazu leistet. 

Empowerment: Der Ansatz zielt darauf ab, Individuen zu stärken und ihnen die Werkzeuge zu geben, sich gegen Ungerechtigkeit und Diskriminierung zu wehren. Dies beinhaltet die Förderung von Selbstbewusstsein und Selbstwertgefühl, insbesondere bei Menschen, die von Diskriminierung betroffen sind.

Praxisorientierte Ansätze: In der Praxis umfasst der Anti-Bias-Ansatz eine Vielzahl von Aktivitäten und Methoden, von denen wir im SOCIUS labor einige ausprobiert haben.

Was hat Thema Diskriminierung mit dir zu tun?

Das war die Einstiegsfrage zur Check-in-Runde. Welchen Gegenstand in deiner Nähe verbindest du mit Diskriminierung? Oder was ist ein Symbol dafür? Zum Vorschein vor der Kamera kamen ein Reisepass, ein Schlüsselband, ein Foto mit drei Generationen von Frauen, eine Postkarte, ein Stein, Geschichten aus Büchern wie “Die Schönheit der Differenz” (das ich vor ca. einem Jahr hier rezensiert habe), und aus Lebenserfahrung als “Streik-Feministin” in der Schweiz der 80er Jahre. Wir hörten Geschichten von Menschen, die den Eindruck haben, erst spät in ihrem bisherigen Leben verstanden zu haben, dass Diskriminierung ein Thema ist, das auch sie angeht und von dem sie betroffen sind, und solche von Personen, die schon sehr früh in ihrem Leben bewusste Diskriminierungserfahrungen gemacht haben, sei es aufgrund des eigenen Namens oder aufgrund der sozialen Situation ihrer Familie. Schon hier wurde klar, wie unterschiedlich die Zugänge zum Thema sind. Auffallend war auch, dass die Gruppe der Teilnehmenden überproportional weiß, weiblich und cis war.

Der Hinweis auf die Diskriminierungsform Adultismus (Form der Diskriminierung, bei der Erwachsene Kinder und Jugendliche aufgrund ihres Alters und ihrer vermeintlich geringeren Lebenserfahrung und Weisheit benachteiligen, bevormunden oder herabsetzen) war meines Erachtens hier sehr lehrreich, denn diese Erfahrung teilen wir alle und haben dabei sehr früh gelernt, dass Diskriminierung okay und weit verbreitet ist. 

Sensibilisierung

Im Anti-Bias-Ansatz wird davon ausgegangen, dass wir grundsätzlich zu wenig über Diskriminierung sprechen und dass es, wenn es zu Sprache kommt, entweder von direkt Betroffenen erwartet wird, oder aber nicht direkt Betroffene über die Diskriminierung anderer sprechen. 

Was zu selten passiert, ist darüber zu sprechen, wie wir selbst (unbewusst) diskriminierend handeln und was dazu beiträgt. In einer Speed-Dating Übung hatten wir in Dyaden in fünf Runden je fünf Minuten Zeit uns über die folgenden Fragen auszutauschen. 

  • Welchen Bildungsabschluss haben deine engsten Freund*innen und wo hast du sie kennengelernt?
  • Wann hast du gemerkt, dass es unterschiedliche sexuelle Orientierungen gibt? 
  • Wann und wo bist du das erste Mal mit jüdischem Leben in Kontakt gekommen? 
  • Meinst du der Begriff “Behinderung” sollte auf dem Sprachgebrauch gestrichen und mit einem anderen ersetzt werden?
  • “Ich bin in den besten Jahren” – was heißt das? 

Wie Nele uns wissen ließ, gibt es noch viele weitere solche Fragen, aber schon diese fünf hielten innerhalb kürzester Zeit einen großen selbstreflektorischen Gewinn für uns bereit. Wie auch in anderen Settings, ist es auch hier wieder als sehr verbindend wahrgenommen worden, anderen beim “Gedanken-machen” zuzuhören. 

Diskriminierungsrisiken und -formen

Accountable Spaces

Die Möglichkeit Diskriminierung anzusprechen, ist eine wesentliche Voraussetzung um sie zu reduzieren. Allerdings gibt es hier nach wie vor in den meisten Gruppen, Teams und Organisationen große Hürden. Hier ist es hilfreich sich mit dem Konzept der “Accountable Spaces” zu befassen. Sie unterscheiden sich von den sogenannten “Safer spaces” und “Braver spaces” dahin gehend, dass in “verantwortlichen Räumen” jede Person Verantwortung für sich selbst, die eigenen Absichten, Worte und Handlungen übernimmt. Es bedeutet, einen Raum mit guten Absichten zu betreten, und zu verstehen, dass erst wenn die Handlung im Einklang mit der Absicht steht, das commitment für Verantwortlichkeit wahrhaftig wird. 

Verabredungen für verantwortliche Räume ermöglichen es Verbündeten und marginalisierten Gemeinschaften, sich auf eine Reihe von handlungsorientierten Verhaltensweisen/Aktionen während der Diskussion zu einigen, und auch darüber hinaus in Echtzeit sich als Verbündete zu zeigen. Es ermöglicht den Teilnehmenden, ihre gut gemeinten Absichten durch eine gemeinsame Reihe von Vereinbarungen mit Wirkung in Einklang zu bringen.

Solche Richtlinien legen eine gleiche Verpflichtung für alle fest, sich gerecht und inklusiv zu verhalten, um ein tieferes Verständnis für diverse Lebenserfahrungen zu fördern.

Die University of California, Los Angeles (UCLA) hat dafür folgende Vorschläge erarbeitet, von denen viele Euch sicherlich schon bekannt sind: 

  1. Bitte unterbreche andere nicht.
  2. Höre aktiv zu, anstatt nur darauf zu warten, zu sprechen. Verwende bei Bedarf Stift und Papier, um Gedanken aufzuschreiben.
  3. Achte auf deine Gesamt-Redezeit und sprich, um zur Diskussion beizutragen.
  4. Gib jeder Person die Chance zu sprechen, ohne unnötigen Druck.
  5. Denk daran, dass wir alle lernen. Wenn du etwas Beleidigendes oder Problematisches gesagt hast, bitte für deine Handlungen oder Worte um Entschuldigung, nicht dafür, dass sich eine andere Person beleidigt fühlt.
  6. Erkenne und akzeptiere Reibung und Spannung als Beweis dafür, dass mehrere Ideen in die Diskussion eingebracht werden — nicht dafür, dass die Gruppe sich nicht versteht.
  7. Gib Anerkennung, wo sie fällig ist, z.B. durch Wiederholung und Bezugnahme auf die Ideengeber*in. 
  8. Frag nach Klarstellungen — statt in Annahmen und Projektionen zu bleiben.
  9. Spreche für dich selbst. Verwende „Ich“-Aussagen und teile nicht die Lebenserfahrungen anderer.
  10. Worte und Tonfall sind wichtig. Achte auf die Auswirkungen dessen, was du sagst, und nicht nur auf deine Absicht.
  11. Reflektiere nach dem Verlassen des Raums über umsetzbare Punkte, um in deinem täglichen Arbeits- oder Privatleben ein*e Verbündete*r zu werden. Kannst du es nicht herausfinden? Nutze das Internet oder die Bibliothek, aber belaste aus Rücksicht auf die wenigen schwarzen Menschen in deinem Büro nicht andere, besonders nicht diejenigen aus benachteiligten Gemeinschaften, mit der Aufgabe, dir etwas beizubringen.
  12. Wenn du als Verbündete*r der Gemeinschaft teilnimmst, gib bitte den benachteiligten und marginalisierten Gemeinschaften Raum, um ihre Erfahrungen zu teilen.
  13. Frage, ob es andere Richtlinien gibt, die sie benötigen, um sicherzustellen, dass die Diskussion keine weiteren Traumata oder unnötigen mentalen oder emotionalen Belastungen verursacht.

Mit Hilfe von KI übersetzter Text von Elise Ahenkorah auf Medium

Wenn wir über Diskriminierung sprechen wollen, müssen wir immer auch über Macht sprechen. 

Was gibt Menschen Macht?

Diese Sammlung ist während des Labors entstanden. 

Zum Abschluss des labors haben wir uns darüber ausgetauscht, wie Machtbewusstsein in Teams und Organisationen erhöht werden kann, und wie sehr andere darauf angewiesen sind, dass wir unsere Macht nicht ausnutzen. Die Frage: Was ermöglicht es, dass Menschen ihre Macht nicht ausüben, nicht dominant sind? haben wir nicht mehr ganz zu Ende besprechen können. 

Insgesamt haben wir uns nachdenklich und motiviert aus dem SOCIUS labor verabschiedet und werden am Thema dran bleiben. 

Autorin Nicola Kriesel

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