Wie entstehen Settings für kreative Öffnung und Transformation?
In der Begleitung von Gruppenprozessen ist es etabliert, in den Entwicklungsprozessen von Organisationen gewinnt es zunehmend an Bedeutung – das Konzept der „Gehaltenen Räume“. Ein gehaltener Raum ist schwer fassbar, ihn macht eine unsichtbare Qualität aus, vorstellbar als sozial konstruierte Blase, die Entwicklungs- und Veränderungsmöglichkeiten eröffnen und begehbar machen kann. Das Verständnis darüber, was einen gehaltenen Raum ausmacht, ist ebenso breit gefächert, wie die Vielfalt seiner Erscheinungsformen, die mit dem Zweck variieren: Der Raum für einen Kreativprozess im Team mag sich von dem einer Konfliktklärung stark unterscheiden, der Raum für gemeinsame Lernprozesse fühlt sich wieder ganz anders an.
Unser Anliegen ist es, zu klären, was diese Variationen gemein haben, welche Spezifika für unterschiedliche „Raum-Zwecke“ bedeutend sind und wie das Öffnen und Halten von Räumen im Organisationskontext vermittelt und erlernt werden kann. Wir nähern uns dem Thema an, indem wir unsere Erfahrungen zusammenpuzzeln, ohne den Anspruch einer ausschöpfenden Betrachtung.
Gehaltener Raum – worüber reden wir?
Die besondere Qualität gehaltener Räume kann anhand des Settings für persönlichen Entwicklung im Gruppenprozess anschaulich gemacht werden.
Workshops zur persönlichen Entwicklung bedürfen einer vertrauensvollen Atmosphäre, in der die Teilnehmer*innen ein genügendes Maß an Sicherheit erfahren, um sich verletzlich zu machen. In einem so gehaltenen Raum ist es willkommen, sich mit dem Regenbogen der menschlichen Gefühle zu zeigen, gerade auch sozial verurteilte Emotionen wie Neid, Missgunst, Trauer, Bedürftigkeit, Verspieltheit, Albernheit usw. dürfen ausgedrückt werden, ohne dass mit Sanktionen gerechnet werden muss. Gleichzeitig heißt letzteres nicht, dass dabei jegliche Ausdrucksformen in Ordnung wären, Facilitator*innen müssen hier auf einen respektvollen Umgang miteinander achten. Das Halten solcher geschützten Räume erfordert viel Geschick, Präsenz und Reife auf Seiten der Workshopleitung.
Gehaltene Räume – wesentliche Qualitäten
Was macht diese gehaltenen Räume – ob in Workshops, Organisationen oder sonstigen Zusammenkünften – nun aus? Wir haben einige Aspekte zusammengetragen, die wir als einen ersten Vorschlag vorstellen möchten.
- Ein gehaltener Raum hat implizit oder explizit Veränderung als Agenda: die Menschen und/oder Themen der Bearbeitung gehen transformiert aus dem Raum hinaus, sie sind nicht mehr dieselben, die hineinkamen, egal ob es dabei um eine andere Selbstwahrnehmung, veränderte Denkmuster oder neue Beziehungsqualitäten geht. Welche Veränderung tatsächlich stattfindet, ist beeinflussbar, doch nicht kontrollierbar. Der Eintritt in den Raum muss dabei immer freiwillig sein.
- Ein gehaltener Raum lädt dazu ein, mehr von sich selbst zu zeigen, als in einer wie auch immer gearteten Öffentlichkeit. Ein gut gehaltener Raum gewährleistet ein höheres Maß an Vertrauen, sodass sich die Menschen im Raum aus ihrer Komfortzone heraus bewegen können, sich zutrauen neue Wege auszuprobieren und diese Erlebnisse so integriert werden können, dass eine Erweiterung des Denk-, Erfahrungs- und/oder Verhaltensrepertoires ermöglicht wird. Dafür ist nicht zuletzt auch ein gewisser Zeitraum vonnöten – Vertrauen entsteht mit der Zeit und kann nicht pauschal vorausgesetzt werden.
- Ein gehaltener Raum ist auch ein Resonanzkörper, – die darin befindlichen Elemente (Menschen, Themen, Objekte – letztere könnten etwa gestaltbare Bedeutungsträger wie Leinwände, Karten, Pläne usw. sein) können in Resonanz miteinander gehen und es kann sichtbar werden, wie sie sich aufeinander beziehen und zueinander stehen. Anders als im Alltag werden hier Resonanzen verdichtet, sodass eine Feedbackdynamik entstehen kann, welche die o. g. Veränderung antreibt. So werden den im Raum befindlichen Menschen erweiterte Sichtweisen und neue Erfahrungen angeboten.
- Schließlich ist ein gehaltener Raum ein Rahmen, in dem eine Bezeugung des Geschehenden stattfindet. Was auch immer passiert, welche Wagnisse, Entwicklungen und Entdeckungen gemacht werden, sie werden von den Teilnehmenden und stellvertretend für die Gruppe – vom Raumhaltenden achtsam wahrgenommen. Dieses Sehen und Gesehen-Werden verleiht dem Prozess und seinen Ergebnissen eine tiefere Bedeutung und ermöglicht das Entstehen kollektiver Wahrheit.
Den Raum öffnen
Die entscheidende Qualität gehaltener Räume entsteht zunächst dadurch, dass ein Raum bewusst geöffnet wird. Räume können sehr unterschiedlich gestaltet werden, entsprechend haben die verschiedenen Eröffnungsaspekte unterschiedliches Gewicht. Zur Öffnung erscheinen uns folgende Aspekte bedeutsam:
- Zunächst muss ein Raum als ein solcher kenntlich gemacht werden. Er braucht definierte Konturen. Dies bedeutet einerseits eine soziale Membran, die ihn von der öffentlichen Situation unterscheidet (als temporär-exklusiver Container), zugleich auch einen klaren Anfang und ein definiertes Ende – meist ist dies zeitlich gesetzt, womöglich auch zielabhängig oder noch anders. Oft ist ein gewisses Maß an Binnen-Strukturierung notwendig (zeitlich, inhaltlich) und eine gute Balance zwischen Flexibilität und Einhaltung dieser Strukturen.
- Zweitens muss die besondere Qualität des Raumes verdeutlicht werden. Wer den Raum betritt, sollte Bescheid wissen, dass andere Regeln des Miteinanders gelten als gewöhnlich und was diese sind. Die Regeln können gesetzt oder gemeinsam von den Eintretenden entwickelt werden. Dazu gehört, dass es eine Abmachung gibt, welche Aspekte dessen, was im Raum passiert, nicht nach außen gelangen dürfen und welche schon. Hilfreich ist auch die Abmachung, dass alle menschlichen Regungen da sein dürfen und akzeptiert werden als das was ist. Dies braucht unbedingt die Ergänzung, dass deshalb nicht jegliches Verhalten erlaubt ist. Wut zu spüren, berechtigt nicht zu ungezügeltem und verletzendem „Auskotzen“. Es muss sichergestellt werden, dass ein Sich-Zeigen nicht bestraft wird. Dies muss auch nach Ende des geöffneten Raums gewährleistet sein, ansonsten ist das Vertrauen beim nächsten mal dahin.
- Ein gehaltener Raum bringt zwangsläufig Unvorhergesehenes hervor, Stichwort: Emergenz. Deshalb braucht die Architektur des Raums eine Antwort auf den Umgang mit Unvorhergesehenem und Unvorhersagbarem. Gerade anfangs braucht es meist mehr Struktur und bewusstes Raum-Öffnen, wohingegen später kreative Handhabung möglich wird. Bei wiederkehrenden Räumen oder auch innerhalb eines Raumes sind Rituale ein hilfreiches Element um Übergänge zu markieren und Sicherheit in Wiederholung zu geben.
Im zweiten Teil dieses Artikels geht es um die Qualitäten derjenigen, die solche Räume aufspannen bzw. halten und Menschen zur Veränderung einladen. Außerdem stellen wir die Frage, was das Konzept für besondere Herausforderungen mit sich bringt, wenn es in Organisationen angewandt wird.