Sabine Ayeni treibt die Suche an, mit Teams Wege zu finden, wie eine Veränderung Spaß macht und sie weiter voranbringt. In Westdeutschland aufgewachsen, hat sie lange Zeit ihres Lebens in Irland und Südafrika verbracht. Heute wohnt sie bei Halle. Im Workshop, den sie zusammen mit Agnes Sander durchführt, wollen sie der Frage nachgehen, wie unterschiedliche Perspektiven auf “Ost” und “West” in einen Austausch kommen können.
„Noch längst nicht alles gesagt“ – Was ist aus Deiner Perspektive offen und Thema zum oe-tag zwischen Ost und West?
Gesamtdeutsch ist die Wende für mich immer noch ein Ort mit offener Verwundung, Trauer und nicht ausgesprochenen Verletzungen. Wichtig – finde ich – ist, dass wir das nicht als ein ausschließlich ostdeutsches Thema sehen. Menschen, die hier lebten, wurden in das westdeutsch geprägte System hineingezogen und hatten keine Möglichkeit selbst daran etwas mitzugestalten. Auch die meisten Menschen in Westdeutschland hatten kaum Gelegenheit, diese Prozesse eines „gemeinsamen“ Deutschlands mitzugestalten. Insofern ist es wirklich ein gesamtdeutsches Phänomen, das immer verliert, wenn wir es “nur” aus Ost- oder West-Perspektive betrachten.
Allerdings: Das heutige deutsche Gesellschafts-System ist näher am Westen als am Osten. Insofern kann ich verstehen, wenn Menschen sagen, dass sie in der Wende ihre Heimat verloren haben. Auch wenn keine geografische Migration stattgefunden hat, sind sie in sehr existenziellen Fragen doch in ein neues System gespült worden. “Das Land in dem ich geboren wurde, gibt es heute nicht mehr.” höre ich ausschließlich in Ostdeutschland, nicht im Westen. Insofern gibt es – auch aus einer umfassenden Perspektive – natürlich unterschiedliche Betroffenheit.
Aus meiner Sicht ist es bis heute nicht gelungen, zu diesen Erfahrungen – als ein gesamtdeutsches Phänomen – miteinander in Verbindung treten. Von den eigenen Erfahrungen, Verletzungen und Eindrücken erzählen können und anderen zuhören, ohne in eine Beschuldigung oder in eine Selbstrechtfertigung zu rutschen, dafür gibt es noch viel zu wenige „Räume“. Ich glaube, wir müssen uns da nochmal wirklich völlig neu begegnen, auf einer ganz menschlichen Ebene, sonst wird dieser Konflikt und dieses “nicht ausgesprochene” weiter tief in uns bleiben. Hier gibt es einfach noch sehr viele nicht erzählte Geschichten. („There is no greater agony than bearing an untold story in you.” Maya Angelou)
Was ist Voraussetzung, um zu diesem Thema gut miteinander ins Gespräch zu kommen?
Zusammen mit Agnes Sander habe ich im Rahmen der Workshopvorbereitung da schon viel darüber nachgedacht. Unser Ansatz, den wir am 13.6. auch mitbringen werden, lautet: “Verbindung herstellen”. Tiefgehende Konflikte – und so nehmen wir diese, seit langem tiefsitzenden Erfahrungen in Bezug auf “Ost” und “West” durchaus wahr – passieren dort, wo wir Menschen ausgrenzen, nicht mehr auf Verbindung und Miteinander achten sondern auf Abwertung und Ausgrenzung. Unser Ziel ist es, zunächst miteinander Verbindung aufzunehmen und in Kontakt zu kommen, auf ganz menschlicher Ebene.
Ich habe längere Zeit in Irland und Südafrika gelebt. Beides auch Länder mit tiefliegenden Konflikten und gegenseitigen Prozessen der Abwertung. Dort habe ich häufig erfahren, wie wichtig es ist, dass Menschen in Kontakt kommen, einander in erster Linie als Menschen erleben und so Wege für echte Gespräche finden. In Begegnungen, in denen sich Menschen trauen, sich zu zeigen kann es auch gelingen über die Dynamik und die Abwertung, die historisch stattgefunden hat, zu reden. Wenn die eigenen Erfahrungen im Zuören des anderen eine Resonanz erhalten, ist es möglich, sich von dem Trauma und den Schmerzen, die darin stecken zu lösen. Und nochmal: das ist eine gemeinsame und gesamtdeutsche Aufgabe, die wir da haben, wir können das nicht einer Region überlassen.
Das ist für mein Empfinden die große Aufgabe. Klassisch darin eingebunden ist natürlich die Frage nach safe spaces um sich in einem solchen Raum auch entsprechend öffnen zu können, sind Kommunikationsregeln, die von allen anerkannt werden und ist eine klare menschenzugewandte Haltung als Ausgangslage. Insofern ist es alles andere als trivial, aber ich glaube, das brauchen wir.
Du bist in Bayern aufgewachsen, lebst heute bei Halle und hast internationale Berufserfahrung gesammelt. Wo nimmst Du wahr, dass unterschiedliche Prägungen von „Ost“ und „West“ heute noch in Organisationen eine Rolle spielen?
Diese tiefe Verletzung schimmert in vielem durch. Wenn wir davon für den Moment mal weggehen, sehe ich unterschiedliche Prägungen an verschiedenen Stellen, ich will ein paar Aspekte herausgreifen:
Als ich 2012 hier angefangen habe zu arbeiten, ich wurde erstmal beäugt als Person, die nicht von hier kam und bin dabei auf viel Unverständnis gestoßen, warum ich vom Westen in den Osten gezogen bin. Viel Kredibilität habe ich durch meinen jetzigen Partner erhalten, der aus Erfurt kommt. An so manchen Stellen wurde mir deutlich gemacht, dass ich nicht mitreden kann, weil ich „hier“ nicht aufgewachsen bin. Das stimmt ja zum Teil auch, denn die Sozialisation war schon sehr verschieden. Diese Dynamik ist natürlich auch in Unternehmen spürbar.
Für mich zeigt sich hier vieles auch noch nicht so “fertig” wie an vielen Orten, die ich aus meiner Heimat oder sonst im Westen kenne. Hier gibt es mehr Gestaltungsspielraum. Und klar – gegenwärtig sind wir in Phasen einer Krise. Aber trotzdem finde ich das auch positiv, da kreativ heranzugehen und etwas mitgestalten zu können.
Und ich erlebe immer wieder, dass es hier ein deutlich anderes Frauen- und Familienbild gab als im Westen. Es war schon immer selbstverständlich, dass Frauen erwerbstätig waren und dafür haben sie viel Unterstützung erfahren: die Kita-Zeiten waren ganz andere als “im Westen” – und sind es teilweise auch heute noch. In Unternehmen gab es einen Frauenruheraum … das ist für die westliche Perspektive fast revolutionär.
Und hier findet sich dann auch gleich die Verletzung wieder: Manche Frauen hier können nicht nachvollziehen, warum wir wieder über diese Themen diskutieren müssen, die doch mal selbstverständlich waren.
Wenn wir jetzt Organisationen betrachten, brauchen wir – egal ob Unternehmen oder Nachbarschaftsladen oder Schule – mehr Räume für Begegnung. Ich sage das so, weil ich denke, dass wir es auch angesichts der Krisen und Unsicherheiten, die gegenwärtig überall spürbar sind, brauchen. Aber wir brauchen es auch, um uns in und nach Verletzungen menschlich zu begegnen. Verbinden, Reden, Zuhören, Schmerz teilen und zulassen. Das sind große Herausforderungen, aber auch die Möglichkeiten, wo echte verändernde Begegnungen drinstecken. Da würde ich mich über viel mehr freuen.
Was wünscht Du Dir vom oe-tag?
Gute Kontakte. Ich war schon angemeldet, bevor ich für den Workshop angefragt wurde. Und ich freue mich, ihn jetzt einmal mitzugestalten. Ich wünsche mir gute Gelegenheiten, Kontakte zu knüpfen und Menschen kennenzulernen. Ich wünsche mir gute Begegnungen und Inspiration für mich und ich hoffe, dass ich dabei auch andere inspirieren kann. Aus einem oe-tag vor ein paar Jahren ist für mich eine tiefe Freundschaft entstanden. Ich wünsche mir diese Offenheit, dass aus so einem Tag etwas ganz besonderes entstehen kann… eigentlich gibt es doch in dem Sinn unseres Gespräches nichts besseres.