Liberating Structures – die Wortkombination von „Strukturierung“ und „Befreiung“ ist schon eine kleine Zumutung, aber eine schöne: Strukturen sind ja nur dann Gefängnisse, wenn sie Entfaltung verhindern. Wo sie sie ermöglichen, können sie im doppelten Sinne befreiend wirken – befreiend von der Stagnation überregulierten Formgeschehens und vom Dschungel unterregulierter Gruppendynamik. Und doch gelingt dieses Spagat so oft nicht – was ist das Geheimnis? Willkommen in der Welt der „Wicked Questions“, der Nr. 1 im Menü der Liberating Strcutures.

Britta Loschke ist für SOCIUS durch langjährige Zusammenarbeit und gemeinsame Geschichte ein Very Special Guest. Sie ist im besten Sinne ein Strukturfreak (muss man sein, wenn man mit Großgruppen beteiligungsorientiert arbeiten will). Damit knüpft dieses Labor auch an unseren langjährigen „Battle“ an über die Frage, wieviel Struktur und wieviel Emergenz Prozesse vertragen.

Der Einstieg zum Labor bildet das „Impromptu Networking“: wechselnde 4-minütige Zufalls-Begegnungen zu den Fragen „Was erhoffst Du Dir von diesem Labor? Und was bringst Du in ein?“. Und wie dieser Austausch einen kompakt-intensiven ersten Kontakt unter den 15 Labor-Teilnehmenden ermöglicht, geht es im Programm auch weiter: Die Gruppenerfahrung und das gemeinsame Interesse an Beteiligungsprozessen bilden dabei immer die Plattform, über die Methoden miteinander in Austausch zu kommen.

Was macht die Liberating Structures aus?

Die Structures (auch liebevoll „LS“ genannt) sind ein Repertoire von sogenannten „Mikro-Strukturen“, Abläufen zur Gestaltung von Gruppenprozessen und Workshops. Die erste Sammlung wurde von Keith McCandless und Henri Lipmanovicz vom Plexus Institute zusammengestellt. Sie umfasst bisher 33 Methoden – einige alt-bekannt (etwa der Open Space oder die Appreciative Inquiry Interviews), andere neu erdacht und pointiert aufbereitet. Auch wenn der Modus und die Spielregeln der Weiterentwicklung in der LS Community nicht abschließend geklärt ist (übrigens mal ein hochinteressantes Thema für eine Forschungsarbeit), kommen neue Methoden laufend hinzu.

Gemein ist den Strukturen, dass sie zu jedem Zeitpunkt die größtmögliche Aktivierung der Gruppe unterstützen (Vorträge und lange Vorstellungsrunden gehören daher nicht zum Repertoire der Structures), und dass sie Vielfalt und Komplexität produktiv nutzen anstatt sie zu simplifizieren oder zu ignorieren. Die Haltungen dahinter sind in 10 Prinzipien niedergeschrieben, die als loses Manifest der Liberating Structures im Labor-Raum verteilt hängen – auch mit der Einladung dazu, Resonanz und Reibung mit einzelnen der Prinzipien zu erkunden.

 

Wie in jeder guten Methodensammlung sind die Structures anhand eines einheitlichen Rasters beschrieben: die Zeiteinteilung, die Verteilung von Teilhabe und Mitwirkung, die „Einladung“ (oder auch Spielanleitung), die Zusammensetzung der Gruppe(n) und die Anordnung des Raumes.

Arbeit mit Widersprüchen und beängstigenden Unsicherheiten

Nach einigen Einführungen zum Wesen und zu den Prinzipien der Liberating Structures geht es im Labor mit den „Wicked Questions“ weiter: Wir schreiben auf, was für uns wesentliche Wahrheiten und Prinzipien unserer Arbeit in und mit Gruppen sind und wo diese besonders miteinander in Reibung stehen. Die Wicked Question wird im Format notiert: „Wie kann es sein, dass … und gleichzeitig…“. Das von Britta als Beispiel eingeführte Spannungsfeld  „Struktur“ und „Emergenz“ lässt sich hier gut bearbeiten. In paarweisen Austauschen werden die Widersprüche geschärft und weiter herausgearbeitet. Es ist eine interessante Erfahrung, dem Reflex zu widerstehen, Widersprüche sofort aufzulösen und zu spüren, welche Kraft in der Spannung scheinbar unvereinbarer Prinzipien liegt. Die Timebox schließt sich auch hier wieder mit dem Ping des Klangstabs – ein kompakter Moment Reflexion und weiter. Auch das ist Struktur.

Als letzte Structure erkunden wir die „Tiny Demons“ – eine neuere LS Übung zur spielerischen Arbeit mit Befürchtungen. Die Übung hat drei Schritte:

  1. Zeichne auf einem Blatt in vier Quadranten je eine Krakellinie (oben rechts eine dynamische Linie, oben links eine geschlossene Figur, unten rechts ein eckiges Gebilde, unten rechts irgendwas). Ergänze die Formen jeweils zu einem Monster, indem Du Zähne, Haare, Flügel, Klauen dazu zeichnest.
  2. Mache auf der Rückseite eine Liste Deiner Befürchtungen in Bezug auf die zu bearbeitende Fragestellung – im Labor widmen wir uns der Frage: Was macht Dir Sorge in der Anwendung der Liberating Structures?
  3. Wähle die vier größten Befürchtungen aus. Welches Monster passt zu welcher deiner Befürchtungen? Gib den Dämonen einen Namen und stelle sie jemandem vor (hier lassen sich auch szenische Dialoge mit den Dämonen anschließen).

So ungewohnt die Übung beginnt, die Gespräche am Ende sind tief und leicht zugleich. Eine schöne, kreative Methode, die auch bei den Fortbildungs-Junkies unter den Labor-Besucher*innen noch den Nerv des Unbekannten trifft.

In der Abschlussbetrachtung schwingt Erfülltheit von den vielen intensiven Austauschen, inspirierte Nachdenklichkeit zum noch teilweise nebligen LS Überbau, Dankbarkeit für die praktischen und schnell anwendbaren Methodeneinblicke und Respekt für die integre und souveräne Begleitung von Britta durch diesen Ritt.

Und natürlich gibt es wie immer im Nachklang der Labore eine leckere Suppe von Denise und Drinks am Kamin.

weitere Infos

Die Liberating Structures findet man als Sammlung im Netz (https://www.liberatingstructures.de), als Buch (The Surprising Power of Liberating Structures: Simple Rules to Unleash A Culture of Innovation, 2014), als Kartenspiel und mittlerweile auch als kostenlose App.

Zum tieferen Einstieg in die Welt der Structures gibt es verschiedenste Möglichkeiten: Virtuell tauscht sich die globale LS Community auf Slack (http://bit.ly/libstrucslack) und in den Social Media Kanälen (#LiberatingStructures) aus. Wer mehr auf live Interaktion steht, finden auf https://www.liberatingstructures.de/community/ eine Übersicht über lokale und regionale LS Gruppen. Workshops zu den Liberating Structures werden in Deutschland u.a. vom Liberating Network (z.B. Berlin 19./20.3.) von Holisticon (Hamburg) und von der Facilitation Academy (Berlin) angeboten.

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