Aufstellungsarbeit ist weit verbreitet und wird in der Arbeit in und mit gemeinnützigen Organisationen sehr verschieden durchgeführt – je nach den Zielen und konzeptionellen Hintergründen. Im Labor stellten wir uns die Frage, wie Aufstellungen im virtuellen Raum machbar sind, wenn die einzelnen Akteure sich in unterschiedlichen Räumlichkeiten befinden, einander nicht berühren können und die Wahrnehmung von bestimmten Körperreaktionen (trotz technischer Hilfsmittel, wie Bildschirm, Lautsprecher, …) nur eingeschränkt möglich ist.

Gábor Vozári, unser Trainer des Nachmittags betonte zunächst, dass der Begriff „Aufstellung“ viel breiter aufgefasst werden kann als das, was viele darunter verstehen. Selbstverständlich kann eine Aufstellung durch Personen (Repräsentant*innen), oder durch Figuren auf einem sogenannten Systembrett erfolgen. Wir können aber genauso mit Hilfe unserer Hände (durch systemische Gestik), durch die Bewegung unserer Finger auf einem Blatt Papier, oder durch die Positionierung von bestimmten Gegenständen (Bodenanker) im Raum Aufstellungen durchführen. Diese sind verschiedene Arten der Abbildung von Strukturen, verschiedene Wege für die Bildung eines Modellsystems. Unabhängig von der Art der Abbildung gibt es zentrale Kriterien, die ihre Qualität beeinflussen: ob wir das System des Anliegens achtsam definieren, ob wir die Elemente des Systems bewusst bilden, ob wir unseren Fokus (also das Anliegen) auf die „Bezogenheiten“ zwischen diesen Elementen richten und ob wir über das Kognitive hinaus unseren ganzen Körper in die Wahrnehmungsprozesse einbeziehen.

Gábor bezog sich im Labor spezifisch auf die systemischen Strukturaufstellungen, eine Form der Aufstellungsarbeit, die von Insa Sparrer und von Prof. Dr. Matthias Varga von Kibéd am Münchener SySt®-Institut begründet wurde und erforscht wird. Die Grammatik der bei SySt verwendeten „transverbalen Sprache“ ermöglicht, dass grundsätzlich alles aufgestellt werden kann: Es werden nicht die Systeme selbst aufgestellt, sondern ihre Strukturen, also die Bezüge der einzelnen Elemente zueinander, die aus dem Anliegen des*r Klienten*in entstehen.

So ermöglichen systemische Strukturaufstellungen eine Externalisierung und eine räumliche Darstellung von Zusammenhängen. Parallel zu diesem Blick „von außen“, die die Klient*in durch das Aufstellungsbild gewinnt, berichten die Repräsentant*innen über ihre eigenen Empfindungen, die sie während ihrer Repräsentation wahrnehmen – und die sich durchaus von denen der Klient*innen unterscheiden können. Diese Unterschiedsempfindungen treten auch in dem Fall auf, wenn die Repräsentant*innen gar nichts über die Inhalte der Aufstellung (oder über das, was sie gerade repräsentieren) wissen. Diese „repräsentierende Wahrnehmung“ ist ein zentrales Phänomen bei Aufstellungen; sie kann auch online erzeugt werden. Wenn als abschließender Schritt die Klient*in selbst in ihr Aufstellungsbild eintritt, (meist dann, wenn das Bild bereits einen Lösungszustand aufweist) entsteht auch bei ihr eine Wahrnehmung bezüglich ihres Anliegens (und potenziell darüber hinaus), die auch Körperempfindungen einbezieht, über das Sagbare hinaus geht und so breitere Perspektiven als nur die kognitiven Eindrücke aktiviert.

Die Übungen, die wir im Labor mit Gábor durchgeführt haben, zeigten Aspekte, die dazu beitragen können, die repräsentierende Wahrnehmung auch online zu erzeugen oder zu erleben. Diese Übungen sind Teile des sogenannten „SySt®-Raums“, der über die Aufstellungsarbeit hinaus dazu beitragen soll, die Qualität und Tiefe unserer Begegnungen auch in der virtuellen Welt zu ermöglichen.

Es zeigte sich bereits mit dieser kurzen Einführung im Labor, dass ein ganzer Kosmos hinter den Strukturaufstellungen liegt. Sie finden sich auch in online-Versionen der Aufstellungsarbeit. Einige Aspekte und Elemente dieses Kosmos lassen sich (ohne Anspruch auf Vollständigkeit) folgendermaßen beschreiben: 

  • Bei der Beschreibung des Anliegensystems ist es wichtig zu definieren, was überhaupt thematisiert werden soll. Darüber hinaus haben die Detailtiefe und die Art der Beschreibung eine große Bedeutung. Das gleiche Objekt oder Phänomen kann anliegenbezogen detailliert oder einfach beschrieben werden. So können z.B. die Hände einer Person nur als Pegelstände oder Standpunkte in einem gegebenen Raum gesehen werden. Auf diese Weise verzichten wir auf alle Details, die eine Hand aufweist und sie wirkt nur als einfache Markierung. Die Hände können aber auch im Detail betrachtet werden in Hinblick auf Form, Beschaffenheit, Größe oder die Beziehung der Finger zueinander. Durch einfache Übungen wurde für uns schnell erlebbar, dass es eine große Auswirkung hat, ob wir etwas (anliegenbezogen) als einfaches Element, oder als zusammengesetztes, komplexes System betrachten. 
  • Auch online lässt sich Nähe erzeugen. Eine Übung, die wir gemacht haben: Eine*n andere*n Teilnehmer*in als „Großaufnahme“ im Bildschirm darzustellen (bei Zoom ist es die Funktion: pinnen), egal, wer das Gegenüber ist. In dieser Großaufnahme dann sehen und gesehen werden (angeleitet durch eine gute und sensible Moderation) zulassen: Details des Gesichtes und der verschiedenen Gesichtspartien; der Hintergrund, einer möglichen Veränderung meiner Wahrnehmung, wenn ich zwischen Figur und Hintergrund wechsele. 

Neben allem anderen die Wirkung auf unsere Gruppendynamik: trotz des digitalen Zugangs hat sich ein anderes Gefühl von miteinander, Austausch und Nähe ergeben, war der Austausch anschließend an diese Übung intensiver als vorher. 

  • Die Überwindung der Distanz und das Gefühl der unmittelbaren Begegnung lässt sich noch weiter entwickeln. Über ein Blatt Papier – mit einer als Norden definierten Ausrichtung – lassen sich mit Klebezetteln oder anderen Möglichkeiten – Situationen auf Papier stellen. Aufgrund der gemeinsamen „Einordung“, können andere die Aufstellung auf ihren Papieren nachempfinden; Durch die Einrichtung eines Koordinatensystems wie auf Landkarten lassen sich Bewegungen sogar genau nachverfolgen. Das klingt „technisch“; wird diese technische Bezogenheit jedoch überwunden, kann die Arbeit eine Tiefe haben, die dem gemeinsamen Sensemaking in einem Raum nicht nachsteht. 
  • Diese Ansätze weiter gedacht, können sogar Personen online gestellt werden. Mit Hilfe von Kamera, Moderation und gemeinsamer Achtsamkeit, kann das Erleben von Berührung nachempfunden werden. Somit können Personen in ihre Repräsentation „eingerollt“, sowie in das Aufstellungsfeld eingeführt werden.
  • Für die räumliche Orientierung während der Aufstellung wird unter anderem durch sorgfältig getroffenen Vereinbarungen gesorgt, wie die Festlegung, dass die Kamera die jeweiligen Aufstellungsfelder bei jeden Beteiligten aus dem gleichen Blickwinkel („vom Süden“) zeigt. 

Stellt man im virtuellen Raum auf, wird die Erzeugung der repräsentierenden Wahrnehmung durch die Resonanz von bis zu sechs verschiedenen, parallelen Aufstellungen sichergestellt. Hierzu gehören die systemische Gestik, die Aufstellung auf Papier mit (sogenannten kataleptischen) Fingern, die Aufstellung mit Bodenankern durch den Klienten, die Aufstellung mit Platzmarkierungen bei den Repräsentanten, die Abbildung der Aufstellung aus der Vogelperspektive, die für ein gemeinsames Bild bei allen Beteiligten sorgt, sowie die Aufstellung im virtuellen Raum über (z.B.) Zoom. Eine Übersicht findet Ihr auch in der folgenden Grafik:

Natürlich braucht man nicht bei jeder Aufstellung alle dieser sechs Ebenen. Man hat sie aber als Möglichkeitsraum, worauf man bei Bedarf zugreifen kann. Im Labor hat uns Gábor diverse Varianten vorgestellt, wie man die einzelnen Aufstellungsformen durchführen und miteinander kombinieren kann.

Wesentliche Erkenntnisse aus dem Abend

Natürlich braucht es für die Moderation von Aufstellungen ein gerüttelt Maß an Kenntnis und vor allem auch praktischer Erfahrung. Feinheiten wie Stimmfärbung, Haltung der Hände, Sensibilität für Rückmeldungen, technische Fähigkeiten wie „Ein- und Ausrollen“ waren einige praktische Beispiele der komplexen Herausforderungen, Aufstellungen moderierend zu begleiten. Welche Möglichkeiten in einem sytematischen Zugang zu dieser Arbeit steckten, zeigten verschiedene Rückmeldung am Ende des Labors:

  • Es war beeindruckend, wie es mit Hilfe der Aufstellungsarbeit gelungen ist, angepasst zwischen strukturellen Zusammenhängen und dem systemischen „Draufblick“ und ihren Auswirkungen und persönlichen Eindrücken und Empfindungen im Detail hin und herzuwechseln und beide Perspektiven miteinander zu verbinden und zu befruchten. 
  • Es war neu und erfahrungsreich, wie intensiv die Arbeit online umgesetzt werden kann und hier auch die persönliche und emotionale bzw. intuitive Ebene erkennbar gemacht werden. Dabei half es – fast schon paradox – nicht nur die technischen Begebenheiten als gegebene Faktor zu akzeptieren, sich jedoch nicht zu sehr drauf zu fixieren. 
  • Der „Tanz“ zwischen Komplexitätsreduktion und Anreicherung im Detail hat die Arbeit sehr lebendig gemacht. 
  • Die Räume für „repräsentative Wahrnehmung“, die verbindende Aufstellungsarbeit auch über die digitalen Grenzen ermöglichen und so den Protagonist*innen unterstützen, Handlungsspielraum in ihrer Situation zu entwickeln. 

Sinnvoll zusammen wirken

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