Wut Mut Liebe!

Politischer Aktivismus und die echte Rebellion

von Charles Eisenstein

Vor vielen Jahren habe ich mit einem Kollegen überlegt einen Blog unter der URL „alleteins.de“ zu betreiben, weil wir in einem unserer Gespräche darauf gekommen waren, dass die Art und Weise wie wir Organisationsentwicklung verstehen und in die Welt bringen, was Gewaltfreie Kommunikation damit zu tun hat und wie sich das mit Inklusion, Diskriminierungssensibilität, Soziokratie, New Work und Freien Schulen versteht, am Ende alles eins ist. Es geht immer darum, das Leben zu bewahren. Es geht um Heilung. Es geht um Verbundenheit und letztlich lässt sich alles daran messen.

Charles Eisenstein kommt zu ähnlichen Schlüssen in seinem 60 Seiten starken Büchlein, wenn auch sehr viel eloquenter formuliert und vor allem nicht auf die Organisationsentwicklung sondern auf Ökosysteme bezogen. Aber auch in der Organisationsentwicklung wird immer häufiger von Ökosystemen (metaphorisch) gesprochen und so kann „Wut Mut Liebe!“ hier nicht nur anregen sich Gedanken zur Heilung unseres lebendigen Planeten zu machen, sondern regt auch unmittelbar zum Handeln an, mit dem jede:r von uns sofort beginnen kann. Auch das ist ein Anspruch, dem wir ins Coachings und anderen Prozessbegleitungen gerne folgen.

Eisenstein beschreibt vier Prioritäten, die seiner Ansicht nach der Heilung des lebendigen Planeten dienen und denen wir uns hingeben sollten – anders als bekannte Mahner:innen des Klimawandels wie die Menschen von Extinction Rebellion oder Fridays for Future, setzt er nicht die Reduktion von CO2 an erste Stelle, sondern den „Schutz aller verbleibender Urwälder und anderer noch nicht geschädigter Ökosysteme. […] Jedes intakte Ökosystem ist ein kostbarer Schatz, ein Hort der Artenvielfalt, ein Refugium für die Regeneration des Lebens. In ihnen ist jene tiefe Intelligenz der Erde noch lebendig, ohne die eine vollständige Heilung nicht möglich sein wird.

Die zweitwichtigste Priorität laut Eisenstein ist die „Wiederherstellung und Regeneration der geschädigten Ökosysteme weltweit“.

Dritte Priorität ist es  „mit dem Vergiften der Erde aufzuhören.

Und die vierthöchste Priorität erst ist „die Reduktion von Treibhausgasen in der Atmosphäre.“

Hierzu führt es nachvollziehbar aus, wie die Reduktion von Treibhausgasen schon ein Nebeneffekt der drei höheren Prioritäten ist.

Um aus diesen vier Prioritäten Handlungen erwachsen zu lassen, braucht es, so sagt er, Ehrfurcht vor allen Wesen, da sie die Grundlage einer Revolution der Liebe sei. Wenn wir diese Ehrfurcht nicht haben, dann mischten wir nur die Karten neu. Wo immer es um soziale, politische, ökonomisch, ethnische oder sexuelle Gerechtigkeit geht – um die Wiederherstellung der Integrität jener, denen sie genommen wurde -, geht es um dieselbe Sache. Diese Themen sind nicht bloß politisch korrekte Nebenschauplätze. Sie gehören zum Ganzen. Keines dieser Probleme kann unabhängig von den anderen gelöst werden.“  – Allet eins.

Ganz besonders nimmt Charles Eisenstein in diesem Buch zwei Probleme und ihre Folgen in den Blick: Schulden und Krieg. Hier bezieht er sich auch auf sein Buch “Ökonomie der Verbundenheit” (das einen anderen SOCIUS liest Beitrag wert ist) und führt an, dass eine Postwachstumsökonomie möglich sei, in der Fortschritt nicht als Wachstum und Wohlstand nicht als quantitatives Mehr verstanden wird. Dafür fordert er einen “Schuldenerlass auf breiter Front.

Er warnt eindringlich davor, wie die Wachstumsmaschine Marktbeziehungen auf jeden Winkel des Lebens ausweite – und spätestens hier können direkte Zusammenhänge mit Fragen der Organisationsentwicklung gezogen werden. In Marktbeziehungen versuche jede Partei den besten Handel zu erzielen, während alle anderen Wesen für das Eigeninteresse instrumentalisiert würden. Die Grundeinstellung jeder Beziehung sei deshalb eine feindschaftliche. Schuld sei insbesondere eine Form von “Macht-über” [power over]. 

Nun können wir im “guten”, gemeinnützigen, dritten Sektor meinen, wir seien dem nicht unterworfen, weil wir ja nicht nach diesen Marktgesetzen agieren und entsprechend auch unsere Organisationsentwicklung sich nicht an diese Gesetze halten müsse. Hier verkennen wir meiner Ansicht nach aber wesentlich, dass der Dritten Sektor sich längst den Marktgesetzen unterworfen hat, dass Förderung immer häufiger an betriebswirtschaftliches Handeln gekoppelt wird.  Auch wenn die Sinnhaftigkeit in der Arbeit von NGOs immer noch eine große Rolle spielt, werden betriebliche Entscheidungen häufig nicht am Sinn der Organisation ausgerichtet. 

“Ein Kurswechsel zu einer Heilung der Erde erfordert Solidarität und eine gemeinsame Zielsetzung. Wenn wir unsere kreativen Energien und Lebenskräfte im Kampf gegeneinander aufbrauchen, was bleibt dann übrig, um diesen mächtigen Wandel in Gang zu setzen?

Fortan spricht Eisenstein die geneigten Leser:innen direkt an, diejenigen die sich im Recht glauben mit ihren Ansichten, die Debatten so zuspitzen, “dass sie sich nicht einmal darauf einigen können, was als Tatsache gilt. Jede der Streitparteien, von den Untergangspropheten über die Alarmisten bis hin zu den Skeptikern, scheint in der eigenen Realitätsblase gefangen zu sein.” 

Dann beschreibt er welcher Faustregel er selbst folgt, in solch extremen Polarisierungen – und das erinnert mich doch sehr an die Haltung der Mediation: “Worüber sind sich beide Seiten stillschweigend einig? Was gilt als selbstverständlich? Welche Fragen werden nicht gestellt? Könnte die Heftigkeit mit der die Debatte geführt wird, ein viel wichtigeres Thema verschleiern, das eigentlich unsere Aufmerksamkeit braucht?”.

Und so kommt Eisenstein am Ende seines Büchleins zu einigen Gedanken und Fragen, die uns auch unter dem Aspekt der Ganzheitlichkeit in der Organisationsentwicklung begleiten: “Ein jedes leistet seinen Beitrag zum Ganzen. Aus diesem Grund wird jedes Ökosystem [wir erinnern uns – auch Organisationen oder Netzwerke werden immer häufiger als Ökosysteme bezeichnet] schwächer, aus dem eine Art entfernt wird. Vom reinen Wettbewerbsstandpunkt aus sollte eine Art besser dran sein, wenn ihre Konkurrentin ausgelöscht wird, aber in der Tat ist sie schlechter dran.” Denn: “Das Leben schafft die Bedingungen für weiteres Leben. Nach diesem Prinzip sind die Menschen ebenfalls hier, dem Leben rundherum etwas zu schenken; wir sind hier um dem Leben zu dienen. Wir als Zivilisation haben lange das Gegenteil getan. Nichts weniger als eine totale Revolution der Liebe, ein großer Wandel, wird deshalb genügen.”

Dem ist nicht hinzuzufügen. 

Charles Eisenstein (* 1967) ist ein US-amerikanischer Kulturphilosoph und Autor. Neben seiner schriftstellerischen Tätigkeit arbeitet er als Vortragsredner und freier Dozent.

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