Kathrin Schrader interviewt Rudi Piwko:

Ich war von einer Freundin auf Socius aufmerksam gemacht worden, hatte mir die Website angeschaut und versucht zu begreifen, was mit Organisationsentwicklung gemeint ist, bis ein Satz in der Rubrik „Socius Wissen“ mich förmlich aufschreckte: „Es geht nicht, sich oder eine Organisation nicht zu entwickeln.“

Ich wollte wissen, auf welche Art und Weise Socius gemeinnützige Organisationen mit diesem Satz in die Pflicht nimmt, doch Rudi Piwko, der Gründer von Socius wollte gar nicht über Pflicht sprechen, sondern statt dessen über Freude, nicht etwa in einem spirituellen, sondern im genussvollen, im hedonistischen Sinn.

Organisationsentwicklung als hedonistisches Vergnügen – wie geht das?

vergnuegliche-organisationsentwicklung

Vergnügliches Organisieren entwickeln

Rudi Piwko: Es ist die Freude, selbst immer weiter zu lernen und vor allem die Freude über das Vertrauen, das mir geschenkt wird. Es gibt ja zwei Methoden, wie man Entwicklung als Begleiter unterstützen kann. Das eine ist, dass man wie ein Helikopter oben drüber fliegt und sich einen Überblick über die Organisation eines Unternehmens verschafft, dabei aber in der Distanz bleibt, die andere ist, dass man rein geht und als eine Art Medium in die Empfindungen einsteigt und diese spiegelt – diese Methode liegt uns eher.

 

Was für Strukturen, die „Entwicklungshilfe“ brauchen, findest du vor?

Rudi Piwko: Das ist ganz unterschiedlich. Da war zum Beispiel ein Verband, der in den letzten Jahren sehr schnell gewachsen ist und nun vor der Herausforderung stand, alle Mitarbeiter, auch die Ehrenamtlichen, in die Entscheidungsprozesse einzubeziehen.

Ist das nicht extrem zeitaufwändig, immer mit allen über alles zu reden?

Rudi Piwko: Sehr. Viele meinen, sie könnten sich das nicht leisten. Ich argumentiere immer mit den Kosten, die entstehen, wenn man versäumt, das zu tun. Die Titanic ist nicht gesunken, weil die Leute nicht gut gearbeitet haben, sondern weil es ein Informationsleck gab.

Dieser Verband von dem ich sprach, war nicht vom Untergang bedroht. Im Gegenteil. Aber sie spürten, dass sie Hilfe brauchen, dass es irgendwo quietscht. Es ging um die Entwicklung einer Dialogkultur, um Arbeits- und Lebensqualität.

Ich verstehe, was du meinst. Manchmal kommt man in ein Unternehmen und spürt schon, wenn man den Pförtner begrüßt, welche Atmosphäre dort herrscht.

Rudi Piwko: Ja genau, aber es ist nicht immer schwarz-weiß. Es gab auch eine Organisation, in der alles auf den ersten Blick stimmte. Alle waren freundlich. Aber plötzlich merkten wir, dass sie überfordert sind. Sie arbeiteten seit Jahren in einem Haus, das ihnen geschenkt wurde, jetzt war es aber zu klein geworden. Auch die letzte Ecke war gefüllt mit Dingen. Das stresste die Mitarbeiter. Letzlich können es auch recht banale Ursachen sein, die Mühe bereiten.

Wie gehst du vor? Was ist der erste Schritt auf dem Weg der hedonistischen Freude, eine Organisation bei einer Entwicklung zu begleiten?

Rudi Piwko: Im Falle des Verbandes haben wir im Leitungsteam begonnen. Ich habe Einzelinterviews mit jedem geführt. Diese dienten aber nur dazu, eine Methode des Vorgehens zu finden. In dem Workshop, der anschließend stattfand, kamen dann alle miteinander ins Gespräch. Unsere Aufgabe bestand im Wesentlichen darin, Raum und Zeit – und einen Anlaß – zu geben. Über Emotionen und Beziehungen schließlich ins Gespräch über Abläufe zu kommen, ist eine einfache, wirkungsvolle Vorgehensweise.

Welche Rolle spieltest du in dem Workshop?

Rudi Piwko: Ich war eher Beobachter und spiegelte den Teilnehmern, was ich empfand. Ich bleibe dabei immer im Hier und Jetzt, spekuliere also nicht über Vergangenes und Hintergründe. Das ist auch eine große Quelle der Freude in Entwicklungsprozessen: Im Hier und Jetzt bleiben. Wir werten auch nicht, wir suchen selten einen Schuldigen, denn ich bin der Meinung, dass alles seine Berechtigung hat. Vieles, das nicht mehr funktioniert, ist eben auch das Ergebnis einer Entwicklung, die stattgefunden hat. Man muss das herausfinden und würdigen.

Was war das Ergebnis deiner freudigen Intervention?

Rudi Piwko: Wie willst du sagen, was das Ergebnis eines Baumes ist? Unser Ziel ist es, Mitarbeiter dazu zu bringen, dass nicht die Sachziele ihrer Arbeit als erster Punkt auf der Agenda stehen, sondern der Dialog mit den Mitarbeitern, das WIE der Zusammenarbeit. Wie schon gesagt, geht es um eine neue Kultur, um wegzukommen von dem gefährlichen Motto: ‚Der Zweck heiligt die Mittel’. Wir versuchen, Zweck und Mittel deckungsgleich zu gestalten.

Auch Socius ist im letzten Jahr schnell gewachsen. Ihr habt jetzt Büros in München, Hamburg und Köln. Steht ihr vor ähnlichen Herausforderungen wie dieser große Verband?

Rudi Piwko: Unsere eigene Entwicklung zu organisieren ist gerade meine größte Freude. Das ist die Freude an der Selbstreflexion. Denn jetzt haben wir die Gelegenheit, das positive Menschenbild, von dem unsere Beratung ausgeht, in unserer eigenen Unternehmensstruktur unter Beweis zu stellen. Wir arbeiten transparent, legen Wert auf Offenheit und stellen die Beziehungen in den Mittelpunkt unserer Arbeit. Die Qualität unserer Arbeit hängt nicht zuletzt auch von unserem eigenen Miteinander ab. Auch wir stehen jetzt vor der Herausforderung – wie sonst unsere Gegenüber – , uns selbst genügend Zeit und Raum zu für unsere Gemeinsamkeiten zu gönnen. Wir denken, die „Kunden“ – also unsere Partner – werden dies merken.

In den vergangenen zehn Jahren gab es übrigens niemanden, der bei Socius fest dabei war und wieder ausgestiegen wäre. Diese Zufriedenheit kommt vermutlich von den vielen Gestaltungsmöglichkeiten. Wir basteln jedenfalls an unseren eigenen Karriereleitern. Gerade haben wir eine Etage drauf gesetzt. Bisher war ich der Geschäftsführer. Jetzt bin ich der Vorstand der Genossenschaft, die das Dach der vier Gesellschaften in Berlin, Hamburg, Köln und München bilden wird, und Andreas Knoth ist mein Nachfolger in der Geschäftsführung der Socius Berlin gGmbH. Es ist ein bisschen so, wie Bäume wachsen.

Wieso bietet ihr eure Beratung eigentlich nur gemeinnützigen Organisationen an? Es wäre doch gerade in der Privatwirtschaft so wichtig, diese neue Kultur zu etablieren.

Rudi Piwko: Das hat mit unserem Hintergrund zu tun. Jeder von uns hat schon eine NGO aufgebaut oder in einer maßgelblich mitgewirkt. Wir sind in einer bestimmten Kultur zu Hause, man könnte sagen, dass in gemeinnützigen Organisationen oft ein Sinnüberschuss herrscht. Das ist uns vertraut. Wer bei Terre des Hommes arbeitet, für den spielt unterm Strich Geld nicht unbedingt die Hauptrolle. Wenn einer Schrauben produziert, die sowohl in Panzer als auch in Windräder eingesetzt werden, muss er sich schon hinsetzen und diesen Sinn konstruieren.

Aber ich sehe auch in der Wirtschaft einen großen Wandel. Immer mehr Unternehmern wird klar, dass das Produkt besser wird, je mehr sie sich um die Art und Weise der Produktion kümmern. Und das ist auch unser Ziel: Zu beweisen, dass das effektiver ist als eine reine Orientierung auf den Gewinn oder das Produkt an sich. Und das mit Freude erzielte Ergebnis ist dann meist auch das bessere Ergebnis. Ob in der Wirtschaft oder in gemeinwohlorientierten Organisationen.

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