1. Bushe und R. Marshak (Hrsg.) , Barrett-Kohler Publishers, Oakland 2015

Als ich kürzlich einen Londoner Berater-Kollegen nach seiner konzeptionellen Beheimatung fragte, legte er kurz und bündig den Begriff „Dialogic OD“ auf den Tisch. Mein anerkennendes Nicken (Sounds good!) war von skeptischer Neugier unterlegt (ein neues Catch-Lable?). Kurz darauf fiel mir in der SOCIUS Bibliothek der dazu passende Sammelband von Bushe und Marshak in die Hände. Vorwort von Ed Schein, das schaut man sich ja erstmal wohlwollend an…

Das Buch ist eine programmatische Wagenburg. Es folgt dem Anspruch, die theoretische Fundierung, die Diskurs-Position und das Denkmodell des Dialogischen Ansatzes aufzufächern. Die Herausgeber versammeln hierzu Pioniere der Forschung und Beratungspraxis im Themenfluss von Selbstorganisation, Emergenz und Komplexität (darunter etwa Ralph Stacey, Peggy Holman und Frank Barrett), die in ihren Beiträgen zu einem gemeinsamen Gedanken einladen: Systeme verändern sich nicht durch die Einführung neuer Strukturen und Prozesse und erst recht nicht durch Strategiepapiere oder Mission Statements. Sie verändern sich in ihrer eigenen Logik dialogisch – durch kontinuierlichen direkten und offenen Meinungs- und Perspektiv-Austausch, oder im Art of Hosting Jargon: durch „Meaningful Conversations“. Wenn anderswo in der OE davon die Rede ist, dass man alles verändern kann außer der Organisationskultur, impliziert die Dialogische OE somit genau das Gegenteil: das Einzige, womit sich wirklich etwas ändert, ist die Kultur, genauer: die dialogisch vermittelten Sinn- und Deutungsmuster der Organisation.

 

Das Spielfeld der Dialogischen OE liegt in diesem Bedeutungs-System. Die Begleitung kann impulsgebend sein, indem sie Musterunterbrechungen provoziert und neue Deutungs-Angebote in die Organisation einspeist. So wird etwa Im „Generative Metaphor Intervention Process“ zunächst der Fokus gezielt weg vom konkreten Bearbeitungsfeld in einen symbolischen Raum gehoben (eine Geschichte, ein Bild, eine Analogie). Dann wird in diesem Raum durch gemeinsame kreative Assoziation eine neue Metapher eingeführt, die den Gegenstand ins Licht alternativer Deutungen rückt (hierfür steht der Schlüsselbegriff des „Generative Image“). Es folgt eine spielerische Auseinandersetzung mit der Metapher sowie schließlich die Reflektion und der Rückbezug der Erkenntnisse auf das Bearbeitungsfeld.

Wo Störungen und Wandel der Sinngebung durch interne oder externe Turbulenzen bereits gegeben sind, besteht die wichtigste Rolle der Begleitung darin, sichere Räume als Dialog- und Beziehungsrahmen zur Verfügung stellen und zu halten.

Im Gegensatz zu klassischen „diagnostischen“ Ansätzen setzt die Dialogische OE statt geplanter Entwicklung (unfreezing-moving-refreezing) auf begleitete Emergenz. Das System macht seine Entwicklungs-Hausaufgaben im Großen und Ganzen selbst, der Transformative Wandel folgt der Eigendynamik der Selbstorganisation. Was genau dabei „hinten“ rauskommt, ist mithin kaum vorhersagbar – ein für die Auftraggeber*innen von Beratungsprozessen eher ungemütlicher und gewöhnungsbedürftiger Umstand.

 

 

Die akademisch-philosophische Flughöhe des Buches wird zwar immer wieder durch den Erfahrungsschatz der beitragenden Praktiker*innen geerdet, dennoch finden sich hier keine Kochrezepte. Wer das How-To der Dialogischen Arbeit lernen will, muss sich erst einmal noch den einzelnen Schulen verschreiben, die sich unter dieser Flagge versammeln (Art of Hosting, Story Work, Transformative Learning Practice, Appreciative Inquiry…). Es gibt also noch einiges zu tun (u.a. auch, dieses Buch zu übersetzen). Und auch wenn noch nicht alle Fragezeichen gelöscht sind, steigt in mir der Verdacht, dass die Dialogische OE auch eine meiner konzeptionellen Beheimatungen sein könnte.

„I find myself more interested in, and most effective, when I am drawing attention to and confronting deeply held conceptual metaphors or storylines that are implicitly framing experience. From a dialogic perspective I am seeking to “disrupt” the pre- vailing storyline (alter or break the taken-for-granted frame) while creating a context or container that is safe enough for people to explore new possibilities“. (Robert Mashak, OD Practitioner 42/2, 2015)

Gelesen von Andreas Knoth.

 

 

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