Vor 21 Tagen habe ich meine Auszeit begonnen. Und obwohl die Zeit schon läuft, fühlt es sich an, als hätte ich gerade erst die Schuhe ausgezogen und wiederentdeckt, wie es sich anfühlt, tagtäglich keine festen Schuhe mehr zu tragen. Und dabei beobachte ich, wie es sich überhaupt anfühlt, nicht zu funktionieren.
Im Moment bin ich auf Bali, meinem ehemaligen Zuhause, wo ich 12 Jahre meines Lebens verbracht habe. Ich wache morgens ohne To-do-Liste auf und frage mich: heute spazieren? lesen? essen? jemanden treffen? oder gibt es größeren Fragen, denen ich mich heute zuwenden will? Es ist erstaunlich, wie schnell trotz allem die innere Kritikerin anklopft: Hast du heute schon genug aus deiner Zeit gemacht?
Offenbar kennt mein Gehirn das Konzept „absichtliches Nicht-Produktivsein“ noch nicht.
Ich mag meinen Beruf sehr, manchmal vielleicht ein bisschen zu sehr (mit Sicherheit, wenn man Menschen fragt, die mir nahestehen). Die Arbeit ist tief in meiner Identität verankert – so fest, dass ich manchmal vergesse, welche anderen Anteile es in mir gibt, für die im Alltag sehr wenig Raum ist.
Eine wichtige Frage für die nächsten Monate lautet deshalb: Wer bin ich, wenn ich nicht ständig meine berufliche Rolle ausfülle, wenn ich nicht der Taktung des dichten Lebens nachkomme?
Ein Team, das Auszeit möglich macht
Mir ist dabei vollkommen bewusst, wie privilegiert es ist, mir diese Pause leisten zu können – finanziell, familiär, beruflich. Und ich weiß, dass es ohne mein Team niemals gegangen wäre: Postfach im Blick behalten, mich weiterhin in Angebote einplanen, mit Selbstverständlichkeit mittragen, dass ich drei Monate nicht beitrage zum Gemeinwesen. Die Reaktionen waren überwältigend positiv:
„Endlich!“ – „Das musst du machen!“ – „Ich bin stolz auf dich!“ So viel kollegialen Rückenwind hatte ich nicht erwartet. Und dafür bin ich wirklich dankbar.
Warum jetzt?
Die erste spontane Antwort: Ich war sehr müde. Beratung ist ein Beruf, der viel Präsenz braucht – emotional, gedanklich, in Gruppenprozessen und in einer Welt, die sich gerade nicht mit kleinen Herausforderungen begnügt.
Zu Hause geht es nahtlos weiter: alleinerziehende Mutter von zwei fast erwachsenen Kindern, Tochter einer Mutter mit Demenz. Viel Verantwortung. Viel Liebe. Wenig Pause.
Und die zweite ganz wesentliche Antwort: Weil sich jetzt gerade die einmalige Chance bietet, mit meinen Kindern – vielleicht ein letztes Mal in dieser Intensität – Zeit zu teilen, gemeinsam unterwegs zu sein, auf gemeinsame Spurensuche zu gehen in dem Land, in dem sie ihre ersten Lebensjahre verbracht haben.
Worum es in den nächsten Monaten geht
Ich habe keine Bucket-List und keine heimliche To-do-Liste.
Aber ich habe eine Forschungsfrage:
Was taucht auf, wenn ich nicht funktioniere? Wer bin ich ohne Rollen, ohne Nützlichkeitslogik, ohne den Fokus auf permanente Wirksamkeit? Welche Themen, welche Gedanken, welche Wünsche und Motivationen steigen an die Oberfläche?
Wenn ich am Ende nur ein einziges Gefühl mitnehme – einen Moment, in dem ich mich lebendig oder neugierig oder überraschend frei gefühlt habe – reicht das. Vielleicht sogar mehr als genug.
Und was hat das mit meiner Tätigkeit als Organisationsberaterin und Coach zu tun?
Tatsächlich: sehr viel.
Ich begleite Menschen dabei, wichtige Entscheidungen zu treffen, Veränderungen zu wagen, herauszufinden, wie sich begrenzte Kraft gut einteilen lässt und mutig auf das zu hören, was ihnen wirklich entspricht.
Das kann ich nur tun, wenn ich selbst übe, dem zu folgen, was mein Herz mir sagt, auch gegen innere und äußere Widerstände: innehalten, reflektieren, regenerieren, neu sortieren.
Diese Auszeit ist kein Ausstieg.
Ich sehe es eher als einen Akt der Selbsterhaltung.
Ein Investment in Präsenz und Energie und in die zentrale Beziehung in meinem Leben, die nicht nur Verantwortung, sondern auch Sinnhaftigkeit für mich bedeutet – damit ich künftig noch lange Räume halten kann, in denen Menschen und Organisationen sich entwickeln können.
Ich möchte zurückkehren – nicht als jemand, die alles „herausgefunden“ hat, sondern als jemand, die wieder vertraut darauf, dass Leben und Arbeit nicht ausschließlich im Takt der Produktivität definiert werden dürfen.



