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Ein Besuch im Haus der Kulturen der Welt zur Buchvorstellung mit Aladin El-Mafaalani.

Kinder und Jugendliche sind die einzige gesellschaftliche Gruppe, die systematisch von politischer Mitbestimmung ausgeschlossen ist. In ihrem Buch Kinder – Minderheit ohne Schutz zeigen Aladin El-Mafaalani, Sebastian Kurtenbach und Klaus-Peter Strohmeier eindrücklich, wie sich diese Tatsache auf die Lebensrealität junger Menschen auswirkt. An diesem Abend im Februar im HDKDW skizziert El-Mafaalani eine Zukunft, in der sich das Wohl der Kinder zunehmend verschlechtert, während ihre Stimmen weiterhin ungehört bleiben. Doch was bedeutet das konkret? Welche gesellschaftlichen und politischen Entwicklungen verschärfen diese Situation? Und welche Lösungen könnten helfen?

Politische Normalisierung und die Folgen für junge Menschen

Die letzten Jahre waren für Kinder und Jugendliche besonders prägend: Die 2007 Geborenen dürfen dieses Jahr das erste Mal wählen. Als sie in der Grundschule waren, kamen über eine Millionen Schutzsuchende nach Deutschland, sie können sich nicht erinnern, dass es eine Zeit gab, in der es die AfD nicht gab. Als sie Teenies wurden, kam die Pandemie, und es ist hinlänglich bekannt, wie sehr alle Schutzmaßnahmen zu Lasten von Kindern und Jugendlichen gingen, schon 2022 begann der Ukraine-Krieg, und neue Geflüchtete kamen in ihre Schulen und Klassen.  Und natürlich beeinflusst auch die Klimakrise ihre Lebensrealität entscheidend. Die Zustimmung zur AfD unter jungen Menschen wächst, was darauf hindeutet – so El-Mafaalani -, dass sie eine politische Realität akzeptieren, die für ältere Generationen noch befremdlich wirkt. Der Diskurs wird zunehmend von rechten Strömungen geprägt, während Erwachsene, die dagegenhalten, für viele Jugendliche an Plausibilität verlieren.

El-Mafaalani betont, dass diese Entwicklung langfristige Auswirkungen hat. 

Wer heute zehn Jahre alt ist, wird 2033 wählen dürfen – mit der Gewissheit, dass eine Zusammenarbeit mit der AfD für viele Parteien längst normalisiert wurde. Das politische Bewusstsein dieser Generation wird von einer Welt geprägt, in der Krisen und Unsicherheiten zum Alltag gehören.

Kinder als unsichtbare Gruppe

Kinder und Jugendliche werden in politischen Entscheidungen jedoch kaum berücksichtigt. Während ältere Generationen ihre Interessen durchsetzen können, fehlt es Kindern an institutionellen Vertretungen. Historisch betrachtet waren Kinder vor allem dann sichtbar, wenn sie zahlenmäßig stark vertreten waren – etwa in der Babyboomer-Generation. Heute jedoch gibt es weniger Kinder als je zuvor (2024 sind in Deutschland doppelt so viele Menschen 60 Jahre als geworden als 6 Jahre alt), sie tragen gleichzeitig das höchste Armuts- und Diskriminierungsrisiko. Das führt zu einem gesellschaftlichen Ungleichgewicht: Während immer mehr Ressourcen in Rentensysteme fließen, bleibt die Bildungs- und Betreuungsinfrastruktur auf der Strecke.

Als ein zentrales Problem identifiziert El-Mafaalani, dass Kinder zunehmend in Institutionen wie Kitas und Schulen untergebracht werden; diese werden jedoch primär für den Arbeitsmarkt optimiert – nicht für das Wohl der Kinder. Der geplante Ganztagsausbau ist ein Beispiel: Er dient in erster Linie dazu, die Erwerbstätigkeit der Eltern zu erhöhen, sagt El-Mafaalani. Doch was bedeutet es für Kinder, wenn sie mehr Zeit in Institutionen als mit ihren Familien verbringen, während diese Einrichtungen nicht kindgerecht gestaltet sind?

Bildungsungleichheit und fehlende Teilhabe

Bildung ist eine der entscheidenden Stellschrauben, um Kinder zu stärken. Aktuelle Studien zeigen: Vielen Kindern fehlt in der Schule eine Bezugsperson, die sich für sie interessiert. Besonders betroffen sind ohnehin benachteiligte Kinder. Schulen, in denen Kinder angeben, dass sie sich wichtig fühlen, zeigen deutlich bessere Ergebnisse – ein Hinweis darauf, dass Partizipation und Wohlbefinden zentrale Faktoren für den Bildungserfolg sind. Wenn Kinder aber zukünftig noch mehr Zeit in Einrichtungen verbringen, die systematisch kaputt gespart wurden, mit überlasteten Lehrkräften und grundsätzlich zu wenigem pädagogischem Personal, dann muss davon ausgegangen werden, dass das individuelle Interesse an jedem einzelnen Kind noch weiter sinkt und ein möglicher Ausgleich in der Familie rein zeitlich nicht zu erwarten ist. 

Auch die Zusammenarbeit zwischen Lehrer:innen und Sozialpädagog:innen ist oft mangelhaft, da traditionelle Strukturen eine enge Kooperation verhindern. Es braucht einen Kulturwandel in der Pädagogik, um Schule zu einem gestaltbaren Lebensraum für Kinder zu machen.

Digitale und analoge Räume für Kinder

Kinder und Jugendliche haben kaum eigene Räume – weder in der analogen noch in der digitalen Welt. Die Nutzung öffentlicher Räume ist stark eingeschränkt, und digitale Plattformen sind oft kein sicherer Rückzugsort. Gewalt- und Pornografieinhalte werden immer früher konsumiert, meist unfreiwillig. Gleichzeitig fehlt es an analogen Alternativen, in denen Kinder sich sicher und selbstbestimmt bewegen können.

Hier sind neue Konzepte gefragt: Community Center, generationenübergreifende Projekte und eine stärkere Vernetzung von Bildungs- und Freizeiteinrichtungen könnten helfen, Kindern mehr Teilhabe zu ermöglichen. El-Mafaalani widmet diesen Ideen in seinem Buch ein ganzes Kapitel. Ein Ansatz könnte sein, Senior:innen stärker in die Arbeit mit Kindern einzubinden – als Mentor:innen, die Erfahrung und Zeit mitbringen und eine Brücke zwischen den Generationen schlagen können. Mit der Boomer.Generation könnten sich in den nächsten Jahren ausreichend viele fitte Senior:innen engagieren. 

Was jetzt passieren muss

El-Mafaalani nennt drei zentrale Stellschrauben, um die Situation von Kindern zu verbessern:

  1. Mehr Investitionen in Bildung – ein „Sondervermögen Bildung“, das bessere Bedingungen für pädagogisches Personal und die Infrastruktur schafft.
  2. Ein Kulturwandel in der Pädagogik – eine stärkere Kooperation zwischen Lehrkräften und Sozialpädagog:innen, um Schulen kindgerechter zu gestalten.
  3. Vernetztes Denken – intergenerationale Ansätze, die Senior:innen als Ressourcen für Bildungs- und Betreuungsaufgaben einbinden.

Die derzeitigen Entwicklungen zeigen: Wenn wir nicht handeln, wird sich die Situation für Kinder weiter verschlechtern. Es ist höchste Zeit, Kinder nicht nur als eine Minderheit ohne Schutz zu betrachten, sondern als eine zentrale Gruppe, die unsere Zukunft mitgestaltet.

Das Buch habe ich erst im Anschluss an die Veranstaltung gelesen. Es ist ein wissenschaftliches Sachbuch, das die gründliche Analyse der aktuellen Situation von Kindern und Jugendlichen in den Mittelpunkt stellt, während die daraus entstehenden politischen Forderungen den kleineren Teil der Lektüre einnehmen. Dennoch bleibt klar: Kinder brauchen eine Lobby! Und dazu werden Handlungsmöglichkeiten aufgezeigt! 

Weitere Veranstaltungen: https://www.kiwi-verlag.de/buch/aladin-el-mafaalani-sebastian-kurtenbach-kinder-minderheit-ohne-schutz-9783462007527 

Autorin Nicola Kriesel

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