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Laborbericht vom 21. März 2024

Wie entsteht kollektive Handlungsenergie?

Alignment ist eine delikate Angelegenheit. Der Korridor, in dem sich die gemeinsame Ausrichtung eines Teams abspielt, kann weiter oder enger gefasst sein. Wenn er zu eng wird, wird der Anspruch an verbindliche Gemeinsamkeit zum Korsett. Wenn er sehr weit ist, droht Beliebigkeit und Zerfall. Alignment bezeichnet dabei nicht unbedingt nur das Teilen von Werten und Zielen.  Es ist vor allem die Synchronisation von Handlungsenergie. Wie diese entsteht und was es braucht, um sie immer wieder herzustellen, ist für gelingende Selbstorganisation eine entscheidende Frage. 

Im Labor widmten wir uns unter anderem der Frage, welche Rollen in diesem diffizilen Spiel der Synchronisierungen von Handlungsenergie, kollektiver Navigation und Prozesskontinuität zu vergeben sind. Neben der Impulsgeber:in (showing up) erscheinen uns in selbstorganisierten Teams die persönliche Fähigkeit zwischen Führen und Folgen zu navigieren sowie die Möglichkeit beiseite zu treten und auch bei nicht 100% Überzeugung für das Vorhaben, den Weg frei zu machen, wesentlich. Hier ist Selbstnavigation in Hinblick auf innere Widerstände und Spannungen und ein reflektierter Umgang damit gefragt. Was nicht zuletzt auch dazu führen kann, einen schwerwiegenden Einwand zu formulieren und damit ein “Stopp”-Zeichen für das Vorhaben zu setzen. 

Im Labor gehen wir ihr in einer Fall-Simulation nach, unterstützt  mit dem von uns entwickelten Alignment Pitch Deck. Die Progression hat drei Runden: 1. Einbringen eines Impulses. 2. Austausch zur Bewertung des Vorhabens. 3. individuelle Commitments.

Einbringen von Impulsen 

Selbstorganisierte Teams leben von rollenbasierter Verantwortungsübernahme, aber auch von Momenten situativer Führung. Eine Person hat einen Impuls, legt ihn in die Mitte und andere schließen sich an, lassen das Vorhaben gewähren oder stellen sich dagegen. Dabei ist schon der Moment des Einbringens oft unklar. Ist es eine wilde Idee oder ein konkretes Vorhaben? Ist es eine Einladung zum Mitdenken, zum Mittun oder nur die Information über einen rollenden Zug? 

Das Pitchdeck gibt der impulsgebenden Person hierfür drei mögliche Optionen vor: Die „Greenlight”-Karte drückt den Wunsch nach schlichter Einwilligung aus, dass das Vorhaben durchgeführt werden kann. Aufschlussreich kann hier eine Reflexion sein, um welche knappe Ressource dabei verhandelt wird, die die Einwilligung der Anderen überhaupt erst erforderlich macht. Es könnte um Raum- und Budgetnutzung oder auch die Inanspruchnahme von Zeit, Aufmerksamkeit und Sichtbarkeit gehen. 

Die zweite Alternative ist die „Einladungs”-Karte – ein Pitch, der die Tür zum gemeinsamen Handeln öffnet, ohne dass die Erwartung besteht, dass alle sich dem Impuls anschließen. Als dritte Option kann die „Appell“-Karte gespielt werden, mit der eine Aufforderung an das gesamte Team ausgesprochen wird, um sich einer Handlung anzuschließen. 

In einer anschließenden Informations- und Meinungsbildenden Runde können Fragen/ Meinungen geäußert werden. Dabei kann deutlich werden, dass es nicht immer hinreichend ist, dass die Einsortierung des Impulses ausschließlich durch die impulsgebende Person selbst erfolgt. Manches wird als Greenlight eingebracht, aber es bestehen Interessen und Ansprüche im Team zur aktiven Mitwirkung. Andersherum kann ein verbindlicher Appell auch zu einer Einladung heruntergestuft werden, wenn die Prämisse „alle oder keine:r“ stichhaltig hinterfragt wird.

Austausch zur Bewertung

In der zweiten Runde erfolgt eine Bewertung des Vorhabens anhand von zwei Sets von Feedback-Karten: Die strategische Bewertung gibt Rückmeldung zur Einschätzung des Potentials für das Team oder die Organisation im Ganzen – im Sinne einer Aufwands- und Ertragseinschätzung. Die persönliche Bewertung gibt Rückmeldung zum individuellen „Lustfaktor“ und zur Kapazität, die eine Mitwirkung ermöglicht oder verhindert. Die Karten werden in Runden ausgespielt und erläutert. Auf Grundlage dieser Rückmeldungen kann die impulsgebende Person ihren Vorschlag zurückziehen, modifizieren oder in die dritte Runde schicken.

Individuelle Commitments

Die dritte Runde besiegelt mit den Commitment-Karten das vorgestellte Vorhaben. Die Teammitglieder können sich dabei  wiederum zwischen drei Karten entscheiden:
A) Ich bin dabei und mache im Rahmen meiner Möglichkeiten mit. B) Ich gebe mein Einverständnis, dass das Vorhaben durchgeführt wird, aber ich bin nicht dabei (entweder weil ich keine Kapazitäten habe oder weil ich der Sache nicht im Wege stehen will, obwohl ich nicht 100% überzeugt bin. C) Ich habe einen schwerwiegenden Einwand und spreche mich dafür aus, dass das Vorhaben nicht umgesetzt wird.

Dass die Aushandlung von Impulsen auch mit dem Pitch Deck nicht reibungslos und schmerzfrei vonstatten geht, wird auch im Labor schnell klar. Deutlich wird aber auch, dass die Formatierung durch das Kartenset Klarheit und Transparenz schaffen kann, die den Prozess beschleunigt und im Kommunikationsverlauf Komplexität reduziert. 

Das Labor bringt noch eine weitere Erkenntnis: This is primal stuff. Die Annäherung an Alignment-Ability ist nicht allein Sache der Grosshirnrinde. Die Momente, in denen physisch erlebbar wird, dass eine gemeinsame Welle entsteht oder der Fluss blockiert ist, in denen eine eigene Positionierung eine emotionale Komponente hat – sei es in Körperübungen oder im achtsamen Wahrnehmen einer Auseinandersetzung – sind so mächtig und wesentlich, dass ein Training wie die Sieben Muskeln der Selbstorganisation auch hier nicht an der Verneigung vor dem somatischen Zugang zu kollektiver Entwicklung vorbeikommt.

Die Autor:innen

Andi Knoth

Lysan Escher

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