Die Schönheit der Differenz
Miteinander anders denken
von Hadija Haruna-Oelker (2022)
Schon vor vielen Jahren lernte ich bei Matthias zur Bonsens Lernforum in Oberursel Ines Boban kennen, eine Expertin in Sachen Inklusion. Damals wirkte sie mit ihrem Mann Prof. Andreas Hinz in Halle. Im Mai letzten Jahres traf ich die beiden im Urlaub auf Brac, da wo wir auch unsere Workations verbringen. Uns verbindet das Interesse und die Leidenschaft für demokratische und inklusive Lernorte. Wenn wir zufällig gleichzeitig auf Brac sind, dann lassen wir es uns nicht nehmen, mindestens einen Kava zusammen zu trinken und uns über Projekte, Ideen und gute Bücher auszutauschen.
So kam es, dass mir bei einem Ausflug auf die andere Seite der Insel Hadija Haruna-Oelkers Buch „Die Schönheit der Differenz – Miteinander anders denken“ empfohlen wurde. Andreas und Ines berichteten von der Lektüre, die für sie so lehrreich gewesen sei, dass ich mich schon freute, nach Hause zu fahren, um das Buch selbst zu lesen.
Tatsächlich: als weiße Akademikerin, Feministin und Aktivistin in Sachen Gleichberechtigung und Selbstbestimmung war die Lektüre lehrreich, tiefgründig und umfassend für mich. Der intersektionale Blick hat mir Einblicke gewährt, die mich berührt haben.
Einblicke in die Perspektiven der Intersektionalität
Hadija Haruna-Oelker ist Politikwissenschaftlerin, Journalistin und Moderatorin und schafft mit ihrem 560 Seiten starken Werk einen umfangreichen Einblick in die Perspektiven der Intersektionalität und Diskriminierung. Verwoben mit ihrer eigenen Biografie nimmt sie die Leser:innen mit in ein gesellschaftspolitisches Nachdenken. Sie erzählt Geschichten über Zusammenhänge, Empowerment, Solidarität, genauso wie über Ausgrenzung, Schmerz und Perspektivwechsel. Sie selbst sagt „Hab mein Herz hineingelegt und meine Gedanken der vergangenen Jahre in unserer Gesellschaft und meiner Geschichte darin aufgeschrieben“ (Twitter am 14.3.22)
In neun Kapiteln fächert Haruna-Oelker auf, was es zu wissen gilt über die Verwobenheit der diversen Diskriminierungsformen und ihren gegenseitigen Verstärkungen.
- Sozialisation: Wie wir werden?
- Bewegung: Was beeinflusst uns?
- Globalisierung: Wie leben wir?
- Konstruktion: Was wird aus uns gemacht?
- Emotion: Wie fühlen wir?
- Klassifikation: Wie werden wir eingeteilt?
- Gender, Sexualität und Körper: Wie betrachten wir uns?
- Geist: Wie nehmen wir wahr?
- Behinderung. Was blenden wir aus?
heißen die Kapitelüberschriften und Haruna-Oelker beginnt jedes einzelne mit einem Zitat. Ingeborg Bachmann, May Ayim, der Talmud, Michel de Montaigne u.v.a. werden zitiert und den Überschriftsfragen als Intro jeweils weitere hinzugefügt.
Im Kapitel Bewegung z.B. heißt es:
„Bewegung ist Körperarbeit. Sie entsteht durch das Zusammenziehen oder Anspannen der Muskeln. In den Sozialwissenschaften ist sie kollektiver Akteur. Politische Bewegung steht für das organisierte Eintreten für politische Ziele, weil Menschen ihre Daseinsbedingungen, ihre Wünsche und Bedürfnisse erfahrbar machen und durchsetzen wollen. Eine Kraft und Strömung um die gesellschaftlichen Verhältnisse zu verändern. Gleiche Rechte für alle. Wo stehe ich?“
Aktivismus und Wissenschaft
Immer wieder bezieht Haruna-Oelker sich auf Wegbegleiter:innen, es ist spürbar, wie sie verbunden ist, mit einer Community, einem Diskurs und es wird deutlich, wie sie ihre Stimme, ihre Erfahrungen und ihre Schreibkunst zur Verfügung stellen will.
Ich finde, es gelingt ihr wirklich gut, ihre Leser:innen mitzunehmen: behutsam und gut verständlich geschrieben, erklärt sie Zusammenhänge zwischen den diversen Diskriminierungsformen, lässt Wissenschaftler:innen genauso zu Wort kommen wie Aktivist:innen. Diese Kombination führt dazu, dass alles, was sie schreibt, sehr nachvollziehbar wird. Besonders lehrreich für mich war die wiederkehrende Bezugnahme auf ihre eigene Biografie.
Die Lektüre des Buches war für mich wie eine Reise durch unterschiedliche Welten, und macht deutlich, wie diese in ihrer je eigenen Komplexität zusammenhängen und nicht mehr unabhängig voneinander betrachtet werden sollten.
Der Untertitel „Miteinander anders denken“ hält, was er verspricht, denn Haruna-Oelker feiert unterschiedliche Perspektiven und lädt ein zu einem konstruktiven Umgang mit Heterogenität.
Lektüre, die zur Reflektion anregt
Nach Tupoka Ogettes „Exit racism“ und Alice Hasters’ „Was weiße Menschen nicht über Rassismus hören wollen, aber wissen sollten“ sowie vielen anderen Veröffentlichungen zu Fragen von Inklusion (z.B. Boban/Hinz, Index für Inklusion), Diversität (z.B. Gümüsay, Sprache und Sein) und Diskriminierungen (Criado-Perez, Unsichtbare Frauen) ist Haruna-Oelkers Buch eine bereichernde Fortsetzung für alle, die sich nicht nur dem eigenen Alltagsrassismus stellen wollen (dem andere unausweichlich ausgesetzt sind), sondern sich auch für andere gesellschaftliche Ungerechtigkeiten und Diskriminierungen sensibilisieren wollen.
Das Buch birgt auch für die Arbeit in Organisationen, denen Diskriminierungssensibilität ein aktives Anliegen ist, viele Impulse, im miteinander anders Denken die Schönheit der Differenz zu erkennen.
Sinnvoll zusammen wirken