Ein persönliches Vorwort
Der Beginn
Ich war Berufsanfängerin, als ich 1991 von Berlin nach Bayern zog, um dort eine Projektstelle im Kontext der KZ-Gedenkstätte Dachau anzutreten. Das Ziel war der Aufbau einer Internationalen Jugendbegegnungsstätte. Mein Arbeitgeber, der Förderverein für Internationale Jugendbegegnung und Gedenkstättenarbeit in Dachau e. V., kämpfte schon eine Weile für dieses Vorhaben, gegen den zum Teil erbitterten politischen Widerstand der CSU und eines Teils der Dachauer Bevölkerung. Über die Stiftung Jugendmarke konnte nun eine mehrjährige entsprechende Projektstelle finanziert werden. Ich war von dem Vorhaben und der Stellenbeschreibung begeistert, ließ mich von einem Freund für das Bewerbungsgespräch coachen und nahm dann mit Freude die Stelle an.
Der Vereinsvorstand bestand damals aus 12 Personen. Ich, eine Historikerin frisch von der Uni, aber mit Erfahrung in Antirassismus- und Jugendarbeit, war die einzige Angestellte. Unterstützung in der praktischen Arbeit bekam ich durch eine Honorarkraft (einen Tag die Woche) sowie durch Freiwillige der Aktion Sühnezeichen Friedensdienste.
Meine Aufgabe lautete, Konzepte für die vor allem internationale Bildungsarbeit an der Gedenkstätte weiter zu entwickeln und zu erproben, da die Gedenkstätte damals noch über keine eigene Bildungsabteilung verfügte; ferner galt es Zeitzeug*innen zu betreuen, die Internationale Jugendbegegnungsstätte politisch durchzusetzen und schließlich klassische Vereinsorganisation zu leisten.
Ich war jung, hochgradig motiviert und reichlich aufgeregt ob der anspruchsvollen Aufgabe und des neuen Lebensumfeldes. Und tatsächlich entwickelten sich die Jahre in Dachau zu einer prägenden Zeit: bezüglich meiner ethischen Haltung und meiner Vorstellungen von gelingender Arbeit sowie hinsichtlich meines Bildes von fördernden Vorgesetzten. Auch entstanden Freundschaften, die bis heute Bestand haben.
Die Mentorin
Von Beginn an brachte mir der Vorstand großes Vertrauen entgegen und ließ mich viel selbstständig arbeiten. Der Vorsitzende, ein gut vernetzter Münchner SPD-Politiker, überließ mir sogar Blankounterschriften zur freien Verfügung. Und passierten Fehler, stellten sich die Vorständ*innen hinter mich.
Zu einem lebenslangen Vorbild als Mentorin wurde dann Barbara Distel, langjährige Leiterin der KZ-Gedenkstätte Dachau und stellvertretende Vereinsvorsitzende. Die Gedenkstätte wurde 1965 aufgrund des internationalen Drucks errichtet und hatte sich zu einem internationalen Besuchsmagneten entwickelt. Barbara Distel übernahm die Leitung im Zuge der Gründung, eine für die damalige Zeit außergewöhnliche Leitungsposition für eine Frau. Über Jahrzehnte immer wieder von konservativen und rechten Kreisen stark angefeindet, trat sie konsequent parteiisch für die Verfolgten des Naziregimes ein und ließ sich durch die massiven Widerstände nicht beirren – sie hatte eine inhaltliche Mission, ihren Ort dafür gefunden, nutzte alle bestehenden Möglichkeiten und setzte die Mission um.
Barbara Distel nahm mich unter ihre Fittiche. Ich zählte zu den festen Teilnehmer*innen der wöchentlichen Dienstbesprechungen in der Gedenkstätte und wurde regelmäßig zum Mittagessen und einem damit verbundenem inhaltlichen Austausch eingeladen. Und schon nach kurzer Zeit ermächtigte mich Barbara Distel, bei Veranstaltungen und Tagungen im In- und Ausland als Vertreterin der KZ-Gedenkstätte Dachau aufzutreten.
Die immense Bedeutung dieser Förderung meiner Person war mir zu Beginn nicht klar; so richtig bewusst wurde es mir erst, als ich im Lauf des weiteren Berufslebens feststellte, dass es sich hier mitnichten um Selbstverständliches handelt. Barbara Distel, ihr Engagement und ihre vertrauensvolle (Nachwuchs-)Frauenförderpolitik sind mir immer ein Maßstab für eigenes Handeln geblieben.
Irgendwann lief die Finanzierung meiner Stelle aus, eine Folgefinanzierung für die volle Stelle konnte der Verein nicht akquirieren. So orientierte ich mich beruflich neu. Aber der Beschluss zur Errichtung einer Internationalen Jugendbegegnungsstätte in Dachau war auf höchster politischer Ebene gefasst – das inhaltliche Ziel damit erreicht. 1998 wurde das Haus eröffnet.
Frauen in Non-Profit-Organisationen (NPO) heute
Daten und Fakten
Seit es den NPO-Sektor gibt, engagieren sich hier Frauen für die unterschiedlichsten Belange, zunehmend auch in Form von Erwerbstätigkeit. Auf die Frage, warum sie für eine NPO arbeite, antwortete eine Frauen-Führungskraft im Rahmen einer 2017 publizierten Studie: „Ich möchte was Sinnvolles tun, möchte mich einsetzen, möchte was für die Gesellschaft tun“. Beweggründe, die mir, angefangen bei der oben vorgestellten Barbara Distel, bei Frauen in NPOs immer wieder begegnen.
Insgesamt hat sich der NPO-Sektor in Deutschland zu einem bedeutenden Arbeitsfeld entwickelt, 2019 wurden hier 3,1 Millionen Erwerbstätige gezählt. Das waren 8% aller Beschäftigten, davon stellten Frauen rund 75%. Allgemein nähert sich die Erwerbstätigenquote von Frauen laut Aussage des Statistischen Bundesamtes vom März 2020 der Erwerbstätigenquote von Männern immer weiter an; insbesondere unter älteren Frauen bis 64 Jahren ist sie stark gestiegen. Dies entspricht auch meinem Erleben, sowohl im beruflichen wie im privaten Kontext. Viele Frauen arbeiten allerdings in Teilzeit, mit Folgen für die soziale Absicherung bei Arbeitslosigkeit und Rente: Während 2018 nur knapp 9% der Männer in Teilzeit beschäftigt waren, waren es Frauen zu 47%. Auch in NPOs arbeiten deutlich mehr Frauen als Männer in Teilzeit: 58% gegenüber 24% bei Männern (2019).
Bislang finden sich – leider – nur wenige Untersuchungen speziell zur Beschäftigtensituation von Frauen in NPOs. Noch unklar ist momentan außerdem, wie sich hier mittel- und langfristig die Pandemie 2020/21 auswirken wird. Untersuchungen zur allgemeinen Erwerbstätigkeit kommen jedenfalls zu dem Ergebnis, dass insbesondere Frauen von der Reduzierung des Erwerbseinkommens sowie der Übernahme der familiären Sorgearbeit betroffen sind: „Die Wirtschaftskrise infolge der Pandemie … (hat) Männer und Frauen unterschiedlich getroffen. Frauen arbeiten häufiger im Gesundheitswesen, in der unbezahlten Pflege und in der Hausarbeit, wodurch sie anfälliger für die Folgen der Pandemie sind.“ Auch sind Frauen oft die ersten, die ihren Job verlieren. Eine weitere, sehr unerfreuliche Folge der pandemiebedingten Lockdowns ist die massive Zunahme häuslicher Gewalt gegen Frauen und Kinder, auch die Zunahme der Schwere der Verletzungen. Inwiefern sich diese Gewaltverhältnisse auf die Erwerbstätigkeit von Frauen auswirken, bleibt noch zu untersuchen.
Strukturbesonderheiten von NPOs
NPOs sind im Vergleich zu Wirtschaftsunternehmen und Behörden vor allem aufgrund ihrer Strukturbesonderheiten für Frauen so attraktiv:
- NPOs erfüllen mit ihrer Werte- und Normenorientierung in hohem Maße die Erwartungen von Frauen an eine sinnvolle und gesellschaftlich nützliche Arbeit.
- NPOs sind oftmals partizipativ ausgerichtet, bieten flache Hierarchien und Arbeitsbereiche mit hoher Eigenverantwortlichkeit.
- NPOs ermöglichen flexible Arbeitszeiten und bieten familienfreundliche Arbeitsbedingungen.
Laut Forschung ziehen NPOs Frauen und Männer an, die weniger an einer klassischen Karriere als an einer gesellschaftlich relevanten Tätigkeit und zudem an einer möglichst ausgewogenen Balance von Erwerbsarbeit und Privatleben interessiert sind. Die meisten – oftmals hochqualifizierten – Frauen sind außerdem mit ihrer Bezahlung zufrieden.
Erneut decken sich hier Forschung und mein eigenes Erleben. Ferner liegen meiner Erfahrung nach die Hemmschwellen für Entlassungen bei NPOs wesentlich höher als im Profitbereich, was ein zusätzliches attraktives Merkmal von NPOs bildet.
Frauen und NPO-Leitungsebenen
Der starke Anteil von Frauen in NPOs auf der Beschäftigtenebene spiegelt sich allerdings nicht auf der Leitungsebene: Die Vorstände sind mehrheitlich von Männern dominiert. Insbesondere auf den Führungsebenen großer, einflussreicher NPOs wie beispielsweise finanzstarker Stiftungen finden sich nur wenige Frauen. Als Faustregel lässt sich formulieren: Je größer, finanzkräftiger und älter eine Organisation ist, desto weniger Frauen bekleiden Spitzenpositionen. Die KZ-Gedenkstätte Dachau bildet in dieser Frage eine Ausnahme: Nicht nur übernahm schon im Zuge der Gründung 1965 eine Frau die Leitung, sondern wird die Leitung bis heute von einer Frau ausgeübt.
Doch wieso sind NPO-Leitungsebenen immer noch größtenteils von Männern dominiert? Hier formuliert die schon erwähnte Studie von 2017 folgende Erklärungen:
- Leitung und Führung wird eher Männern zugetraut – auch etliche Frauen denken so.
- Frauen verfügen über weniger Selbstbewusstsein als Männer und trauen sich deshalb Leitung weniger zu.
- Außerdem rekrutieren sich die überwiegend männlich besetzten Leitungsgremien inkl. der Zuständigkeit für Personalauswahl zumeist aus ihresgleichen: „Thomas wählt Thomas“.
- Die primäre Verantwortlichkeit für Kinder und Familie wird Frauen zugesprochen, wiederum auch von Frauen selbst.
- Frauen sehen sich mit größeren Leistungsanforderungen konfrontiert als Männer.
Dies alles bildet den Grundstoff, aus dem die berühmt-berüchtigte „Gläserne Decke“ besteht, die zu durchdringen für Frauen so mühevoll ist.
Weitere Gründe sind laut Studie:
- Die unattraktiven Arbeitszeiten für Leitungspersonen: Wichtige Gremiensitzungen insbesondere mit Ehrenamtlichen finden an Wochenenden oder abends zu später Stunde statt. Und nicht selten werden ständige Erreichbarkeit und unbezahlte Überstunden erwartet.
- Frauen sind seltener als Männer bereit, die Risiken eines Sprungs in die Leitungsebene einzugehen, zumal, wenn damit das Einarbeiten in einen neuen Bereich und/ oder ein Wohnortwechsel verbunden sind.
- Frauen sind mit dem Vorhandenen inkl. einer guten Arbeitsatmosphäre zufrieden und richten sich auf mittleren Positionen ein.
Eine NPO-Mitarbeiterin bringt diese Haltung folgendermaßen auf den Punkt: „Verantwortung, Stress, keine Freizeit, viel Koordinierungstätigkeit. Ich sehe das nicht besonders positiv und mich in Zukunft auch nicht in einer Führungsposition.“
So bleibt als Frage, wie sich diese aus meiner Sicht mindestens unbefriedigende Situation perspektivisch ändern lässt.
Handlungsempfehlungen
Die Autor*innen der Studie formulierten hierfür Handlungsempfehlungen. Diese reichen von der Einführung einer gesetzlichen Quote für Leitungsebenen über interne Netzwerkbildung bis hin zum Aufbau von Mentoring-Angeboten für berufliche Einsteiger*innen. Wenn ich an meinen eigenen beruflichen Werdegang und an mir bekannte Frauen denke, die in NPOs Leitungspositionen bzw. Stabstellen erlangten, dann fallen mir folgende ergänzende Punkte ein:
- In Partnerschaften eine Aufteilung praktizieren, die den Beteiligten gleichermaßen Karrierewege ermöglicht. Sich außerdem durch Unterstützungssysteme bis hin zu professionellen Dienstleister*innen entlasten.
- Als Frau in sich selber investieren z. B. in Form von Coaching oder kollegialer Beratung – das stärkt das Selbstbewusstsein und die eigene strategische Denkfähigkeit.
- Frauenförderung durch konkretes Handeln praktizieren, auch ohne dass dafür in der Organisation ein explizites Programm besteht.
Unter ökonomischen Gesichtspunkten sollten sich Frauen meines Erachtens zudem genau überlegen, ob die eigene mittel- und langfristige soziale Absicherung wirklich über einen männlichen Partner geplant werden sollte (was vielleicht auch den männlichen Partner überfordert bzw. unter unguten Druck setzt). Diese Reflexion schließt das noch geltende Ehegattensplitting ein – verheiratete Frauen können es ablehnen und gemeinsam mit dem Partner ein ökonomisch gleichberechtigtes Modell praktizieren. Zudem betrifft es die Entscheidungen zur Teilzeitarbeit: Wenn Teilzeitarbeit, dann wie lange und in welchem Umfang mit jeweils welchen langfristigen Konsequenzen für wen? Hinzu kommt, dass – leider – Teilzeitkräfte oft geringere Chancen auf Leitungspositionen besitzen.
Doch insgesamt, unter Berücksichtigung aller genannten Faktoren, ist aus meiner Sicht festzuhalten: NPOs bieten Frauen interessante, sinnstiftende, sich in mehrfacher Hinsicht lohnende Arbeitsfelder und Arbeitsbedingungen – ich jedenfalls bin dem Bereich treu geblieben. Und wenn viele Frauen es wollen, davon bin ich zutiefst überzeugt, lassen sich die NPOs weiter im Sinne von Gendergerechtigkeit und Diversity ausgestalten.
Weiterführende Links, Studien, Literatur
Inwiefern hier von einer „Retraditionalisierung“ gesprochen werden kann, ist nicht ganz eindeutig. Vgl. Kohlrausch, B./ Zucco, A.: Was bedeutet die Corona-Pandemie für die Gleichstellung zwischen Mann und Frau? 24.11.2020. https://www.wsi.de/de/blog-17857-was-bedeutet-die-corona-pandemie-fur-die-gleichstellung-zwischen-mann-und-frau-28569.htm.
Vgl. außerdem dies.: Die Corona-Krise trifft Frauen doppelt. Weniger Erwerbsarbeit und mehr Sorgearbeit. WSI – Wirtschafts- und Sozialwissenschaftliches Institut der Hans-Böckler-Stiftung: POLICY BRIEF Nr. 40, 05/2020. https://www.wsi.de/de/faust-detail.htm?sync_id=8906.
Vgl. außerdem: Pressemitteilung: Neue Ergebnisse der Böckler-Erwerbspersonenbefragung: Corona und Arbeitszeit: Lücke zwischen den Geschlechtern bleibt – Frauen erhalten seltener Aufstockung bei Kurzarbeit. 29.12.2020. https://www.wsi.de/de/pressemitteilungen-15991-corona-und-arbeitszeit-lucke-zwischen-den-geschlechtern-bleibt-29563.htm.
sinnvoll zusammen wirken