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Franziska Fink, Michael Moeller (2018)

Purpose Driven Organizations

Wenn Berater*innen Bücher schreiben, kann man sich in der Regel auf zwei Dinge verlassen: erstens, sie haben fruchtige Praxis-Stories im Gepäck, und zweitens, sie verpacken ihre Inhalte aufgrund der natürlichen Zielgruppe „Busy Executives“ in handliche und vergleichsweise theoriezahme Häppchen. Purpose Driven Organizations läßt sich da etwas anders an: zwar sprechen Franziska Fink und Michael Moeller durchaus von ihrer Beratungspraxis, von forschenden Begegnungen mit Sinn-getriebenen Organisationen und von ihren eigenen Erfahrungen mit Holacracy bei der Beratergruppe Neuwaldegg; aber sie tun das im stringenten Theorie-Korsett und mit der sauberen Fundierung der Systemischen Organisationslehre Luhmannscher Prägung (was sich nicht zuletzt im imposanten Reference-Count zu Luhmanns Spätwerk „Organisation und Entscheidung“ spiegelt).

Im ersten, einführenden Teil des Buches wird der weite Rahmen zu „Welt, Sinn und Organisation“ aufgespannt. Die Urgency-Frage („Warum ist das Thema jetzt relevant?“) beantworten die Autor*innen – in fein schattierter Abgrenzung zum Entwicklungsphasen-Modell von Laloux, dem ein respektvoll kritisches Kapitel gewidmet ist – mit dem synchronen Pegel-Anstieg von Welt-Komplexität und individueller Sinnsuche. Beim Begriffs-Umriss wird deutlich, dass der Amerikanische „Purpose“ Diskurs sich nicht ohne Mühe ins Deutsche übersetzt: „Zweck“ ist in der Konnotation zu funktional, „Sinn“ mit seinen emotionalen und transzendentalen Facetten zu vieldeutig und diffus. Fink und Moeller halten es mit der Bedeutung „Seinszweck“ und geben die (doch eher diesseitige) Purpose Formel aus: „Unser Beitrag für diese Stakeholder, um jene Wirkung zu erzielen“.

Die systemische Brille kommt bei dem so romantisch anmutenden Thema zunächst wie ein Liebestöter daher: Wo Organisationen als Systeme von Entscheidungskommunikation gezeichnet werden, ist Purpose folgerichtig nichts weiter als ihre oberste Entscheidungsprämisse. Hierfür wird der Seinszweck in seiner kristallinen, gefertigten Form benötigt. Der emergente Prozess dialogischer Sinnstiftung im Untergrund (in der Dialogischen OE als „meaning-making“ bezeichnet) ist hier lediglich Begleitmusik oder im besten Fall Vorspiel.

Im zweiten Abschnitt geht es einen Schritt näher an den eigentlichen Gegenstand heran. Was den Idealtypus der Purpose Driven Organisation ausmacht, wird anhand von fünf Merkmalen, bzw. „Diziplinen“ aufgefaltet (der Begriff verweist darauf, dass Purpose Drive von Praktiken lebt, die gepflegt sein wollen):

 

  • Dominanter Purpose: Der Purpose – ausgedrückt in einem kompakten Statement – ist die ultimative Kompassnadel und wird in jedem Winkel des Organisationsgeschehens verankert. Auf darunterliegende Schichten langfristiger Planung und Budgetierung wird dagegen weitgehend verzichtet.
  • Kodifizierte Selbstorganisation: Autonome Steuerung und Selbstorganisation sind vom Prozess her klar formatiert, das Ergebnis dieser Prozesse bleibt dagegen programmatisch offen.
  • Ganzheitliche Partnerschaft: Purpose wird sowohl organisational als auch individuell in den Blick genommen. Personalarbeit hat dabei vor allem die Aufgabe, die beiden Ebenen aneinander andockfähig zu halten – Stichworte sind hier „Purpose Fit“ und „Purpose Beitrag“.
  • Superflexible Vertrauenskultur: Agilität und gegenseitiges Vertrauen bilden die Grundbausteine der Kultur Purpose getriebener Organisationen. Da Kultur nach Luhmann als „unentscheidbare Entscheidungsprämisse“ nicht direkt gestaltbar ist, geht es hier vor allem um Personal-Selektion und purpose-gerechte strukturelle Rahmung.
  • Co-Evolution im Ökosystem: Profunde Wirkung entsteht in komplexen Handlungsfeldern meist erst durch übergreifende Kooperation. Purpose hat dabei die Funktion einer weiter gezogenen Membran, die über die Grenzen der Organisation hinaus Akteure verbindet und ausrichtet.
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Nachweis:

Franziska Fink, Michael Moeller (2018): Purpose Driven Organizations, Schäffer-Poeschel, Stuttgart. 338 Seiten, gebunden ca. 40 EUR

Das Buch ist in weiten Passagen als Leseprobe auf der Seite https://www.neuwaldegg.at/dateien/1642_Purpose_Driven_Organizations_-_Leseprobe.pdf und auf der Plattform www.purpose-driven.world zu finden.

Teil Drei des Buches ist zwölf Inspirations-Portraits Purpose getriebener Organisationen gewidmet. Hier treffen wir alte Bekannte wie den dm-drogerie markt, soulbottles und das Getränke-Kollektiv PREMIUM wieder, aber auch neuere spannende Geschichten wie die der Deutschen Kammerphilharmonie Bremen, der BOSCH Power Tools und der Lieferbäckerei MÄRKISCHES LANDBROT. Die Beschreibungen sind kompakt und anregend, fokussieren allerdings deutlich aufs Gelingende (die Vermutung, dass nicht immer alles so einfach ist, drängt sich auf). Ob die magische Formel der fünf Disziplinen den Fallbeispielen (als zu illustrierendes Konzept) vor- oder (als Forschungsergebnis) nachgeordnet ist, bleibt dabei auf undramatische Weise vage.

Den letzten Abschnitt bildet eine umfassende Methodensammlung, die neben den „Systemlösungen“ Soziokratie, Holacracy und Soziokratie 3.0 diverse Werkzeuge zur Arbeit mit den im Untertitel des Buches verankerten Konzepten Sinn, Selbstorganisation und Agilität vorstellt. Auch hier findet sich Bekanntes neben neuen Tools und Handlungsansätzen, die jeweils anschaulich beschrieben und sauber referenziert sind. Schon die erste Methode, der Purpose Quest, stellt eine inspirierende intuitionsbasierte Variante der kollektiven Sinnsuche vor, für die sich die Vertiefung in diese Sammlung lohnt. Aber auch die weiteren rund 50 Regieanleitungen, etwa zur kollektiven Besetzung von Führungsrollen, zur Arbeit mit Organisationalen Glaubenssätzen oder zur Durchführung von Innovations Sprints geben gute Impulse für die Entwicklung sinn-orientierter flexibler Arbeitsformen.

Die vier Teile bilden ein rundes Ganzes, das für ganz unterschiedliche Bedarfe etwas zu bieten hat. Man muss das Buch nicht stringent von vorne bis hinten lesen, allerdings lohnt es sich – allemal wenn man noch nicht fließend Luhmann spricht – den ersten und zweiten Teil als Einheit zu rezipieren. Purpose Driven Organisations beschreibt keine ganz neuen Planeten, zeichnet aber am Diskurshimmel ein prägnantes neues Sternbild ein, mit dem sich gut arbeiten lässt. Das Buch zeigt zudem, dass die Suche nach sinnstiftendem Arbeiten in einer komplexen Welt aus ihrer wolkigen Traumphase herausfindet und in die geerdete, handwerkliche Phase des Designs einsteigt.

Gelesen und vorgestellt von Andreas Knoth.

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