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Strategy Pocket Lab

Komplexität ist nicht erst gestern in die Welt gekommen: Soziale Systeme sind ja quasi per Definition vielschichtig und dynamisch, also komplex. Die Grenzerfahrung zwischen Dynamik und Chaos im Corona-Universum macht allerdings das, was im zeitgenössischen Managementdiskurs als „VUCA Welt“ besungen wird (Volatility, Uncertainty, Complexity, Ambiguity), aktuell sehr greifbar. Das Erleben von Unsicherheit löst dabei widersprüchliche Reaktionen aus – auf der einen Seite Kontrollwahn, auf der anderen Schicksalsergebenheit. Beides scheint in der derzeitigen Situation nicht besonders hilfreich: Wir müssen offen nach vorne schauen, und zugleich leidenschaftlich die Zukunft gestalten. Wir müssen einen Plan haben, aber radikal offen dafür sein, ihn anzupassen. Insbesondere zivilgesellschaftliche Organisationen sind in diesem Spagat gefragt, ihre Prioritäten und Handlungsformen auf die neuen Herausforderungen hin zu kalibrieren.

Das Strategy Pocket Lab stellt ein kompaktes Strategieformat vor, das Elemente der Liberating Structures (K. McCandless und H. Lipmanowicz), der Transformativen Scenario Planung (A. Kahane) und der Chancenorientierten Entwicklung (P. Skat-Rørdam) kombiniert. In einem halbtägigen Workshop werden Entwicklungsbedarfe umrissen, kritische Unsicherheiten und relevante Umweltszenarien untersucht und der nächste strategische „Schachzug“ abgeleitet. Das Lab kann als Live-Workshop oder als Online-Sitzung durchgeführt werden.

Der Ansatz baut auf drei Grundgedanken auf:

1. Strategische Schritte statt Masterplan

Das Lab ist bewusst nicht als einmaliger Bauplatz für den Großen Strategischen Wurf  konzipiert, sondern als wiederkehrendes Element eines kontinuierlichen Strategie-Prozesses  („Strategizing“). In Anlehnung an den agilen Strategieansatz stellt jede Lab-Sitzung (die quartalsmäßig oder häufiger durchgeführt werden) eine Bewegung hin zu einer günstigeren strategischen Position dar. Es geht um ein Herantasten, nicht um ein langfristiges  Vorausplanen. Ein gemeinsamer Kompass – eine Vision oder ein Purpose Statement-  ist dabei Voraussetzung, um agiles „Mission Drift“ zu vermeiden, also das opportunistische Wegdriften vom übergeordneten Daseinszweck. Was dieser Kompass nicht festlegt, ist die Roadmap, also die Wegführung der großen Strategischen Linien. Wie bei einer Schachpartie orientieren sich die strategischen Züge am übergeordneten Sinn, werden aber im Abgleich mit internen und externen Entwicklungen geführt. Das strategische Gesamtbild entwickelt sich erst als dynamisches Muster in der Abfolge der Züge. Dem Ansatz legt damit das Prinzip zugrunde, das Henry Mintzberg in seiner post-funktionalistischen Strategie-Definition beschreibt: „Strategy is a pattern in a stream of decisions“.

2. Adaption und Transformation

Traditionell erforscht die Szenarioplanung mögliche zukünftige Entwicklungen unter der Fragestellung, wie wir uns erfolgreich an diese unterschiedlichen Zukünfte anpassen können. Adaptive Planung ist zweifelsohne zeitgemäßer als ein „Long Range Plan“ alter Schule; sie vernachlässigt jedoch die Möglichkeit, die Zukunft aktiv zu beeinflussen und damit zu verändern. In Anlehnung an Adam Kahanes Ideen zur transformativen Szenarioplanung stellt das Strategy Pocket Lab die Frage, wie wir die Faktoren, die die Szenarien hervorbringen, beeinflussen und so zu einer möglichst positiven Zukunft beitragen können. Da ein transformativer Ansatz Zeit braucht und mit der Entwicklung unserer eigenen Haltung und Beziehungsweisen beginnt, scheint ein Taschenformat für den Anspruch kaum angemessen. Die transformative Haltung muss mithin im gesamten Strategieansatz zum Tragen kommen: Wenn sie neben der adaptiven Fragestellung ihren Platz findet und das strategische Handeln insgesamt mit prägt, wird sie ihre Kraft entfalten. Konkret bedeutet dies, auch die Dinge, die wir für gesetzt halten, in der Strategiearbeit grundsätzlich als gestaltbar zu denken: Ob wir es dann mit unserer Organisation alleine schaffen, sie zu verändern oder nur in breiten Allianzen, ob wir die Rahmen verschieben können oder nur einen kleinen Beitrag dazu leisten, das sie sich weiten, muss sich zeigen.

3. Chancen- und Aktionsorientierung

Der Lab-Prozess umfasst mehrere schnelle Zyklen von Erkundung (Divergenz) und Zuspitzung (Konvergenz) und ist auf ein Commitment zum gemeinsamen Handeln ausgerichtet. Jede Sitzung endet mit einer klaren Entscheidung über den nächsten strategischen Schritt innerhalb eines definierten Fokusbereichs. Der Kern des Labs baut dabei auf der Critical Uncertainties-Methode aus dem Liberating Structures Ansatz auf. Dabei wurde vor alle die oft nicht ganz einfache Verbindung zwischen Szenario-Erkundung und strategischem Handeln im Sinne des chancenorientierten Ansatzes weiterentwickelt: Leitende Fragen sind hier: Welche Chancen bieten sich im Lichte der Szenarien? Welche Handlungsfenster sehen wir, in denen wir Gelegenheiten im Sinne unserer strategischen Ziele ergreifen können? Strategisches Denken und Handlungsorientierung stehen oft in scheinbarer Dissonanz: Strategie impliziert eine übergeordnete Position, einen Standpunkt, der enthoben von den Details des Alltags vorausblickt. Handlungsorientierung impliziert Bodennähe – eine geerdete Haltung, die vom Hier und Jetzt nach vorne orientiert. Anspruch des Strategy Pocket Labs ist es, zwischen diesen beiden Positionen einen fruchtbaren Wechsel zu gestalten.

Wer sollte teilnehmen?

Strategie braucht Perspektivenvielfalt. Sie sollte nicht in geschlossener Vorstands-Runde oder als einsame Führungsroutine entwickelt werden. Natürlich hat jedes Meeting eine optimale Teilnehmerzahl. Für das Strategy Pocket Lab sehen wir die ideale Gruppengröße bei 7-15 Personen, die die Perspektiven der gesamten Organisation repräsentieren (also etwa Programmmitarbeiter*innen, Teamleitungen, Management und Vorstandsmitglieder). Bei größeren Organisationen kann es sinnvoll sein, einen delegierten Strategiekreis zu bestimmen.

Schritte des Labs

Vorbereitung: Welches Feld braucht unsere Aufmerksamkeit?

In einem Abstimmungsprozess vor der Sitzung wird eine grobe Eingrenzung des zu bearbeitenden Felds vorgenommen. Die Strategieentwicklung erfolgt damit nicht für die Gesamtheit der Funktionsbereiche der Organisation, sondern fokussiert auf einen handhabbaren Teilaspekt: etwa die Formatentwicklung in einem Programm, der Ausbau von Personalakquise-Strategien oder die strategische Entwicklung von Partnerschaften in einem Handlungsfeld. Hinweise auf möglichen Handlungsbedarf geben dabei Spannungen und Themen, die wiederholt in Meetings und Arbeitsabläufen auftauchen und zu groß sind, um sie in der täglichen Routine zu bearbeiten. Es kann sinnvoll sein, bei der Identifikation von Fokusfeldern besonders Schnittstellen in den Fokus zu nehmen, in denen die Organisation in direktem Kontakt mit ihrer Umwelt steht. Für den Workshop wird in der Regel ein internes Moderationsteam bestimmt, das den Prozess methodisch anpasst und vorbereitet.

1. Review – Was ist und was könnte sein?

Die Sitzung beginnt mit einer Runde zu Perspektiven auf das fokussierte Feld: Warum braucht dieser Bereich gerade jetzt unsere Aufmerksamkeit? Was ist Ziel des Strategie-Treffens (ein bestimmtes Problem lösen, Prozesse koordinieren, eine Chance ergreifen, wieder in Schwung kommen…)? Im nächsten Schritt findet in Kleingruppen ein visionärer Austausch zum höchsten Potenzial des Feldes statt: Was ist die spannendste und inspirierendste Zukunft, die wir uns in Bezug auf diesen Bereich vorstellen können?

Beide Schritte fehlen in vielen Ansätzen der Strategie-Arbeit. Sowohl die Eingrenzung des Strategiefelds (die oft als unzulässige Trivialisierung und Zumutung für dem systemischen Blick empfunden wird) als auch das positive Framing bringen dabei eine besondere Qualität in den Prozess: eine fokussierte Handlungsenergie.

2. Systemische Analyse – Was sind die kritischen Unsicherheiten?

Der zweite Teil des Labs beginnt mit einem Brainstorming über Faktoren, die einen starken Einfluss auf das gewählte Entwicklungsfeld haben. Dabei werden neben organisationsinternen Faktoren Aspekte aus unterschiedlichen STEP-Kategorien einbezogen (sozio-kulturelle Faktoren, technologische Faktoren, ökonomische Faktoren und politische Faktoren). Die Faktoren sollten konkret, bodennah und nicht zu global gefasst werden.

Aus der Liste werden durch Punkteverfahren zwei Faktoren priorisiert, die zugleich besonders unvorhersehbar sind und einen hohen Einfluss auf die Arbeit im Fokusbereich haben (in der Sprache der Liberating Structures sind dies „Critical Uncertainties“). Die beiden Faktoren spannen die Achsen des nun zu bildenden Szenario Feldes auf, das in der Kombination der Ausprägung (z.B. hohe Regulierungsdichte vs. geringe Regulierungsdichte auf der einen Achse und steigendes Infektionsgeschehen vs. langsames Absinken des Infektionsgeschehens auf der anderen Achse) vier mögliche Szenarien abbildet. Die Gruppenmitglieder markieren schließlich mit Spielfiguren, wie sie die aktuelle Situation und die in 12-18 Monaten wahrscheinlichste Entwicklung im Szenario Feld einschätzen.

3. Erkundung der Szenarios – Was liegt vor uns?

In dritten Teil des Labs werden alle plausiblen Szenarien (also alle Szenarien, die im vorangegangenen Schritt als denkbar eingeschätzt wurden) weiter erkundet. Hierzu erörtern Kleingruppen zwei Fragenkomplexe:

  • Szenariobeschreibung: Wie sieht unser Feld in diesem Szenario aus? Was erleben wir und die Menschen, mit denen wir interagieren? Was wäre ein treffender Titel für das Szenario? (hier bieten sich z.B. Anklänge an Film- und Buchtitel an). Es ist wichtig, an dieser Stelle kein Schwarz-Weiß-Bild zu malen, auch wenn die Polaritäten der Faktoren manchmal Best-Case- und Worst-Case-Szenarien nahelegen. Es geht auch um Grauzonen, um das Gute im Schwierigen und das Schwierige Guten.
  • Strategische Optionen: Wie wirkt sich diese Realität auf unsere Arbeit aus und was können wir tun, um auf die Chancen und Risiken in diesem Szenario vorbereitet zu sein? Was müssen wir tun, um uns auf diese Zukunft einzustellen? Was können wir tun, um zu den positiven Aspekten in diesem Szenario beizutragen?

Die Szenariobeschreibungen und strategischen Optionen werden geteilt und mit Resonanz versehen. Den Abschluss dieses Teils bilden ein paar Minuten der stillen Reflexion, um sich persönlich mit dem Gehörten auseinanderzusetzen.

4. Strategisches Handeln – Was ist unser nächster Schritt?

In neu gemischten Gruppen werden nun mögliche strategische Schritte diskutiert, die in den verschiedenen Szenarien Sinn machen. Was sind die größten Risiken, gegen die wir uns absichern sollten? Welches sind die größten Chancen, auf die wir uns vorbereiten sollten? Was müssen wir tun, um diese Chancen besser nutzen zu können? Was ist unser nächster Schritt? Abschließend werden die Vorschläge im Plenum anhand von zwei „Währungen“ bewertet: Strategiepunkte zeigen an: „Diese Aktion halte ich im Lichte unseres strategischen Ziels für besonders sinnvoll“. Energiepunkte zeigen an: „Für diese Aktion bin ich persönlich bereit, Energie zu investieren“. Idealerweise sollten Vorhaben vereinbart werden, die in beiden Währungen Punkte erhalten haben, die also als sinnvoll und unterstützenswert eingestuft werden. Die Vereinbarung mündet in der Beauftragung einer Task Force, die die geplanten Aktivitäten ausarbeitet und ihre Umsetzung in die Wege leitet. 

Das Lab endet feierlich mit einer Runde von Toasts auf die Goldene Zukunft.

Das Strategy Pocket Lab (pdf zum Download) wurde von Mitgliedern des Civil Society Toolbox Core Teams in Zusammenarbeit von SOCIUS Organisationsberatung gGmbH und MitOst e.V. mit Unterstützung des IAC/Bosch Alumni Network entwickelt. Die Methode kann im Rahmen der Creative-Commons-Prinzipien genutzt und angepasst werden. Vorlagen für Miro sind über SOCIUS zugänglich.

 

Quellen

 

Sinnvoll zusammen wirken

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