Kollektives Harvesting

Kollektives Harvesting

Erfahrungen aus der Begleitung eines Großgruppentags mit 800 Teilnehmenden

Ob wir als Facilitator:innen, Berater:innen, Führungskräfte oder engagierte Bürger:innen zusammenkommen – wir brauchen Gespräche, die über individuelle Perspektiven hinausreichen. Gerade in einer Zeit, in der sich soziale, ökologische, politische und existenzielle Krisen überlagern, braucht es Räume, die mehr ermöglichen als den Austausch von Information: Räume, in denen gemeinsames Erkennen und tieferes Verstehen entstehen kann.

Gerade in großen Settings, wie einer eintägigen Konferenz mit 800 Menschen, mag es zunächst ambitioniert – oder gar unmöglich – erscheinen, kollektive Intelligenz tatsächlich hörbar und sichtbar werden zu lassen. Und doch braucht es gerade in solchen Momenten eine tiefere Form des Zuhörens.

Viele Menschen sitzen an Tischen in einem weiß gehaltenen Raum

Denn in dynamischen, komplexen Zusammenhängen stoßen Sprache und Analyse allein schnell an ihre Grenzen.
Wir spüren: Da ist etwas im Raum – aber wir können es (noch) nicht benennen.
Wir ahnen Bedeutung – doch sie entzieht sich dem linearen Denken.
Und wir sind keine außenstehenden Beobachter:innen. Wir sind Mitgestalter:innen dessen, was entstehen will.

Das sind die Qualitäten liminaler Räume – Schwellenräume zwischen dem, was nicht mehr trägt, und dem, was noch nicht sichtbar oder sagbar ist. In solchen Situationen geht es nicht um schnelle Antworten. Es geht darum, gemeinsam hinzuhören: Was will sich zeigen?

Kollektives Harvesting ist in diesem Kontext mehr als das Festhalten von Notizen. Es ist eine Praxis der tiefen Aufmerksamkeit – ein aufmerksames Sichtbarmachen jener unsichtbaren Fäden, die Einzelne zu einem größeren Ganzen verbinden. Es ist eine Einladung an die Intelligenz der Gruppe, sich auszudrücken – auch wenn niemand allein das ganze Bild kennt.
Es geht darum, kollektive Erkenntnis denkbar zu machen. Gemeinsam.

Was Harvesting in komplexen Situationen möglich macht

Wenn wir mit großen Gruppen arbeiten – wie bei der eingangs erwähnten Konferenz mit 800 Teilnehmenden – kann leicht aus dem Blick geraten, was eigentlich wichtig ist. Die Menge an Worten, Eindrücken, Meinungen und Emotionen kann schnell überwältigend wirken.

Doch unter der Oberfläche jeder Gruppeninteraktion – ob groß oder klein – verlaufen tiefere Fäden: Bedeutungsmuster, Momente der Klarheit, leise Einsichten, die darauf warten, wahrgenommen zu werden.

Zu ernten heißt, anders zuzuhören. Nicht nur das Gesagte festzuhalten, sondern sich einzustimmen auf das, was sich zeigen will.
Es ist eine Praxis kollektiver Sinngebung – nicht das Extrahieren von Antworten, sondern das feine Mitgehen mit dem sich entfaltenden Sinn.

Gerade in komplexen und dynamischen Kontexten ist das zentral. Denn Komplexität lässt sich nicht „lösen“ – sie lädt ein, anders zu sehen.
Anders zu spüren, was präsent ist.
Und dem Form zu geben, was noch gestaltlos ist.

Ein hangeschriebenes Plakat mit dem Text "listen together for deeper insights & questions" hängt am Eingang zu einem Raum, in dem sich viele Menschen befinden

Vom Rauschen zur Resonanz – mit Absicht zuhören

Unser Briefing mit dem zwölfköpfigen Konferenzteam begann mit einer geteilten Erkenntnis und Grundannahme:

„Wenn wir mit Gruppen, Teams oder Organisationen arbeiten, begegnen wir oft vielschichtigen Prozessen, für die es (noch) keine klaren Worte gibt.“

Harvesting – ob durch Sprache, Visualisierung, Poesie, Musik oder andere Ausdrucksformen – ist eine mögliche Antwort auf diese Herausforderung. Es versucht nicht, Komplexität zu vereinfachen. Sondern sie bewohnbar zu machen.

Indem wir dem, was wir spüren, eine Form geben – und indem wir aus dem Rauschen des Gesprächs das herausfiltern, was wirklich resoniert – schaffen wir gemeinsame Bezugspunkte: kollektive Anker für Sinn und Bedeutung.

Eine rechte Hand hält einen dicken Stift, als Schrift ist zu lesen "Collective"

Harvesting-Briefing – Aufmerksamkeit für das Wesentliche

So haben wir das Konferenz-Team des Tages ins Zuhören und Ernten eingeladen:
  1. Essenzen aus Vorträgen festhalten
    Was ist die Kernbotschaft hinter den Worten?
    Welcher Satz, welches Bild, welches Gefühl bleibt bei dir?
    Nicht mitschreiben – destillieren. Drei bis fünf Stichpunkte reichen oft.
  2. Fein zuhören im kollektiven Gespräch
    Was wird in den Raum gesprochen?
    Worum geht es den Menschen – nicht nur im Inhalt, sondern auch im Ton, in der Dringlichkeit?
    Halte kurze, lebendige Formulierungen oder Themen fest. Bleib leicht, bleib echt.
  3. Wenn jemand den Raum mit einem Abschlussimpuls bündelt
    Was ist das Spürfeld im Raum, während sie oder er spricht?
    Welche Fäden oder Bilder werden miteinander verwoben?
    Notiere die Essenz – nicht die Zusammenfassung.
  4. Achte auf POA: Patterns – Outliers – Absences
    Was zeigt sich immer wieder?
    Was überrascht oder bringt einen Funken ins Spiel?
    Was wird nicht ausgesprochen – könnte aber bedeutsam sein?

Drei Personen aus dem Team begleiteten das Geschehen über den Tag hinweg und hielten zentrale Beiträge schriftlich fest. Diese Notizen und Eindrücke flossen später in eine visuelle Ernte ein, die zu verschiedenen Momenten mit den Teilnehmenden geteilt wurde – als Spiegel, als Einladung zum Weiterdenken, als kollektive Momentaufnahme.

Ein handgeschriebnes Plakat zum Thema "Leveraging opportunities for farmers" von einer Veranstaltung der European Commission

Mehr als eine Methode – eine innere Haltung

Harvesting ist nicht bloß eine Methode. Es ist eine Haltung und eine Praxis. Es braucht Neugier, Präsenz und ein feines Gespür für das, was zwischen den Zeilen lebt. Es lädt uns ein, aus dem Drang herauszutreten, Dinge sofort „verstehen“ zu müssen – und stattdessen Fragen zu stellen wie:

  • Was möchte hier gesehen werden?
  • Was wissen wir gemeinsam – das keine:r von uns allein weiß?
  • Welche Bedeutung entsteht leise zwischen uns?
  • Was ermöglicht klügeres, stimmigeres Handeln – gerade aus dieser Gruppe heraus?

So wird kollektives Ernten zu einer Form gemeinsamer Forschung – zu einer Praxis des Hineinhörens ins Mögliche. Es hilft Gruppen, sich in der Komplexität zu orientieren – nicht durch Vereinfachung, sondern durch Bilder, Muster und Sprache, die sie halten können.

Zuhören, das Zukunft ermöglicht

In meiner Rolle als Lead Harvesterin – im Nachspüren der Praxis dieses Tages – kam immer wieder ein Gedanke zurück:

Kollektives Harvesting löst Unsicherheit nicht auf – aber es macht sie bewohnbar.

Was wäre, wenn es genau das ist, was wir in diesen Zeiten mehr brauchen?
Nicht die Illusion von perfekter Klarheit – sondern gemeinsame Orientierung.
Nicht schnelle Lösungen – sondern ein tieferes Zuhören. Eines, das es ermöglicht, dass Antworten zwischen uns Gestalt annehmen – getragen von dem, was wir gemeinsam spüren, wissen, erkennen und gestalten.

Und wie ist das bei dir?
Wo und wie praktizierst du kollektives Zuhören oder Harvesting – bewusst oder eher intuitiv? Was hilft dir, in komplexen Gruppenprozessen das Wesentliche sichtbar zu machen?

Bei Fragen oder Lust auf Austausch freut sich Julia über eine Nachricht.

Julia Hoffmann lächelt in die Kamera, sie hat einen Stift in der Hand. Vor ihr ist ein Blatt Papier auf dem sie gemalt hat.

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Kann Trauer chronisch krank machen? 

Kann Trauer chronisch krank machen? 

In unserem letzten SOCIUS salon “Gesunde Kranke” berichtete eine teilnehmende Person, dass ihr Sohn vor sechs Jahren gestorben sei und sprach von Trauer als chronischer Erkrankung. Als Trauerbegleiterin und Mitinitiatorin unserer SOCIUS salons rund um das Thema von chronischen Erkrankungen und Arbeit hatte ich genau darüber auch schon nachgedacht. 

Trauer ist eine der tiefsten und komplexesten menschlichen Erfahrungen. Wir alle werden im Laufe unseres Lebens mit Verlust konfrontiert, und jede:r von uns trauert auf eine ganz eigene Weise. Dennoch gibt es auch ein ähnliches Erleben von Trauernden, nicht umsonst sind Trauergruppen Orte, in denen trotz so unterschiedlicher Verluste Verbundenheit entsteht. 

Doch was, wenn Trauer nicht nur ein vorübergehendes Gefühl ist? Was, wenn sie sich zu einem langanhaltenden, chronischen Zustand entwickelt?

Trauer als andauernde Begleiterin

Seit einigen Jahren gibt es auch eine offizielle Diagnose: Die Anhaltende Trauerstörung (Prolonged Grief Disorder, PGD).  

Laut International Statistical Classification of Diseases and Related Health Problems (ICD-11), also der internationalen Klassifikation psychischer Störungen, kann die anhaltende Trauerstörung bereits nach einem halben Jahr Trauer diagnostiziert werden. Allerding gehören hier noch weitere Beschwerden hinzu wie die ausgeprägte Sehnsucht nach der verstorbenen Person, welche begleitet wird durch starke emotionale Schmerzen wie z. B. Traurigkeit, Schuldgefühle, Wut, Verleugnung, Schwierigkeiten, den Tod anzunehmen, das Gefühl, einen Teil des eigenen Selbst verloren zu haben, die Unfähigkeit, eine positive Stimmung zu erleben, emotionale Taubheit, Schwierigkeiten bei der Beschäftigung mit sozialen und anderen Aktivitäten. Und die Trauerreaktion übersteigt die erwarteten sozialen, kulturellen oder religiösen Normen für die Kultur und den Kontext des Einzelnen. (Quelle: Deutscher Kinderhospizverein e.V.)

Laut Diagnostisches und Statistisches Manual Psychischer Störungen (DSM-5) wird die anhaltende Trauerstörung erst nach über einem Jahr anhaltender Trauer diagnostiziert, auch hier muss sie einher gehen mit starkem Verlangen nach der verstorbenen Person und eine Art Obsession auf die verstorbenen Person mit sich bringt, die zu starkem Leid und Funktionseinschränkungen einhergeht.

Die Diagnosemöglichkeiten sind nicht unumstritten. Einerseits können sie Zugang zu professioneller Hilfe erleichtern und eine Kostenübernahme durch die Krankenkassen absichern, andererseits bergen sie das Risiko weiterer Stigmatisierungen von Trauernden. 

Erfahrene Trauerbegleiter:innen wissen ebenso wie Betroffene, dass Trauerprozesse oft sehr viel länger als ein Jahr dauern, manchmal ein Leben lang und sich vor allem die Art, wie wir damit umgehen, verändert. (Siehe auch Gute Trauer – Aeternitas e.V.)

Wir wissen also, dass Trauer in Wellen kommt und auch diese verändern sich. Der Frage “Trauerst du immer noch?” kann ganz ohne Diagnose mit “Ja, meine Person ist ja auch immer noch tot.” beantwortet werden und lässt, den einen oder die andere durch die innewohnende Wahrheit vielleicht etwas zusammen zucken. 

Wenn Trauer der Preis für Liebe ist, und Liebe bleibt, dann bleibt auch Trauer. Ganz ohne zur Krankheit zu werden, sondern zu einer integrierten Lebensrealität. 

Andere offizielle Diagnosen, die auf chronische Erkrankungen im Zusammenhang mit Trauer hinweisen, sind die Anpassungsstörung, die Posttraumatische Belastungsstörung (PTBS) und Depressionen. 

Trauer kann natürlich auch körperliche Symptome auslösen, wie z. B. Erschöpfung, Schlafstörungen, chronische Schmerzen oder Verdauungsprobleme. Diese Symptome können langfristig bestehen und einer chronischen Erkrankung ähneln.

Neurobiologische Studien zeigen, dass Trauer das Gehirn ähnlich beeinflussen kann wie chronischer Stress oder Depressionen. Insbesondere das limbische System (verantwortlich für Emotionen) und das Belohnungssystem werden durch Trauerprozesse stark beansprucht, was zu einer Art neurologischer „Erschöpfung“ führen kann. Hier könnt Ihr einen interessanten Artikel dazu lesen, bzw. Podcast hören.

Trauer in Arbeitskontexten und Organisationen 

Menschen jedoch, die anhaltende Trauer erleben, stoßen oft auf Schwierigkeiten in der Arbeitswelt, insbesondere wenn keine unterstützenden Strukturen vorhanden sind. Viele berichten von Leistungsabfall, kognitiven Einschränkungen oder dem Gefühl, sich nicht wieder vollständig einfügen zu können. In manchen Fällen kann sich das in einer Art „Dauer-Ausgrenzung“ äußern, ganz ähnlich wie bei anderen chronischen Erkrankungen.

Es gibt Betroffene, die ihre Trauer als „lebenslange Krankheit“ beschreiben und die nicht einfach „geheilt“ werden kann; ganz ohne eine ICD-11 Diagnose zu haben, oder eine Störung. Und ähnlich wie bei chronischen Erkrankungen kann Trauer auch unsichtbar sein oder werden, es gibt gute und schlechte Phasen, und soziale Unterstützung sowie Anpassungen im Arbeits- und Lebensumfeld spielen eine große Rolle bei der Bewältigung.

Nicht nur in unserer Kultur gibt es oft wenig Raum für Trauer. Nach einer gewissen Zeit wird erwartet, dass Menschen wieder „funktionieren“. Diese Erwartungshaltung kann Druck auf Trauernde ausüben, ihre Gefühle zu verdrängen, anstatt sie in ihren Alltag zu integrieren.

Trauer ist aber nicht linear. Ihr wellenartiger Charakter ist mal sanft, mal donnert er mit der Wucht eines Tsunamis über die Trauernden hinweg. Es gibt keine „richtige“ oder „falsche“ Art zu trauern, und es gibt keinen Zeitplan, dem man folgen muss.

Akzeptanz als Schlüssel

Sowohl chronische Erkrankungen als auch Trauer haben etwas mit Akzeptanz zu tun. Es geht nicht darum, sie „loszuwerden“, sondern zu lernen, mit ihnen zu leben, sie zu integrieren und ihnen Raum zu geben.

Ein sanfterer Blick auf die Welt

In einer Welt, die oft von Härte und Polarisierung geprägt ist, brauchen wir mehr denn je einen sanfteren, akzeptierenderen Blick – auf Trauer, auf Krankheit, auf all das, was nicht einfach verschwindet, sondern mit uns weitergeht.

Wie können wir sanfter werden?

Sanftheit und Akzeptanz entstehen in den kleinen, alltäglichen Begegnungen. In der Art, wie wir einander zuhören. Wie wir Trauer oder Schmerz und Krankheit nicht sofort „wegmachen“ wollen, sondern “einfach” aushalten. 

Genau dafür gibt es unsere SOCIUS salons – als Orte für Begegnung, Austausch und Zuhören. 

Autorin Nicola Kriesel

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Neuerscheinung: Die chronisch Kranke und die Organisation

Neuerscheinung: Die chronisch Kranke und die Organisation

Eine (potentielle) Liebesgeschichte

Die Organisation hatte so viel zu tun, dass sie nicht mehr wusste wo oben und unten war. Und dann war da auch die chronisch Kranke, die einfach nicht ruhig in ihrer Ecke bleiben, sondern unbedingt wirksam sein wollte. Doch so herausfordernd die Begegnungen manchmal auch waren, die Organisation transformierte sich jedes Mal ein wenig mehr zu einer Heimat für fantastische Menschen. 

In unseren Organisationen arbeiten viele Menschen mit – oftmals unsichtbarer – chronischer Erkrankung. Diese kleine Geschichte gibt einen ersten Einblick in die Themen, die über Exklusion und Inklusion entscheiden. Sie zeigt, dass Organisationen von einer engen Kooperation profitieren: Dort wo von Krankheit betroffene Menschen mitwirken, entsteht gesundes Arbeiten für alle. 

 

 

Einige visuelle Eindrücke:

 

Monia 

Monia ist immer überfordert, wenn man sie fragt, was sie beruflich macht. „Hm“, sagt sie dann, „vielleicht baue ich am ehesten Vorhaben auf, die die Welt ein bisschen besser machen sollen?!“ Meistens wenden sich Menschen an sie, wenn sie etwas planen, das es so noch nicht gibt. Dann entwickelt sie aus ihren vielfältigen Erfahrungen passgenaue Lösungen – oft den Aufbau einer Organisation. Sie bezeichnet sich daher gerne als hauptberufliche Lernende, weil die Themen so vielfältig sind. 

Monias Leben ist stark geprägt von ihrer chronischen Erkrankung. Seit 2007 gilt sie offiziell als nicht mehr arbeitsfähig, was bei ihr vor allem eine große Suche nach Lösungen ausgelöst hat. In Büchern wie Einfach Arbeiten und Minimalistisch Arbeiten sowie auf ihrer Plattform Gesunde Kranke teilt sie ihre Erkenntnisse zum Arbeiten mit chronischen Erkrankungen in vielfältigen Formaten – wie auch in diesem Buch. 

Julia 

Als visuelle Facilitatorin und Prozessbegleiterin unterstützt Julia Teams und Organisationen dabei, komplexe Themen greifbar zu machen und ihre kollektive Intelligenz zu nutzen. Mit einer Leidenschaft für visuelles Denken und kreatives Gestalten setzt sie visuelle Kommunikation gezielt ein, um Transformationsprozesse zu begleiten. Seit 2020 ist sie Teil von SOCIUS. 

Julias visuelle Arbeit ist geprägt von ihrer Begeisterung für Mixed Media sowie dem Experimentieren mit Farben und Formen. Die Leitung internationaler Projekte wie des Advocate Europe Ideenwettbewerbs und die Umsetzung kreativer Ansätze zu gesellschaftlichen Themen haben ihren beruflichen Weg entscheidend geprägt. Sie ist überzeugt, dass Kreativität und Resilienz gerade in Zeiten des Wandels unverzichtbar sind – und auch in der Arbeitswelt ihren festen Platz haben. 

Übersicht

Text: Monia Ben Larbi
Illustrationen: Julia Hoffmann
Layout: Anne Wilhelm

Kuratorinnen: Joana Ebbinghaus & Nicola Kriesel

Herausgeberin: SOCIUS Organisationsberatung gGmbH, Tempelhofer Ufer 21, 10963 Berlin

Preis: 17,50€ – nur bei SOCIUS

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Trauer im Team

Trauer im Team

Eindrücke aus dem online Trauercafé

Bereits Ende Oktober fand die Trauerwoche der TrauerTaskForce statt, in vielen verschiedenen Kulturen wird in dieser Zeit des Jahres den Toten gedacht. Allerheiligen, Allerseelen, Tag der Toten (Día de Muertos), Totensonntag, Ewigkeitssonntag… 

Die Trauertaskforce ist ein Netzwerk von Trauerexpert*innen, Unterstützer*innen und Freund*innen, das nun schon zum zweiten Mal unter der Überschrift Eat.Cry.Repeat. die Trauerwoche veranstalteten, bei der ich gemeinsam mit Julia ein Online Trauercafé anbot. 

Vor Beginn des Trauercafés hatte ich noch eine Stunde Zeit, die ich im Garten meiner Mutter verbrachte. Sie hatte mich gebeten aus dem Komposthaufen die gute satte Humuserde rauszuholen, um die Rosenstöcke für den Winter noch einmal voll zu nähren. 

Und während ich also da so buddelte, dachte ich über die bevorstehende Veranstaltung nach und fand, dass es kaum ein besseres Sinnbild für Leben, Sterben, Transformation und das Wunder der Erneuerung gibt, als den Komposthaufen. In ihm zerfällt, was alt und scheinbar wertlos ist, und wird zur Grundlage für neues Wachstum. Er zeigt, dass Zersetzung kein Ende ist, sondern ein Übergang – ein Kreislauf, in dem alles miteinander verbunden ist. Wie im Leben liegt auch im Komposthaufen die Kraft der Veränderung. Er ist eine kraftvolle Metapher für die Zyklen von Zerfall, Tod, Leben und Erneuerung. Alles ist miteinander verbunden. Der Komposthaufen lehrt uns, den Zerfall nicht zu fürchten, sondern als natürlichen Prozess der Transformation zu begreifen. In ihm liegt die Hoffnung, dass aus Verlust immer auch Neues entstehen kann.

Drei waren angemeldet. Fünf sind gekommen. 

Aus Köln, Kiel und Berlin sind wir zusammengekommen und haben aus den Perspektiven von ambulanter Hospizarbeit, Jobcoaching mit langzeitarbeitslosen Menschen, Selbstständigkeit als Trauercoach, Facilitation & Hosting, Beratung und Begleitung auf die verschiedenen Aspekte geschaut, die sich uns zeigen, wenn wir uns bewusst mit Trauer am Arbeitsplatz beschäftigen. 

Um an Arbeitsstätten mit Verlust und Trauer umzugehen, ist es essenziell, eine Kultur des Mitgefühls und der Offenheit zu fördern. Verantwortliche können Angebote wie Gesprächsrunden, professionelle Trauerbegleitung oder psychologische Beratung bereitstellen, um den Betroffenen Raum für ihre Gefühle zu geben. Flexible Arbeitszeiten oder temporäre Entlastungen können helfen, mit der Belastung umzugehen. Führungskräfte sollten Vorbild sein, indem sie authentisch und respektvoll mit Trauer umgehen, etwa durch Rituale wie Gedenkminuten oder das Anbieten von Unterstützungsgesprächen. Eine klare Kommunikationskultur, die Sensibilität und Diskretion wahrt, hilft dem Team, den Verlust gemeinsam zu integrieren und zu einer neuen Normalität zurückzufinden.

Alle Anwesenden waren sich einig darüber, dass es  immer mehr Organisationen gibt, die in Trauerfällen achtsam reagieren, insbesondere wenn es um den Verlust direkter Kolleg*innen geht und “business as usual” dann nicht verlangt wird. 

 

Und obwohl wir wissen, dass es eine Trauerprävention nicht gibt, waren wir uns einig, dass es sinnvoll sein kann, wenn wir uns frühzeitig mit Verlust und Vergänglichkeit auseinandersetzen und in Gemeinschaft Räume schaffen, in denen Gefühle geteilt werden können. Offenheit im Umgang mit Trauer, Rituale zur Verarbeitung von Verlust und die Förderung von Resilienz stärken die seelische Gesundheit. Wichtig ist auch, bereits in stabilen Zeiten ein Netz aus sozialen Beziehungen zu pflegen, das in Krisen Halt gibt. Bildung über die natürlichen Prozesse von Trauer und die Bedeutung des Abschiednehmens hilft, Ängste abzubauen und das Unausweichliche als Teil des Lebens zu akzeptieren. So entsteht ein Umfeld, das Heilung und Wachstum in schweren Zeiten unterstützt.

Auch ohne konkreten Trauerfall, kann man sich quasi anlasslos, im geschützten Raum eines Trauercafés treffen. Hier kann informell über Verluste aller Arten, Sorgen, Ängste und Befürchtungen gesprochen werden. Ein Impuls, eine kurze Lesung, eine Achtsamkeitsübung oder nur eine offene Frage durch eine:n Trauerbegleiter:in oder eine:n geschulte:n Moderator:in kann anregen ins Gespräch zu kommen. Am Arbeitsplatz kann ein Trauercafé helfen, den Umgang mit Trauer zu enttabuisieren, den Zusammenhalt im Team zu stärken und eine unterstützende Atmosphäre zu schaffen. Es zeigt, dass Trauer ernst genommen wird und Betroffene mit ihren Emotionen nicht allein sind.

Sich anlasslos über Trauer zu unterhalten, kann zunächst ungewohnt oder schwer erscheinen, bietet aber die Chance, ein offenes und unterstützendes Klima zu schaffen, bevor ein konkreter Verlust eintritt. Es ermöglicht, Bewusstsein für die Bedeutung von Trauer zu schaffen und die Hemmschwelle für Gespräche in Krisenzeiten zu senken. Mitarbeitende können ihre Perspektiven, Ängste und Erfahrungen teilen, wodurch Empathie im Team gestärkt wird. Solche Gespräche fördern Resilienz und zeigen, dass es am Arbeitsplatz Raum für menschliche Themen gibt. Sie legen den Grundstein dafür, dass im Fall eines Verlustes einfühlsame und nachhaltige Unterstützung geleistet werden kann.

In dieser Siebener-Runde hätten wir noch lange weiter über die Besonderheiten von Trauer im Team sprechen können, die zwei Stunden kamen uns etwas kurz vor. So verabredeten wir uns weiter in Kontakt zu bleiben, unsere Erfahrungen und Methoden auszutauschen und uns im neuen Jahr wieder zu einem Austausch zu verabreden.

Wer dazu kommen will, ist herzlich willkommen. Alle Infos gibt es im SOCIUS brief.

Text: Nicola Kriesel

Visualisierung: Julia Hoffmann

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Trauma und sekundäre Traumatisierung in klassischen und unerwarteten Arbeitssettings

Trauma und sekundäre Traumatisierung in klassischen und unerwarteten Arbeitssettings

Zusammenfassung

Der Text behandelt das Thema Trauma und Traumatisierung in verschiedenen Arbeitsumfeldern. So zeigt sich das Phänomen Traumatisierung mit seinen Folgen und Auswirkungen sowohl intra- als auch interpersonell sowie in Kontexten, die bislang nicht oder kaum darauf vorbereitet waren. Mitarbeitende können solche Erfahrungen als Überforderung erleben und auf unterschiedliche emotionale und körperliche Weise reagieren. Im Text wird zunächst der Anlass für die Beschäftigung mit diesem Thema benannt. Sodann werden die verschiedenen Traumata-Ebenen, die Einflussfaktoren und Wirkungen vorgestellt. Und schließlich wird erörtert, wie im Arbeitskontext damit umgegangen werden kann.

Die unerwartete Erfahrung

Sie weinen. Sie sind aggressiv – in ihrer Haltung, in ihrer Sprache. Sie sind verstört. Sie wollen ihre Geschichte erzählen, ausführlich, gefragt und ungefragt. Sie wollen Aufmerksamkeit. 

Darauf waren die Mitarbeitenden der Stiftung nicht vorbereitet. Dafür sind sie auch nicht ausgebildet. Sie sind herausgefordert, manchmal überfordert. Und reagieren unterschiedlich: mit Furcht vor direktem Kontakt; mit Gereiztheit, Frustration, Zynismus, Erschöpfung. Oder es zeigen sich körperliche Symptome: von Verspannungen bis hin zu Schlafstörungen. Und es bleibt das überwältigende Gefühl, der Situation und den Menschen nicht gerecht zu werden.

Wir waren eingeladen, eine Fortbildung zum Thema Verunsichernde Orte durchzuführen. Uns gegenüber saßen Mitarbeitende einer Stiftung, die sich mit einer spezifischen historischen Epoche nach dem Zweiten Weltkrieg befasst. Und dazu u. a. eine große Ausstellung bietet. Die Mitarbeitenden kamen aus den Bereichen Bildung, Bibliothek und Archiv. Fast alle stehen immer wieder in direktem Kontakt zu Besucher:innen. Diese sehen sich die Ausstellung an, nutzen die Bibliothek oder fragen nach Unterlagen im Archiv, oft zur eigenen (Familien-)Geschichte. Andere nehmen telefonisch oder digital den Kontakt auf.

Wir änderten spontan das Programm und gestalteten die weitere Fortbildung zum Thema Trauma: Trauma in seinen verschiedenen Varianten wie der primären, der sekundären oder der intergenerationellen Traumatisierung. Und sprachen über das Thema Umgang mit Traumatisierten. Anschließend führten wir in die Methode Kollegiale Beratung ein. In kleineren Gruppen erprobten die Teilnehmenden die Methode. Und erarbeiteten sich auf diese Weise einen ersten kleinen Fundus an Handlungsmöglichkeiten für die unterschiedlichen herausfordernden Situationen.

Weder die Leitungskräfte noch die Mitarbeitenden waren auf Menschen mit Symptomen von Traumatisierung vorbereitet. Auch nicht darauf, was solche Begegnungen bei ihnen selber auslösen (auslösen kann).

Damit waren und sind sie nicht die einzigen. Erst in jüngster Zeit wird das Thema Traumatisierung auch in beruflichen Feldern, die davon bislang scheinbar unberührt waren, wahrgenommen.

Wie es der Zufall will, ergaben sich im Anschluss an die oben genannte Fortbildung weitere Aufträge anderer Institutionen zum Inhalt Traumatisierung und Folgewirkungen. So führten wir eine große interne Befragung unter dutzenden Doktorand:innen durch, in deren Forschungsthema auch Gewalt vorkommt – sowohl bei historischen als auch bei gegenwartsbezogenen Forschungsthemen. Und wir realisierten weitere Fortbildungen für Institutionen, deren Mitarbeitende ebenfalls nicht auf die Begegnung mit Traumatisierungen gefasst waren.

Bevor wir im Folgenden einige Grundlagen zum Thema Trauma und Traumatisierung vorstellen, hier noch ein Hinweis: Der Begriff „traumatisiert“ ist zu einem häufig verwendeten Begriff in der Alltagssprache geworden. Oft, um ärgerliche oder lästige Erfahrungen zu bezeichnen. Z. B.: „Ich bin allmählich traumatisiert, die S-Bahn hatte schon wieder Verspätung.“ Davon unterscheidet sich der klinische Begriff fundamental. 

 

 

Grundlagen zum Thema Trauma

Die Deutsche Traumastiftung definiert Trauma als „ein belastendes Ereignis oder eine Situation, die von der betreffenden Person nicht bewältigt und verarbeitet werden kann. Es ist oft Resultat von Gewalteinwirkung – sowohl physischer wie psychischer Natur. Bildhaft lässt es sich als eine „seelische Verletzung“ verstehen.“ Beschrieben wird hier die Primäre Traumatisierung. Das Adjektiv „traumatisiert“ bezieht sich auf diesen psychischen Zusammenhang.

Das klinische Klassifikationssystem ICD-10 formuliert als Traumakriterium:

„[…] ein belastendes Ereignis oder eine Situation kürzerer oder längerer Dauer, mit außergewöhnlicher Bedrohung oder katastrophenartigem Ausmaß, die bei fast jedem eine tiefe Verzweiflung hervorrufen würde (ICD-10) (z.B. Naturkatastrophe oder menschlich verursachtes schweres Unheil – man-made disaster –, Kampfeinsatz, schwerer Unfall, Beobachtung des gewaltsamen Todes Anderer oder Opfersein von Folter, Terrorismus, Vergewaltigung, Misshandlungen oder anderen Verbrechen)“. Und weiter: 

 

Dieses Ereignis

  • löst extremen Stress, Gefühle des Entsetzens, der Hilflosigkeit und des Kontrollverlusts aus; sowohl, wenn jemand selbst von dem Ereignis betroffen ist, als auch als Augenzeug:in, wie andere Menschen Opfer eines solchen Ereignisses werden
  • bewirkt die Verletzung der persönlichen Grenze und einen Vertrauensverlust in die Mitmenschen, in die Technik oder in die Umwelt

Trauma

Der Begriff „Trauma“ entstammt dem altgriechischen τραύμα: Wunde/ Verletzung. Im Plural: „Traumata“, “Traumen“. 

ICD 10

International Classification System of Diseases. Die ICD-10 ist die 10. Revision der Internationalen statistischen Klassifikation der Krankheiten und verwandter Gesundheitsprobleme der Weltgesundheitsorganisation (WHO). Sie dient der Verschlüsselung medizinischer Diagnosen. (Am 1. Januar 2022 ist die ICD-11 mit weiteren Krankheitsdiagnosen in Kraft getreten. Nach einer Übergangszeit von mindestens 5 Jahren soll die Kodierung nur noch nach ICD-11 erfolgen.)

  • und schließlich gelingt aufgrund der regelrechten Überflutung des Gehirns durch solch eine überwältigende Stressreaktion keine angemessene Verarbeitung des Erlebten; die gemachte Erfahrung lässt sich nicht wie gewohnt in den Erlebnisschatz integrieren und es ist nicht möglich, davon wieder Abstand zu gewinnen. In der Konsequenz dieser Überforderung des angeborenen biologischen Stresssystems kommt es zu seelischen, eventuell auch körperlichen Folgen.

Um von einem Trauma im klinischen Sinn auszugehen, müssen also folgende drei Kriterien erfüllt sein:

  1. Das Ereignis stellt eine existenzielle Bedrohung dar und würde von den meisten Menschen als schwere Bedrohung erlebt.
  2. Die Betroffenen sind mit der Verarbeitung des Erlebten überfordert und haben ihre persönlichen Möglichkeiten ausgeschöpft.
  3. Das Ereignis hat eine nachhaltige Auswirkung auf die Betroffenen, Leid und Beeinträchtigung der Alltagsbewältigung sind die Folgen.

Doch nicht jedes belastende Erlebnis bewirkt bei den Betroffenen eine Traumatisierung. Dazu unten weiter mehr.

Festhalten zum Phänomen Trauma lässt sich:

  • Ein psychisches Trauma kann jeden Menschen treffen
  • es ist ein extrem bedrohliches Ereignis 
  • es übersteigt unsere Bewältigungsmöglichkeiten 
  • ein Mensch kann das Ereignis (1) als Opfer, (2) als Zeug:in oder (3) indirekt erleben (z.B. über visuelle oder schriftliche Berichte verstörender Ereignisse oder die Konfrontation mit traumarelevanten Reizen im Rahmen der beruflichen Tätigkeit) 
  • das Ereignis erzeugt starke unangenehme Emotionen wie z.B. Angst, Hilflosigkeit, Ohnmacht 
  • das Ereignis würde so ziemlich jeden anderen Menschen ebenfalls in Verzweiflung stürzen 
  • das Ereignis erschüttert das Selbst- und Weltverständnis nachhaltig 
  • Traumata können eingeteilt werden nach Häufigkeit oder Ursache
  • Traumata können unterschieden werden in 
    • Schocktrauma: ein einzelnes abgegrenztes Ereignis, das meist gut im Gedächtnis geblieben ist
    • Entwicklungstrauma: zumeist hoher, über längere Zeit anhaltender Stress; oftmals damit verbunden, sich nirgends sicher zu fühlen
    • Soziales Trauma: ein Ereignis, das viele Menschen betrifft (z. B. Zugunglück) 
    • Trauma-Reaktivierung im Alter (siehe unten)
    • transgenerationales Trauma (siehe unten
    • Sekundärtrauma oder indirektes Trauma (siehe unten). 

PTBS

Die Posttraumatische Belastungsstörung (PTBS) tritt als eine verzögerte psychische Reaktion auf. Typisch    für die PTBS sind die sogenannten Symptome des Wiedererlebens, die sich den Betroffenen tagsüber in     Form von Erinnerungen an das Trauma, Tagträumen oder Flashbacks, nachts in Angstträumen aufdrängen. Eine PTBS tritt teilweise erst nach langer Zeit auf.

Als Symptome und Traumafolgen gelten:

  • Hypervigilanz (ständige Übererregung): hohe Spannung, Schlaflosigkeit, Essen zur Beruhigung, Substanzmissbrauch (Sucht), innere Unruhe, Angst und Panikzustände, Panikattacken, Konzentrationsschwierigkeiten, Wutanfälle, Hyperaktivität, Sprunghaftigkeit
  • Flashbacks (Erinnerungen, die den Menschen einholen, als würde die Situation nochmals erlebt werden) 
  • Zwangsstörungen, Depression, Angststörungen
  • bei Untererregung: Erschöpfung, Kraftlosigkeit, Lustlosigkeit, gestörtes Essverhalten, Substanzmissbrauch (Sucht), Gefühl von Sinnlosigkeit, Abgeschnittensein, sich anders und fremd fühlen
  • sehr häufig treten aber auch subtilere, weniger eindeutige Symptome auf.
Traumata lassen sich im Kontext betrachten:
  • Traumata, die als Gruppe erlebt werden, sind leichter zu überwinden als solche, bei denen das Gefühl besteht, „mir allein“ ist es widerfahren
  • ein traumatisches Ereignis ist zudem leichter zu bewältigen bei schicksalshaften Ereignissen oder zufälligen Katastrophen, z. B. bei Naturkatastrophen
  • viel schwieriger ist es, wenn das Trauma von einem anderen Menschen – vielleicht sogar von einem nahestehenden/ vertrauten Menschen – verursacht wird („man made trauma“)
  • dauerhafte Traumatisierungen, d. h. mehrfache oder langandauernde Wiederholung, führen häufiger zu einer Posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS) als ein einmaliges Erlebnis
  • die Wirkungen sind ferner abhängig von persönlichen Faktoren (soziales Netzwerk, allgemeine psychische Verfassung, Lebensalter, Vorbelastungen, Ressourcen)
  • in vielen Fällen verschwinden nur wenige Wochen nach einem alleinigen Ereignis die akuten Belastungsreaktionen, ohne dass die betroffene Person viel dazu tun muss. Oft reicht schon ein Sicherheit gebendes Umfeld aus, damit die Psyche/ die Seele und der Organismus zur Ruhe finden und die betreffende Person die Kontrolle über das eigene (Er)Leben wiedererlangt.

Frühere Traumata können im Alter reaktiviert werden:

Oft gelingt es Menschen aufgrund ihrer zur Verfügung stehenden Kräfte und den ihnen gestellten Aufgaben, auch nach einem Trauma ein mehr oder weniger normales Leben zu führen. Die Bewältigungsstrategien sind ausreichend, um mit der Belastung umzugehen. Die Versorgung der eigenen Kinder, die Pflege von Angehörigen oder die beruflichen Anforderungen bedingen, dass der Fokus auf andere wichtige Lebensbereiche gelenkt ist; dadurch gerät das Trauma für eine Zeit, manchmal für Jahre, in den Hintergrund.

Mit zunehmendem Alter kommt es jedoch zur Abnahme der Ressourcen (Bewältigungsmechanismen), z.B. durch weitere Gebrechen, Erkrankungen oder andere Belastungen. Wenn eine kritische Schwelle überschritten wird, kann es sein, dass die Bewältigungsmechanismen nicht mehr ausreichen. Dann werden für die Betroffenen plötzlich Trauma-Erinnerungen sehr präsent und es können sich Traumafolgestörungen entwickeln, inkl. gesundheitlicher Symptomatik oder sozialer Probleme. Dann können auch eigentlich alltägliche Signale – Gerüche, Geräusche, bestimmte Situationen – die Ängste von früher wieder aktivieren (Trigger) und die betroffene Person überwältigen. Hier geschieht eine Reaktivierung des Traumas. Und manchmal geschieht es, ohne dass eine konkrete Erinnerung an das verursachende Ereignis besteht. 

Diese Reaktivierung betrifft vor allem Menschen ab dem 65. Lebensjahr. 

Eine weitere Traumaebene ist die Transgenerationale Traumaweitergabe: 

Wichtige Erkenntnisse liefert hier die Epigenetik. Die Epigenetik beschäftigt sich mit dem Zusammenspiel von Umwelt und Genetik. Demnach können äußere Faktoren Gene beeinflussen und sie auch an- und ausschalten. So kommt es, dass Vorfahren ihre Erlebnisse über ihre veränderten Gene an ihre Nachkommen weitergeben. Die Nachfahren tragen z. B. Ängste, Selbstzweifel oder Scham in sich, ohne die Gründe oder Zusammenhänge zu verstehen. 

Das heißt nicht, dass eine Traumafolgestörung bei den Nachkommen vorherbestimmt ist (jeder Mensch hat außerdem zwei Elternteile), aber es kann eine gewisse Verletzlichkeit (Vulnerabilität) gegeben sein.

Sexualisierte Gewalt

Von sexualisierten Gewalterfahrungen geht oft ein doppeltes Leiden aus: Das Thema der sexuellen Gewalt wurde damals verschwiegen und ist auch heute noch für die oder den Betroffenen schambesetzt – das kann die Verarbeitung oder Bearbeitung des Traumas massiv erschweren. 

PTBS im Alter

Posttraumatische Belastungsstörungen (PTBS) sind überdurchschnittlich häufig bei älteren Patient:innen zu finden.

Sekundäre Traumatisierung

Ferner existiert die Sekundäre Traumatisierung, auch „indirekte“ Traumatisierung genannt:

Sekundäre Traumatisierung beschreibt eine Traumatisierung, die ohne direktes eigenes Erleben des Ausgangstraumas entsteht. Sie kann sich durch viel oder regelmäßigen Kontakt mit traumatisierten Personen und/ oder ihren Angehörigen entwickeln. Oder sie entsteht durch die – in der Regel ebenfalls häufige oder wiederkehrende – Beschäftigung mit visuellen, auditiven oder schriftlichen Zeugnissen belastender Ereignisse wie Gewaltverbrechen, Naturkatastrophen oder Kriegen. Die betroffenen Personen zeigen dabei Symptome, die denjenigen Symptomen von Menschen mit primärer Traumatisierung gleichen. Eine sekundäre Traumatisierung entwickelt sich in der Regel allmählich. 

Sekundäre Traumatisierung geschieht zumeist im beruflichen Kontext. Nach gegenwärtigem Forschungsstand sind Berufsgruppen wie Psychotherapeut:innen, Supervisor:innen und z. B. Polizist:innen davon betroffen; sowie allgemein Angehörige helfender Berufe wie Feuerwehrleute, Notfallhelfer:innen, Sozialarbeiter:innen, Pflegekräfte. Aber auch Archivar:innen, Journalist:innen und Wissenschaftler:innen können betroffen sein. Geschichtswissenschaftler:innen etwa beschäftigen sich beispielsweise jahrelang mit denselben grausamen Verbrechen, sprechen ausgiebig mit Zeug:innen, bearbeiten ungeschöntes Bild- und Tonmaterial. Oder Archivar:innen erfassen Unterlagen zu Strafprozessen, in denen es um Gewalthandlungen aller Arten geht. (Vergleiche auch: https://intrapsychisch.de/sekundaere-traumatisierung)

Wieso einige Menschen im beruflichen Kontext eine sekundäre Traumatisierung entwickeln und andere nicht, hängt neben der beruflichen Aufgabensituation auch von der jeweiligen Person und deren Lebensumstände ab.

So verfügen Personen mit sekundärer Traumatisierung zumeist über eine mitfühlende Haltung: Im Gehirn entsteht eine emotionale Reaktion auf das geschilderte oder dokumentierte Ereignis. Dabei werden dieselben Stresshormone ausgeschüttet wie bei den Personen, die das Trauma direkt erleben. 

Eine Rolle spielen ferner Faktoren wie die Resilienz bzw. vorhandene oder nicht ausreichend vorhandene Bewältigungsstrategien, der jeweilige situative Kontext, das soziale Umfeld und eigene Traumaerfahrungen der beteiligten Person. Und schließlich entwickeln Gewaltdarstellungen von Menschen an Menschen (man made trauma/ man made disaster) zumeist mehr verstörende Kraft als z. B. Naturkatastrophen.

Den größten Risikofaktor allerdings bildet eine dauerhafte Beschäftigung mit einem traumatischen Inhalt, wobei dieser traumatische Inhalt variieren kann. 

Friedrich Nietzsche formulierte es so: „Wenn du lange in einen Abgrund blickst, blickt der Abgrund auch in dich hinein.“

Traumasensibel im Arbeitskontext:

Gegenwärtig diskutiert und zum Teil eingefordert wird ein traumasensibler Umgang miteinander im Arbeitszusammenhang. Konkret bedeutet dies, „auch ohne Kenntnis über eventuelle Traumatisierungen eines anderen Menschen traumabewusst, traumalindernd und Retraumatisierung vermeidend zu arbeiten und allen Personen, mit und ohne Traumaerfahrungen, so zu begegnen, in Zusammenarbeit und Dialog zu treten, sie zu begleiten“.

Zu vermeiden gilt dabei eine vorschnelle Zuschreibung wie „Sie ist traumatisiert„ und daraus sofort einen Handlungsauftrag abzuleiten. Auch wenn eine Person Symptome zeigt, die eventuell auf eine Traumatisierung hindeuten. Im Rahmen eines im Frühjahr 2024 bei SOCIUS durchgeführten Labors zeigten sich folgende Fragen als hilfreich, um die jeweils eigene (Handlungs-)Perspektive zu schärfen:

  • Handelt es sich um eine tatsächliche Diagnose oder um meine individuelle Einschätzung?
  • Was ist der konkrete Gruppen-, Team- oder Organisationskontext?
  • Was ist hier mein Auftrag?
  • Ist hier, in meinem Mikrokontext, der richtige Ort/ der richtigen Rahmen für eine Intervention meinerseits?
  • Und was kann ich überhaupt halten bzw. bin ich hier wirklich kompetent?

Mögliche eigene Reaktionen bzw. Interventionen lassen sich außerdem im Rahmen interner oder externer Beratung reflektieren. Intern kann dies in Form eines vertraulichen Gesprächen mit Kolleg:innen, Vorgesetzten, Personalverantwortlichen und – sofern vorhanden – Gesundheitsbeauftragten geschehen; oder mithilfe der ebenfalls vertraulichen Instrumente Kollegiale Beratung und Supervision. Ich kann aber auch externe Beratung in Anspruch nehmen, z. B. bei Krisendiensten wie dem Berliner Krisendienst oder der Telefonseelsorge. Auf diese Weise werde ich aktiv und übernehme ich Verantwortung bei zugleich größtmöglichem Schutz der betreffenden Person sowie meiner selbst. Und letzteres ist schließlich auch wichtig.

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Auf die Straße, die Insel oder ins Kloster?

Auf die Straße, die Insel oder ins Kloster?

Strategiediskussionen in Organisationen, die wir begleiten, sind zunehmend von Spannungen gezeichnet. Wo um den „richtigen“ Wirkungsansatz gerungen wird, werden Diskussionen dabei leidenschaftlich und beherzt: Oft ist längst klar wogegen wir sind, aber wofür sind wir eigentlich? Und was genau braucht es, um das zu erreichen?

Während Wirkungsorientierung in den 2010er Jahren vor allem ein von großen Stiftungen getriebenes Thema war, gewinnt die Frage nach sozialen und gesellschaftspolitischen Wirkungen mit der zugespitzten Wahrnehmung der Polykrise neue Wucht. Wenn es fünf vor zwölf ist, sollten wir wissen, was sich durch unser bescheidenes Tun wirklich verändert. Und wenn alles mit allem zusammenknäult, müssen wir uns immer wieder vergewissern, was unsere Rolle und unser Beitrag auf dem Weg zu einer besseren Zukunft ist – wie auch immer wir sie definieren.

Verbinden wir die Linse der Wirkungsorientierung mit der Agenda gesellschaftlicher Transformation, öffnet sich der Blick auf die strategische Praxis sozialer Bewegungen – und damit auch auf das Dilemma ihrer konkurrierenden Komplementarität.

Tiefgreifender gesellschaftlicher Wandel erfordert Veränderung auf drei Ebenen:

  • Auf der Makroebene wird der Wandel des bestehenden Systems – neben der beharrlichen reformatorischen Arbeit in und an Strukturen – durch Widerstand und engagierten Kampf gegen etablierte Verhältnisse erwirkt – die „Straße“.
  • Auf der Mesoebene bieten gesellschaftliche Nischen Raum für ganzheitliche Experimente zur Entwicklung und Erprobung neuer sozialer Praxis – sei es in Conscious Communities, utopischen „Gewächshäusern“ oder Reallaboren – die „Insel“.
  • Auf der Mikroebene braucht es Räume persönlicher Entwicklung, um gesellschaftliche Transformation in neuen Praktiken und Haltungen individuell vorzubereiten und zu verankern – das „Kloster“.

Die drei Ansätze gehören zusammen: die Veränderung des Bestehenden macht ohne erprobte Alternativen keinen Sinn. Eine utopische Insel hat auf Dauer keinen Wert, wenn die Welt um sie herum in Flammen steht. Und eine neue Praxis, die mit überkommenen Gewohnheiten und (Schon)Haltungen ausgelebt wird, bleibt im Alten stecken. 

Das Zusammenspiel von Nischen und etablierten Systemen (Regimes) ist in der Multi-Level Perspektive gut beschreiben (Geels, 2022). Auch, wie Entwicklung auf individueller Ebene gesellschaftliche Entwicklung befruchten kann, liegt auf der Hand: Sowohl der Kampf als auch das Engagement in sozialen Innovationsräumen sind Booster persönlicher Entwicklung. Und: Kampagnen für systemischen Wandel brauchen einen Call to Action, der alle Akteur:innen in die Verantwortung nimmt, die soziale Reproduktion gesellschaftlicher Realität zu unterbrechen.

Die Forschung zu sozialen Bewegungen bestätigt diese Forderung nach integrierten Strategien: Bewegungen, die alle drei Ebenen verbinden, erwirken nachhaltigere Transformationen, als solche, die sich auf nur eine Ebene beschränken.

  • Als positives Beispiel integrierter Transformation lässt sich die von Gandhi geführte Indische Unabhängigkeitsbewegung betrachten. Sie wurzelt in der Grundhaltung der Satyagraha, deren Prinzipien in spirituellen Gemeinschaften (Ashrams) entwickelt und erprobt, dann innerhalb der Bewegung verbreitet und schließlich beharrlich in Kampagnen und Aktionen des gewaltfreien Widerstands ins System getragen wurden. 

  • Ein ähnliches Ineinandergreifen findet sich bei der Brasilianischen Landlosenbewegung (Movimento dos Sem Terra), die sich für radikale Landreformen einsetzt. Im Rahmen von Landbesetzungen werden neue kooperative Arbeits- und Lebensformen erprobt. Zugleich werden Aktivist:innen in Schulungszentren ausgebildet und auf die befreiungstheologisch und marxistisch inspirierten Haltungen der Bewegung orientiert. Mit öffentlichkeitswirksamen Aktionen tritt die Movimento schließlich landesweit für Agrarreformen, gerechtere ländliche Entwicklung und rechtsstaatliche Prinzipien ein.
  • Auch die globale Umweltbewegung vereint alle drei Ebenen: Protestkontexte wie Fridays for Future auf der Straße, Ökodörfer und Regenerative Gemeinschaften als Inseln der Erprobung neuer Praxis und Nachhaltigkeits- und Umweltbildungsprogramme wie etwa „The Week“ als Ansätze von Bewusstseinsbildung und tiefgreifender Selbsttransformation (dabei sind die Ebenen nicht immer stringent miteinander verbunden: mitunter ist die Substrukturierung der Bewegung so stark, dass die Ansätze eigene Attraktorenbassins für unterschiedliche Zielgruppen bilden).  

In freier Wildbahn geraten die unterschiedlichen Transformations-Ansätze immer wieder in Konkurrenz: Conscious Communities lehnen den Kampf im System oft als verbitterte Selbstzerstörung ab, die in der Anti-Haltung auf das Bestehende fokussiert bleibt und im schlimmsten Fall durch politische Kompromisse von ihm korrumpiert wird. Widerstandsbewegungen beäugen utopische Projekte gerne als Eskapismus und Selbsttransformation als pseudo-aktivistisches Wellness-Programm. Menschen, die sich mit tiefer Transformation befassen, neigen dazu, Inner Work als wesentlicher zu betrachten, als die strukturellen Rahmen, die individuelle Entwicklung prägen. 

Die eingangs genannten Spannungen der Selbstverständigung werden von dieser Konkurrenz befeuert. Der Blick für das systemische Ineinandergreifen der drei Ebenen geht dabei oft verloren. Ja, Strategie ist die Kunst das Unwesentliche wegzulassen und einen klaren Fokus zu finden. Und-aber-auch: Nachhaltige Wirkungen in komplexen Systemen erfordern vielschichtige Interventionsansätze

Und wenn wir schon nicht alles alleine können, brauchen wir zumindest Ökosysteme oder Collective Impact Partnerschaften, in denen die Komplementarität der strategischen Ebenen zum Tragen kommt. Es geht nicht um die Alternative von Protest auf der Straße, Utopie auf der Insel oder Selbstentwicklung im Kloster – sondern um ihre sinnvolle Verbindung.

Autor Andi Knoth

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Was hilft beim Abbau von Hierarchien?

Was hilft beim Abbau von Hierarchien?

Ob wir Teams und Organisationen auf dem Weg zur Selbstorganisation begleiten oder unseren eigenen Prozess bei Socius reflektieren: Macht ist dabei immer wieder ein Thema, das einerseits dringlich besprochen werden will, andererseits oft auch viel Unbehagen mit sich bringt. 

Macht haben meistens „die anderen“, bei uns selbst nennen wir es lieber „Verantwortung“. Macht hat etwas mit Hierarchien zu tun, und die wollen wir mindestens verringern, wenn nicht gar gleich ganz abbauen; viele von uns verbinden mit dem Begriff der Macht vor allem Machtmissbrauch.

Zwar gibt es schon viele Beiträge, in denen Macht positiv besetzt wird: Gestaltungsmacht, geteilte Macht, Entscheidungsmacht, Macht mit anderen zu haben, statt Macht über sie (“power with instead of power over”). Macht bringt Freiheit mit sich (und kann Freiheit einschränken). Oder wie Hannah Arendt es sagt: „Macht entspringt der menschlichen Fähigkeit, nicht nur zu handeln oder etwas zu tun, sondern sich mit anderen zusammenzuschließen und im Einvernehmen mit ihnen zu handeln. Über Macht verfügt niemals ein Einzelner; sie ist im Besitz einer Gruppe und bleibt nur solange existent, als die Gruppe zusammenhält“ und sie führt weiter aus, dass die Macht von Einzelnen, ihnen stets von einer Gruppe verliehen wurde. 

Uns mit unserer eigenen Macht auseinanderzusetzen ist Teil der #innerwork, die in der Selbstorganisation so wesentlich ist. 

Mit der eigenen Macht gilt es verantwortungsvoll umzugehen. Für jede*n einzelne*n ist das wahrscheinlich klar und in selbstorganisierten Teams bedienen wir uns gerne der Arbeit mit Rollen und dem Rollenboard um sowohl Macht als auch Verantwortung im Team gleichmäßiger zu verteilen. 

Wir haben also eine ganze Menge an Instrumenten, die uns im Team helfen können, Macht zu verteilen, über Machtunterschiede zu reflektieren und einen bewussten Umgang damit zu finden. 

Und gleichzeitig erleben wir sowohl bei uns bei SOCIUS als auch bei den Organisationen und Teams, die wir begleiten, dass der Umgang mit und der Austausch über persönliche Macht immer wieder eine große Herausforderung ist. 

Strukturelle Machtverhältnisse ansprechen

Mir z.B. fällt es immer noch schwer, die strukturellen Machtverhältnisse und -ungleichgewichte z.B. zwischen Männern* und Frauen* anzusprechen, wenn doch die Männer* mit denen ich das besprechen müsste, so feine, aufgeschlossene Menschen sind, und ich Sorgen habe, dass sie sich angegriffen fühlen, wenn ich “einfach nur” eine Dynamik reflektieren will. 

Dass mir das so schwer fällt, liegt in der Regel daran, dass es nicht um eine (1) Dynamik geht, sondern meist um eine Vielzahl. Und während wir über strukturelle Machtverteilung zwischen Männern* und Frauen* sprechen, spielen gleichzeitig vielleicht das Lebensalter, die Ausbildungssituation, biografische (Diskriminierungs-)Erfahrungen und etliche andere Dimensionen, die uns strukturell mit Macht ausstatten (oder nicht), eine Rolle.
In Organisationen sind das neben den persönlichen und gesellschaftlich strukturellen, oft auch Funktionen/Positionen, die betitelt sind und gesellschaftlich mit einem angesehenen Status einhergehen.
In unserem Team haben wir uns vor einige Jahren von den Begriffen Geschäftsführung und Vorständ*innen getrennt, weil wir gemerkt haben, dass diese nicht nur Außenwirkung haben, sondern auch nach innen wirken. Heute sind alle Berater*innen, die Genossenschaftsmitglieder sind, *vertretungsberechtigt* für die Genossenschaft, und haben damit einerseits rechtlich dieselben Rechte und andererseits dieselbe Verantwortung. Auf der formalen/strukturellen Ebene haben wir die Macht in unserer Organisation geteilt. 

Gleichwohl bleibt die Herausforderung die gesellschafts-strukturellen Dimensionen, die uns so persönlich betreffen, auch besprechbar zu machen.
Um diese Herausforderung leichter meistern zu können, ist die Arbeit zum Thema Rang von Arnold und Amy Mindell von großem Nutzen. 

Rangdynamik aus der Prozessarbeit

In der Prozessarbeit nach Arnold und Amy Mindell bezieht sich der Begriff „Rang“ auf eine dynamische Position oder Rolle, die Menschen innerhalb eines Systems oder einer Gruppe einnehmen. Das Konzept des Rangs ist eng mit der Idee der Macht verbunden, aber es bezieht sich nicht nur auf formelle Autorität oder Hierarchie, sondern auch auf informelle Einflüsse und Dynamiken.

In einer Gruppe oder einem System können Personen unterschiedliche Ränge einnehmen, die sich aus verschiedenen Faktoren ergeben, wie zum Beispiel persönliche Eigenschaften, soziale Positionen, Fachkenntnisse, biografische Erfahrungen oder emotionale Ausdrucksfähigkeit. 

Personen mit höherem Rang haben oft mehr Einfluss oder Autorität in einer Gruppe, während Personen mit niedrigerem Rang möglicherweise weniger Einfluss haben oder von anderen dominiert werden.

Ein wichtiger Aspekt von Rang in der Prozessarbeit ist die Anerkennung und das Bewusstsein für die verschiedenen Ränge innerhalb einer Gruppe. Hierbei geht es nicht darum, dass höhere Ränge von niedrigeren still gewürdigt werden, zumal es eine Reinfom von hoch-/niedrigrangig ohnehin nicht gibt, sondern darum, dass wir anerkennen, dass wir uns je nach Kontext in unterschiedlichen Ränge begegnen. 

Probleme können auftreten, wenn Rangunterschiede nicht erkannt oder nicht reflektiert werden, was zu Konflikten, Unterdrückung oder Ausgrenzung führen kann. Die Wahrnehmung von Rangunterschieden ist für Menschen in niedrigen Rängen deutlich klarer spürbar als für solche in höheren. Besonders “verwirrend” wird es, wenn die Ränge in unterschiedlichen Dimensionen dynamisch miteinander „spielen“. 

Wenn Ränge miteinander spielen

Als Juristin mache ich seit vielen Jahrzehnten die Erfahrung von umfangreicher Anerkennung, sobald ich äußere, dass ich zwei Staatsexamen gemacht habe und im familienrechtlichen Kontext gearbeitet habe. Mit einer solchen Äußerung kann ich mich (z.B in unbekannten Settings) umgehend in eine höhere Rangposition bringen, in der ich mich sicherer fühle.

Im Team von SOCIUS habe ich den Eindruck, dass mein Studium im Alltag überhaupt keine Rolle spielt und in *meiner* Rangwahrnehmung ist die Kollegin mit dem Master in Organisationsentwicklung ausbildungsmäßig deutlich höherrangig als ich. Weil ich aber schon viel länger bei SOCIUS bin und schon länger lebe als sie, also neben Lebenserfahrung auch mehr Erfahrung in der Begleitung von Organisationsentwicklungsprozessen habe, nimmt sie mich als deutlich höherrangig wahr, währenddessen ich denke, dass sie im Gegensatz zu mir jahrelang in einer großen staatlichen Organisation als Leitungskraft gearbeitet hat und hier eine Berufserfahrung mitbringt, auf die ich nicht zurückgreifen kann. 

Wir sind also oft beide darum bemüht, den niedrigeren Rang gegenüber der anderen wahrzunehmen. Mit dieser Dynamik stehen wir uns im Zweifel selbst und gegenseitig im Weg. 

Ziel der Prozessarbeit

Ein Ziel der Prozessarbeit ist es, die Dynamiken von Rang in einer Gruppe bewusst und damit besprechbar zu machen und Möglichkeiten zu schaffen, wie Menschen mit unterschiedlichen Rängen respektvoll und konstruktiv miteinander interagieren können. Dies kann dazu beitragen, ein unterstützendes und gleichberechtigtes Umfeld zu schaffen, in dem alle Mitglieder der Gruppe ihre Fähigkeiten und Perspektiven einbringen können.

Besonders wichtig ist hier der Aspekt der dynamischen Position, was in lebendigen Systemen dazu führt, dass viele von uns gleichzeitig unterschiedliche Ränge haben und diese eben miteinander „spielen“. 

Die Prozessarbeit schenkt uns mit ihren Betrachtungen zum Thema „Rang“ eine gute Möglichkeit Macht und Hierarchien – die außerhalb des Formellen liegen – bewusst und besprechbar zu machen, und damit insbesondere in selbstorganisierten Settings eine Sprache zu finden dafür, dass Ränge auch noch wirksam sind, wenn wir formal gleichgestellt sind.

Rangtypenbeschreibung

Soziale Identität (sozialer Rang)

Sozio-ökonomischer Status, Herkunft und Familie: Status, Region, Sprache, Land und seine Geschichte, soziale Integration, Ausbildung, Beruf und Ausübung des Berufs; Einkommenssituation; Geschlechtsidentität, sexuelle Orientierung; Familienstand; Erscheinungsbild (Größe, Gewicht …), Hautfarbe, Gesundheitsstatus usw.

Persönliche Kraft

(Kombination aus psychologischem und spirituellem Rang)

Gelernte und erworbene persönliche Eigenschaften und Ressourcen; Kreativität; Durchhaltevermögen; Selbstbewusstsein; Reflektionsfähigkeit; Introvertiertheit-Extrovertiertheit; Fähigkeiten, Freund*innen zu finden und sich in Gruppen „zu bewegen

Strukturell-informeller Rang

Stellung / Position in der Gruppe; Zugehörigkeit; Anerkennung und Wertschätzung; Einbindung im Netzwerk, Besondere Fähigkeiten und Verhaltensweisen in der Gruppe

Quelle für die Übersicht der Rangtypen: Institut für Prozessarbeit

Autorin Nicola Kriesel

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Socius change essentials

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Sehnsucht nach Verbundenheit

Sehnsucht nach Verbundenheit

Die gestalttherapeutische Selbsterfahrungsgruppe bietet Raum eigene Grenzen, Gefühle und Haltungen in Beziehung zu erforschen. Die Gruppe von max. zehn Teilnehmer:innen bietet dabei einen überschaubaren und intimen Rahmen. Die Teilnehmenden bringen eigene Themen ein und stellen sich der Gruppe mit ihrer Resonanz zur Verfügung. Voraussetzung ist Interesse am Austausch mit Anderen und die Bereitschaft sich auf neue Erfahrungen einzulassen.

Die Kraft der analogen Begegnung ist unersetzlich und lässt uns unsere Lebendigkeit spüren.

Gestalttherapie ist ein humanistisches Psychotherapieverfahren. Wir arbeiten kreativ mit Sprache, Körperwahrnehmung, Musik – und Humor.

Die Begleiterinnen

Termine

Die Gruppe findet ab 14. Mai 2024 fortlaufend 14-tägig, dienstags von 18.30 – 21Uhr statt.

 

Ort

SOCIUS, Tempelhofer Ufer 21, 10963 Berlin

Mehr Info und Anmeldung

Weitere Informationen und Anmeldung nach persönlichem Vorgespräch.

Kontakt: mail@ullablix.de und kontakt@bbuehler.de

Kosten

100 € monatlich

Autorin Joana Ebbinghaus

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Mini-Beratung – wie kann das funktionieren?

Mini-Beratung – wie kann das funktionieren?

Erfahrungsauswertung der Pro Bono Beratungen 2023

Im September 2023 hatten wir unter der Überschrift „Neues im Team anschieben“ drei 4-stündige Pro Bono Beratungen ausgeschrieben. Wir hatten bereits im Vorjahr erste Erfahrungen sammeln können, wie eine zeitlich sehr begrenzte Online-Beratung unter Zuhilfenahme der Online-Module unserer Change Essentials funktionieren kann.

Auch 2023 stieß dieses Angebot auf reges Interesse, so dass wir uns dafür entschieden, vier Beratungen umzusetzen. Die ausgewählten Teams waren ein Personalentwicklungs-Team in der Internationalen Zusammenarbeit, ein Geschäftsstellenteam einer bundesweiten Interessenvertretung, ein ehrenamtlicher Vorstand eines großen Jugendverbandes sowie ein Leitungskreis eines sozialen Vereins. Thematisch spannte sich das Feld zwischen Themen von Führung und Selbstführung, Resilienz, Kultur des Miteinanders bis hin zu Rollen- und Aufgabenverteilung in einem stark selbstorganisierten Team. Nach einem kurzen Vorgespräch bereiteten sich die Teams auf die Beratung dahingehend vor, dass sie eine vorgeschlagene Auswahl an Videos individuell oder zum Teil sogar gemeinschaftlich anschauten, im Nachgang noch miteinander über die Inhalte und ihre Relevanz für sie selbst ins Gespräch kamen und zum Teil erste Reflektionsaufgaben eigenständig ausführten. 

In der anschließenden online Beratung gab es die Möglichkeit, Sichtweisen auszutauschen, grundsätzliche Aspekte der Rollenverteilung neu zu diskutieren und zu vereinbaren, neue Ideen und Impulse aufzugreifen und vor allem auf eine Art ins Gespräch zu kommen, für die im Alltag, insbesondere ohne externe Begleitung, oft wenig Raum ist. So führte zum Beispiel der Austausch über Fragen wie: „Was hilft mir besonders als individuelle Praxis, aber auch in unserem Miteinander im Umgang mit Stress und Belastung?“ oder die Frage nach besonderen Energiefressern selbst in diesem begrenzten Rahmen zu Momenten von tieferem Kontakt, Begegnung und Erstaunen über bisheriges Nichtwissen oder offensichtlich nie überprüfte, implizite Annahmen.

Zum Teil wurde die Beratung auch als eine sehr willkommene Beratung in einer akuten Thematik oder Auseinandersetzung und konnte für unmittelbare Entspannung sorgen. Gleichzeitig war natürlich nicht jeder fachliche Input oder Beratungsimpuls gänzlich neu in Teams, die sich in der Regel bereits länger mit ihrer Selbstfindung und weiteren Entwicklung auseinandersetzen. Aber auch in diesen Fällen wurde die externe Rückspiegelung als hilfreiche Bestätigung aufgenommen. 

Insgesamt ernteten wir viel Respekt und auch Dankbarkeit dafür, dass die SOCIUS change essentials gemeinsam mit der Beratung den Teams wichtige Anstöße geben konnten zu wesentlichen und für sie relevanten Themen. Und wenn ein 4-stündiger online Termin auch keine längerfristige Beratung ersetzt, so konnten wir unserem Eindruck nach einerseits wesentliche Gespräche anstoßen in Teams, die nicht unbedingt in der Position und Lage sind, sich jederzeit Beratungsunterstützung zu suchen. Andererseits löste die Begleitung auch den deutlichen Wunsch nach „mehr“ aus. „Jetzt mit einer regelmäßigen Supervision weiterzumachen, wäre toll!“, lautete das Fazit in einer der vier Schlussrunden. Und eine Organisation konnten wir dahingehend bestärken, sich nun um die Finanzierung einer längerfristigen Beratung über das INQA Coaching  zu bewerben!

Autorin Joana Ebbinghaus

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Facilitate Belonging – Wie halten wir Räume der Zugehörigkeit?

Facilitate Belonging – Wie halten wir Räume der Zugehörigkeit?

Liebe Kolleg:innen,

wir wenden uns an euch als Menschen, die in unterschiedlichsten Kontexten Begleitungsarbeit tun – beraten, moderieren, mediieren, facilitieren und wie auch immer ihr es im Einzelnen nennt – und laden euch ein, uns gemeinsam zu fragen:

Was ist UNSER professioneller Beitrag in dieser Zeit? Aktuell werden Positionen  mehrheitsfähig, die Spaltung und Ent-Menschlichung erfolgreich als Lösung anbieten für eine Vielfachkrise aus Kriegen, Klimawandel, Hunger, Flucht. 

  • Was wird in solchen Zeiten aus unserer neutralen Rolle?  
  • Was stärken wir bewusst oder unbewusst, wenn wir mit Systemen arbeiten? 
  • Welche Narrative prägen uns und welche Wirkung haben sie in diesen Zeiten? 
  • Wie sieht Begleitungsarbeit aus, die Diskriminierung und Privilegierung adressiert und Menschen unterschiedlicher Positionierung Zugehörigkeit anbietet? 
  • Wie laden wir eine Balance aus Hinschauen, Wahrnehmen und Zuversicht ein?  

Fragen dieser Art möchten wir mit euch auf kognitiven und somatischen Wegen erkunden. Das Treffen am 22.02.24 von 17-20h (Online) ist der Beginn eines Prozesses, der sich unserer Haltung, unseren Möglichkeiten und schließlich unserer konkreten Praxis widmet. Wir setzen die Reihe im April und Juni fort und unterstützen eine Verstetigung als Community mit gemeinsamer Wissens- und Reflexionsbasis.

Wir freuen uns sehr auf die erste Begegnung in dieser Runde!

Britta Loschke, Christian Baier, Nicola Kriesel, Andreas Knoth, Joana Ebbinghaus, Hannah Kalhorn, Lysan Escher, Julia Hoffmann, Yi-Cong Lu und Denise Nörenberg

Solltest du Interesse haben, aber den Termin nicht ermöglichen können, dann sag uns auch gern Bescheid und wir halten dich auf dem Laufenden. 

Autorin Britta Loschke

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Webseiten mit Hilfe von künstlicher Intelligenz erstellen

Webseiten mit Hilfe von künstlicher Intelligenz erstellen

Eine gute Website ist wichtig – das spürt man spätestens beim zähen Navigieren auf komplizierten Webseiten oder wenn man einfach nicht findet, wonach man auf einer Webseite sucht.

Gute Webseiten zu bauen ist allerdings auch nicht gerade einfach. Deshalb gibt es dafür vollkommen zurecht eine eigene Branche.

Neue Tools auf Basis von künstlicher Intelligenz (KI) können die Arbeit beim Erstellen von Webseiten sowohl auf professioneller Ebene als auch für self-made Webseiten sinnvoll unterstützen.

Wie das geht, haben Ralph Piotrowski und ich uns im dritten Teil unserer Crashkurs-Reihe angeschaut. Einige Tipps und Workflows beschreiben wir euch in diesem Blogbeitrag.

3 Möglichkeiten, KI für Webseiten einzusetzen

Im Bereich der Texterstellung für Webseiten sind u.a. folgende Punkte hervorzuheben:

  • Textgenerierung
  • Textzusammenfassung (z.B. für Teaser oder auf Übersichtsseiten)
  • Inhalts-Optimierung:
    • Grammatik- und Rechtschreibprüfung
    • Stilistische Verbesserungsvorschläge (z.B. einfachere und klarere Sätze)
    • SEO-Anreicherung: KI-basierte Tipps tragen dazu bei, Texte suchmaschinenfreundlicher zu gestalten und somit die Online-Sichtbarkeit zu verbessern (siehe unten)

Tipp: mehr dazu kannst du auch im Blogbeitrag zum Crashkurs KI in der Texterstellung nachlesen.

Auch die Integration von KI in Design, Bilder und Layoutprozesse ermöglicht Verbesserungen und Vereinfachungen:

  • Individuelle Logos erstellen (z.B. Looka.com, logomakerr.ai)
  • Bilder und Grafiken (z.B. DALL-E 3, Adobe Firefly)
  • Designvorschläge mittels integrierter KI in Canva Magic Studio oder Adobe Sensei
  • Layoutkonzepte (z.B. ChatGPT danach fragen, wie eine Website für ein beliebiges Thema aufgebaut sein sollte)

Tipp: mehr dazu kannst du auch im Blogbeitrag zum Crashkurs KI in der Bilderstellung nachlesen.

Kund*innen-Support ist wichtig und auch hier kann KI eine Rolle spielen:

  • Sofortiger Support: KI-Chatbots und virtuelle Assistenten bieten unmittelbare Hilfestellung bei Anfragen
  • Die Implementierung ist mittels Plattformen wie Dialogflow oder Microsoft Bot Framework möglich
  • Wie das genau geht? Lass dir z.B. von ChatGPT eine Schritt-für-Schritt Anleitung geben, die auf deine Bedürfnisse und deine Vorstellungen zugeschnitten ist.

Zugänglichkeit und Inklusivität von Webseiten mit KI erhöhen

Wichtig ist für Webseiten, dass sie gut bedienbar sind und Informationen leicht zugänglich machen. Dazu gehören die Aspekte:

  • Leistung: Wie kann die Ladegeschwindigkeit der Seite verringert werden?
  • Zugänglichkeit: Wie hoch ist die Benutzer*innenfreundlichkeit der Webseite (z.B. ausreichende hohe Kontraste, Schriftgrößen, etc.)?
  • Suchmaschinen-Optimierung (SEO): Wie gut wird die Webseite aufgefunden (durch Suchmaschinen wie Google oder Ecosia)

Diese Fragen lassen sich mithilfe des Analyse-Tools “Google Lighthouse” (kostenlos, keine KI) beantworten. Sollte sich daraus Verbesserungsbedarf ergeben, kann eine KI wie ChatGPT befragt werden, wo Einspar-Potenzial bei der Ladezeit zu finden ist (Leistung) oder bspw. welche Farbpalette für mehr Lesbarkeit und höhere Kontraste sorgt (Zugänglichkeit).

Möglichkeiten, wo KI für die Webseiten-Gestaltung eingesetzt werden kann

Möglichkeiten, wie KI für die Webseiten-Gestaltung eingesetzt werden kann

SEO erhöhen oder wie Webseiten besser auffindbar werden

SEO ist wie das präzise Beschriften eines Buchrückens in einer riesigen Bibliothek, damit Leser*innen genau das Buch finden können, das sie suchen, sobald sie den Katalog durchstöbern.

Die „Beschriftung des Buchrückens“ kann für eine  Website vorgenommen werden, indem:

  • Überschriften und Zwischenüberschriften aussagekräftig sind,
  • Schlagwörter in Texten und Überschriften enthalten sind,
  • Bilder aussagekräftige Titel, Beschreibungen, Unterschriften und “Alt Text” (was angezeigt wird, wenn das Bild nicht angeschaut oder geladen werden kann) erhalten und die richtige Größe haben,
  • Meta-Beschreibungen einer Webseite hinzugefügt werden.

Dabei kann KI unterstützen und Arbeit abnehmen: 

  • erforderliche Texte an SEO angepasst erstellen
  • Kontext (Text und Bild-Input) kann hochgeladen werden (z.B. mit GPT 4.0), um bessere Ergebnisse zu erzielen
  • Feedback geben lassen: “Sind Überschriften, Titel, Beschriftungen usw. für hohe Auffindbarkeit von Suchmaschinen noch zu verbessern?”

Webseiten individualisieren mit KI-generiertem Code

Mit neuen KI-Tools gibt es nun auch die Möglichkeit, eine Website selbst zu programmieren oder um Code zu ergänzen, mit dem sich individuelle Vorstellungen umsetzen lassen. Auch wenn Code, also die Regeln und Algorithmen, die im Hintergrund dafür sorgen, dass ein Programm funktioniert oder eine Webseite Funktionen und Gestalt hat, technisch klingen mag – mit KI braucht dieser Code weder geschrieben noch verstanden werden, um ihn nutzen zu können.

Soll für eine Webseite beispielsweise ein Button oder ein Inhaltsverzeichnis erstellt werden und dabei bestimmte Vorstellungen berücksichtigt werden, dann kann hierfür etwa ChatGPT für den entsprechenden Code verwendet werden. Die KI wird darum gebeten, den Code zu generieren, der den zu formulierenden inhaltlichen und äußerlichen Vorgaben entspricht. Daraufhin wird html-Code (Inhalt und Funktion) und CSS-Code (Erscheinungsbild) ausgegeben. Es handelt sich dabei um zwei unterschiedliche Programmiersprachen. Beide werden anschließend auf der Webseite eingefügt (z.B. als “neues Modul” bei WordPress). Gegebenenfalls sind Anpassungen, bzw. Iterationen des Prozesses nötig, um das Ergebnis zu optimieren.

KI-Komplettlösungen für Webseiten

Für die Website-Erstellung gibt es auch KI-gestützte Komplettlösungen wie sitekick.ai oder mixo.io.

Unsere Empfehlung diesbezüglich lautet, für sich abzuwägen zwischen mehreren KIs mit spezifischen Funktionen (meist in kostenpflichtigen Abos), dafür aber als bequeme Komplettlösungen oder einem (zahlungspflichtigen) Abo für einen der KI-Allrounder wie GPT 4, dafür allerdings mit Mehrarbeit durch Hin- und Herkopieren zwischen KI-Tool und Zielort.

Vielfalt und tolle Ergebnisse treffen auf bestehende Herausforderungen

Abschließend sind wir einerseits überrascht von der Vielfalt der Möglichkeiten, wo KI bereits sinnvoll und effektiv eingesetzt werden kann, um Workflows in der Website-Erstellung zu verbessern und zu beschleunigen und begeistert davon, wie gut teilweise die Ergebnisse sind. Andererseits sind uns auch noch einige Schwachstellen aufgefallen und offene Probleme (z.B. KI-Komplettlösungen). Allerdings ist auch da vermutlich nicht die Frage, ob auf diesen Feldern noch eine Lösung gefunden wird, sondern vielmehr, wie lange es noch bis zur Lösung dauert.

On the other hand

Für eine kritische Auseinandersetzung mit dem Thema Künstliche Intelligenz, den Implikationen und sozialen sowie ökologischen Konsequenzen von KI haben wir eine Seite eingerichtet, die verschiedene weiterführende Ressourcen bereitstellt: https://agency-in-ai.org/on-the-other-hand/

 

Auch zu den vergangenen Crashkursen (KI in der Texterstellung und KI in der Bilderstellung) findest du eine Zusammenfassung auf dem socius Blog:

Texterstellung:

https://socius.de/gedanken-ki-text/

Bilddarstellung:

https://socius.de/crashkurs-bilderstellung-ki/

 

Die Aufzeichnung vom Crashkurs kann weiterhin erworben werden für 50€ pro Crashkurs, bzw. 120€ für alle drei Crashkurse zusammen. Weitere Infos findet ihr hier: https://agency-in-ai.org/ki-crashkurse/

Fragen oder Anmerkungen? Schreib Ralph und Burkhard per hello@agency-in-ai.org

Bildquellen: pexels.com & midjourney

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Socius change essentials

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Wie geht Bilderstellung mit Künstlicher Intelligenz? Drei Levels, die weiterhelfen

Wie geht Bilderstellung mit Künstlicher Intelligenz? Drei Levels, die weiterhelfen

Ein Foto schießen, eine Zeichnung anfertigen oder ein Bild nachbearbeiten lassen – das sind nur drei Funktionen von vielen, die mittlerweile mit künstlicher Intelligenz (KI) ausgeführt werden können.

In unserem zweiten Crashkurs am 17. Oktober stand die Bilderstellung im Fokus. Der Kurs orientierte sich dabei an 3 “Levels” der Bildgestaltung.

1. Level: Wie können Bilder mit KI generiert werden?

In den letzten Monaten gab es zahlreiche Neu- und Weiterentwicklungen im Bereich der KI-Bildgeneratoren. Firmen wie Adobe, Canva, OpenAI und Google haben regelmäßig neue Versionen ihrer Anwendungen vorgestellt. Aktuell kann man über die Suchmaschine Bing kostenlos auf das DALLE-3-Modell von OpenAI zugreifen, dem Unternehmen, das auch ChatGPT entwickelt hat (www.bing.com/create).

Damit können schnell und einfach Ergebnisse produziert werden, die zwar schon gut aussehen und etwas darstellen, aber noch nicht unbedingt das zeigen, was ich mir als Nutzer*in vorgestellt habe.

Hier der erste Versuch, ein Bild mit DALLE-3 zu produzieren. Ziel ist es, ein möglichst authentisches Bild von einem Workshop mit ca. 10 Personen zu erstellen, wovon hier noch keine Rede sein kann.

2. Level: Wie kann ich Bilder bewusst gestalten und eine bestimmte Bildidee umsetzen?

Um optimale Ergebnisse von KI-Bildgeneratoren zu erzielen, sind Anpassungen an den Prompts nötig. Wie bei der Texterstellung mit KI können auch hier zwei Grundsätze formuliert werden:

  • Prompts (die Aufforderungen, mit denen ich die KI starte) sollten klar, präzise und kompakt sein.
  • Detailreichtum verbessert das Resultat.

Aber was sind nun Details, die ich in einen Prompt einfließen lasse? Zu berücksichtigende Details lassen sich in vier Kategorien einteilen: 

  • Medium
    • z.B. Foto, Gemälde, Zeichnung, Icon, etc.
  • Stile und Effekte
    • z.B. animierter Stil, Stil einer bestimmten Künstlerin, etc.
    • z.B. Lichtquelle von oben, seitlich; Lichtstimmung nachmittags, herbstlich; Farbpalette aus Blautönen, warmen Farben
    • z.B. 3D-Effekt, schwarz-weiß Filter, Bokeh-Effekt, Tilt-Shift (“Miniatureffekt”)
  • Inhalt:
    • z.B. Subjekte, Objekte, Hintergrund, Haarfarbe, Alter etc.
    • z.B. Aktionen von Personen und Interaktionen mit Objekten (“hält Vase in der Hand”)
    • z.B. gemütliche, ruhige Atmosphäre
  • Technik:
    • z.B. Kamerawinkel (Weitwinkel, Vogelperspektive, Nahaufnahme),
    • z.B. Brennweite, Kameratyp (analoge Kamera oder Spiegelreflexkamera)

Nicht alle der genannten Details sind notwendig, um ein qualitatives Bild zu kreieren. Sie bieten jedoch eine Orientierung und zeigen die Vielfalt an Informationen, die berücksichtigt werden können, um das KI-Bild den eigenen Wünschen entsprechend anzupassen.

Besonders wichtig ist bei der KI-Bilderstellung auch, dass Iterationen zum Prozess dazugehören. Oft lässt das erste Ergebnis erkennen, was noch nicht wie gewünscht aussieht und dementsprechend im Prompt präzisiert werden könnte.

3. Level: Wie kann ich einen einheitlichen Stil über unterschiedliche graphische Elemente hinweg entwickeln?

Nach der detaillierten Anleitung zur Erstellung eines guten KI-Bildes konzentrierte sich das darauffolgende Kapitel des Crashkurses auf die konsistente Erstellung mehrerer Bilder, beispielsweise für ein Corporate Design.

Dafür haben wir einen spezifischen Workflow entwickelt, der von KI-generierten Visualisierungsvorschlägen für Icons, über Prompt-Ideen bis zur Feinabstimmung von Ergebnissen reicht.

Und obwohl die KI einen Großteil der Arbeit übernimmt, bleibt die Kreativität der Nutzenden bei der Auswahl und manuellen Anpassung von Vorschlägen essenziell.

Für die Anpassung kann dann wiederum die um KI-ergänzte Design-Software von Canva Magic Studio oder Adobe Firefly zur Anwendung kommen.

 

Mit DALLE-3 erstelltes Bild eines Workshops mit mehreren Details im Prompt und einigen Iterationen.

DALLE 3 Crashkurs

Zu gut, um wahr zu sein?

Vor allem die KI-gestützte Bilderstellung stellt uns als Gesellschaft vor eine Reihe komplexer, ungeklärter und wichtiger Fragen. Um nur einige zu nennen: 

  • Welche Bilder dürfen zum Training der KI-Modelle verwendet werden?
  • Wem gehören die Bilder, die mit KI generiert werden?
  • Wie viele Ressourcen werden verbraucht (Wasser für die Kühlung & Strom für den Betrieb der Rechen- bzw. Serverzentren)
  • Wie viele Ressourcen werden verbraucht, um das technische Gerät hinter KI-Anwendungen herzustellen (z.B. Chips) und wie sind die Arbeitsbedingungen entlang der Lieferkette?

Auf einer Website sammeln wir kontinuierlich Ressourcen, die sich mit kritischen Themen rund um KI auseinandersetzen: https://agency-in-ai.org/on-the-other-hand/

Unser Fazit

In den letzten Monaten gab es beeindruckende Entwicklungen im Bereich der visuellen KI-Anwendungen. Trotzdem entsprechen manche Anwendungen nicht der Qualität, die in Marketing-Kampagnen wünschenswert wäre. Dabei bleibt offen, ob diese Qualitätsunterschiede dauerhaft oder nur vorübergehend sind.

Kritische Themen wie Urheberrechtsfragen finden zwar erste Lösungsansätze, z.B. bei Adobe. Dennoch wirkt es so, als rückten Ressourcen- und Lieferkettenprobleme aufgrund der Begeisterung für neue Technologien in den Hintergrund und blieben damit unbeantwortet.

Wie geht es weiter?

Allen Teilnehmenden wurden am Ende die Folien des Crashkurses, die Aufzeichnung der Veranstaltung sowie eine kleine Ressourcensammlung mit weiterführenden Links und den vorgestellten Workflow als Grafik zur Verfügung gestellt.

Der nächste und vorerst letzte Termin in unserer Crashkurs-Reihe findet schon bald statt:

Vielen Dank an alle Teilnehmenden und bis zum nächsten Mal!

Alle Bilder wurden mit DALLE-3 erstellt.

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SOCIUS forscht zusammen mit Euch zu Selbstorganisation und Leadership

SOCIUS forscht zusammen mit Euch zu Selbstorganisation und Leadership

Ende September haben wir die Türen zur ersten offenen Forschungswerkstatt rund um das Thema “Selbstorganisation und geteilte Führung” geöffnet.
In einen hybriden Format fanden sich 11 Personen mit ganz unterschiedlichen Perspektiven  zusammen: Von neugierig fragender Haltung ohne bereits persönliche Erfahrungen mit Selbstorganisation in der eigenen Organisation gemacht zu haben bis zu konkreten Fragen mitten im Umsetzungsprozess einer geteilt geführten Organisation war alles dabei.

  • Wie kann geteilte Führung im gesamten Team jenseits von Führung als Doppelspitze gelingen? Und was ist auch möglich, wenn ein einzelnes Team innerhalb einer hierarchischen Organisation mehr gemeinsame Verantwortung leben will?
  • Wie können wir uns mehr dem Thema Macht und Verantwortung in Selbstorganisationsprozessen widmen? Und wie kann das bewusste Übergeben von Verantwortung gut gelingen?
  • Wie überfordern wir neue Personen, die in unser auch persönlich voraussetzungsvolles Selbstorganisationsmodell kommen, nicht?
  • Wie können wir als Organisation zur persönlichen Entwicklung jede:r Einzelne beitragen, um notwendige persönliche Kompetenzen zu stärken, die es für Selbstorganisation braucht?

Diese und noch viele Fragen mehr waren im Raum, nachdem wir von SOCIUS als Einstiegsimpuls unsere Landkarte zur Navigation von geteilter Führungsarbeit vorgestellt haben, in der wir die aus unserer Sicht wesentlichen Themen und Entwicklungsfelder rund um das Thema Selbstorganisation sichtbar gemacht haben. 

Es gab sogar schon erste Impulse, wie wir diese Landkarte noch weiterentwickeln könnten! Das freut uns, denn auch für uns ist die Forschungswerkstatt ein willkommenes Format zum Weiterlernen. 

Wir haben uns sehr über die große Resonanz, die neugierig-fröhliche Stimmung und den bereichernden Austausch gefreut und sind hochmotiviert, am 10.11. und 15.12. in dieser community of practice weiterzuforschen und gemeinsam Möglichkeiten und Hindernisse auf der Wegstrecke zu Selbstorganisation zu beleuchten und uns kollegial dazu zu beraten.

Aktuell ist unsere kleine Forschungsgruppe noch offen und ihr seid herzlich eingeladen, euch uns anzuschließen! Spätestens ab dem kommenden Jahr werden wir die Gruppe in ein online und ein Präsenzformat aufteilen und dann als geschlossene Gruppen weiterführen, um intensiven und persönlichen Austausch in einem geschützten Raum zu ermöglichen.

Erforsche  gemeinsam mit uns ein neues Format, in dem wir anhand praktischer Fragestellungen derer, die da sind, dem Wandel von Führungskraft zu geteilter Führungsarbeit und Selbstorganisation auf den Grund gehen. 

 

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Vom Gedanken – über die KI – bis zum fertigen Text

Vom Gedanken – über die KI – bis zum fertigen Text

Rückblick auf den Crashkurs Texterstellung mit Künstlicher Intelligenz September 2023

Es kann eine Menge von Gründen geben, warum es uns schwerfällt, einen umfangreichen Text zu schreiben. Mit text-generierenden KI-Tools wird es uns da etwas leichter gemacht. Aber wie genau funktioniert das?

In sechs Schritten, haben wir uns dieser Frage in einem Online-Crashkurs gewidmet. Ziel dabei war es, neben dem Teilen praxisnaher Anleitungen auch ein gemeinsames Verständnis der Grenzen dieser Technologie zu entwickeln – beides Voraussetzungen für einen selbstbestimmten Umgang mit Künstlicher Intelligenz.

1. Schritt: Den Workflow verstehen

Um sich einer Aufgabe, bzw. dem Schreiben eines Textes zu nähern, kann es praktisch sein, einen Workflow zu entwickeln. Dieser hilft dann dabei, sich immer wieder zu orientieren und strukturiert vorzugehen.

2. Schritt: Anleitung zu guten Prompts

Prompts sind die Aufforderungen, die KIs zum Arbeiten bringen, also die Auslöser, die ein Ergebnis anfordern. Dabei kommt es darauf an, wie diese formuliert werden. Denn auch vom Prompt hängt ab, wie gut das Ergebnis der KI wird. Daher haben wir uns im zweiten Schritt genau angesehen, was es zu beachten gilt, um gute Prompts zu formulieren.

3. Schritt: Ergebnis checken, Tipps und Tricks

Einige Risiken wie die sogenannten Halluzinationen (z.B. falsche Fakten) sind bei KI-generierten Texten besonders wichtig zu erwähnen. Daher haben wir uns diesen Punkt einmal genauer angeschaut. Dazu gab es Tipps, wie effektive Prompts zeiteffizient eingesetzt werden können, sodass am Ende der KI-Einsatz eine Zeitersparnis bedeutet und nicht mehr Zeit verbraucht, als den Text ohne KI zu verfassen.

4. Schritt: Ab in die Praxis per Hands-On Demo

In Kleingruppen haben wir uns anschließend mit zwei konkreten Fällen beschäftigt. Wie gehe ich vor, um ein Buchkapitel mit KI zu schreiben? Und wie gehe ich vor, um einen Blogbeitrag mit KI zu verfassen?

5. Schritt: Den eigenen Stil integrieren

Um die Texte, die mit Hilfe von KI verfasst wurden, zu verbessern, gibt es die Möglichkeit, Stile zu integrieren (z.B. den eigenen Schreibstil). Auch hierfür haben wir einen kleinen Workflow entwickelt, mit dem etwa der Ton oder die Wortwahl  des eigenen Stils bei KI-generierten Texten berücksichtigt wird.

6. Schritt: Viel Input? Sense-making!

Nach dem Input zur Texterstellung galt es zum Schluss einmal in Kleingruppen anzuhalten und zurückzublicken:

  • Was war neu für mich?
  • Wo gibt es noch Fragen?
  • Wie kann ich das Gelernte in meinen (Arbeits-) Alltag integrieren?

Das Schreiben umfangreicher Texte kann eine Herausforderung sein, aber mit einem klaren Workflow, dem Verständnis von Prompts und einigen bewährten Tipps kann es eine bereichernde Erfahrung werden und entlasten – zumindest dort, wo man den Einsatz von KI in der Texterstellung für sinnvoll und verantwortungsvoll hält.

Allen Teilnehmenden wurden am Ende die Folien des Crashkurses, die Aufzeichnung der Veranstaltung sowie eine kleine Ressourcensammlung mit weiterführenden Links zur Verfügung gestellt.

Hier ein kurzer Zusammenschnitt aus dem ersten Crashkurs im September.

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Die sieben Muskeln der Selbstorganisation – Next Steps!

Die sieben Muskeln der Selbstorganisation – Next Steps!

Save the date für die SOCIUS labore am 11. Januar, 21. März und 16. Mai 2024

Wenn sich eins gezeigt hat in den Monaten, die wir nun schon an den Sieben Muskeln der Selbstorganisation laborieren, ist es dies: Die Idee hat eine Menge Potential. Und da Potential mitunter eine feine Ausrede dafür ist, nicht zu früh zu viel festzuklopfen, müssen wir uns selbst immer wieder auf die Schiene setzen. Es geht also weiter mit den 7 Muskeln, nicht zuletzt in einer Laborreihe von Januar bis Mai 2024. 

Was hat es auf sich mit den Muskeln?

Die Praxis der Selbstorganisation, die uns in unserer Arbeit viel umtreibt, erfordert nicht nur smarte Tools und Modelle, sondern auch und vor allem persönliche Skills und Haltungen. Für diese nutzen wir das Bild der Muskeln. Sie können verkürzt oder verkümmert sein, lassen sich aber individuell wie auch gemeinsam trainieren und aufbauen. Die Auswahl der aus unserer Sicht relevantesten persönlichen Qualitäten für die Praxis der Selbstorganisation haben wir wie folgt benannt:

  • Showing Up – Präsenz in geteilter Führung
  • Resonanz in Beziehungen
  • Selbstnavigation – Bewusstheit für den eigenen Innenraum
  • Kultivierung von Vertrauen
  • Systemischer Blick – Handlungsfähigkeit in Komplexität
  • Alignment Ability – Sensibilität für Impulsdynamik
  • Rough Waters – Souveränität im Umgang mit Spannungen

Das Training dieser Muskeln wird durch erfahrungsbasierte Team-Workshops angestoßen, die in der Regel etwa einen halben Tag dauern. Anhand individueller „Hausaufgaben“ entwickeln Teilnehmende daraufhin in ihrem Arbeitsalltag Schritt für Schritt neue Fähigkeiten und Routinen. Wo sinnvoll, gibt ihnen das 7 Muskeln Programm dazu auch konkrete Werkzeuge und Praktiken an die Hand. Ein solches Tool aus dem Alignment Modul ist das Impuls Pitchdeck.

Selbstorganisations-Tools: Das Impuls Pitchdeck

Selbstorganisation läuft nicht immer rund. Manchmal rumpelt es, Impulse und Commitments bleiben unklar oder überlagern sich. Im besten Fall lernen wir daraus, im schlechtesten, sind wir frustriert, ziehen uns zurück und die Dinge versanden. Das SOCIUS Impuls Pitchdeck ist ein Kartenset zum Einspeisen von Ideen und zur Aushandlung von Commitments in selbstorganisierten Teams. 

 Die Nutzung des Decks funktioniert so: Eine Person teilt ihren Vorschlag bzw. Entwicklungsimpuls und spielt dabei eine Karte aus, die bezeichnet, ob sie sich in diesem Zusammenhang einfache Rückendeckung, einzelne Mitstreitende oder sogar ein Commitment aller Beteiligten in der Runde wünscht. Die Teamkolleg:innen spielen daraufhin Karten aus, die anzeigen wie hoch sie das Potential der Idee und ihre aktuelle eigene Beteiligungsmöglichkeit einschätzen. Aus dem Abgleich der gelegten Karten ergibt sich ein schneller Eindruck, welche Resonanz und Chancen auf Realisierung der Impuls hat, und was es braucht, um ihn gut zu versorgen. Sobald sich über die Karten ein gemeinsames Vokabular und eine Rückmeldungsroutine schärft, braucht es u.U. das Tool selbst gar nicht mehr.

Neugierig geworden? Dann sprich uns an und werde „Pitchdeck Prototypen Tester:in“

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Freie Schule gründen

Freie Schule gründen

Mit der Entstehung dieses Buches ist es wie mit der Gründung einer Schule gewesen – wir brauchten Geduld, Ausdauer und langen Atem.
Wir hatten mit einigen Verzögerungen zu kämpfen: Zusagen, die wir brauchten, kamen nicht so schnell wie gewünscht; der Verlag kündigte an, keine Printmedien mehr zu machen; unser Freund und BFAS Vorstandskollege Uwe Schröder starb; eine Pandemie tobte über den Globus und: wir gaben nicht auf.
Obwohl ich zugeben muss: es gab Zeiten, da hab ich nicht mehr dran geglaubt, dass dieses Buch noch erscheint.Und nun ist es doch geschehen.
 
 
 

Um was geht’s?

Der Bundesverband der Freien Alternativschulen (BFAS) begleitet und berät seit 1986 Schulgründungsinitiativen auf ihrem Weg zur Freien Schule. Von 2009 bis 2019 war ich Mitglied des Vorstandes und habe in dieser Rolle viele Schulgründungsinitiativen kennenlernen dürfen, habe Konzepte gelesen, auf den jährlichen Bundestreffen Beratung gemacht und schließlich mit Klaus Amann, Tilmann Kern und Uwe Schröder angefangen Schulgründungsworkshops zu konzipieren und anzubieten.

Die Gründungsmappe war ein Produkt des BFAS, das es schon viele Jahre vor meiner aktiven Zeit gab und das etliche Überarbeitungen erfahren hat. Sie war auch ein Verkaufsschlager des BFAS, jedoch hat die Produktion und Verschickung immer auch viel Zeit in Anspruch genommen und so entstand die Idee ein Buch daraus zu machen.

Dieses Vorhaben nahmen wir zum Anlass, den Prozess von Schulgründungen und ihrer Begleitung auch noch mal zu reflektieren und statt des 12-Schritte-Programms der Gründungsmappe, ein Handbuch in 15 Bausteinen zusammen zustellen. Klaus Amann, Tilman Kern und ich haben hierfür einige Texte um- bzw. neugeschrieben, aber auch bereits veröffentlichte Texte rund um Freie Schulen zusammengesucht und ihnen im neuen Buch einen neuen Ort gegeben. Deswegen sehen wir uns hier als Herausgebende, und nicht so sehr als Autor*innen. Ohne all die Unterstützung von anderen Aktiven in der Freien-Schul-Gemeinschaft wäre die Entstehung des Buches nicht möglich gewesen.

Die 15 Bausteine

Mit das Wichtigste an einer Schulgründung ist wohl das Bewusstsein, dass Gründer*innen sich auf das Grundrecht aus Art.7 Grundgesetz berufen und nicht irgendwelche absurden Ideen haben, mit denen sie zu Bittsteller*innen von Behörden werden. Freie Schulen zu gründen ist Teil der Zivilgesellschaft, in der Menschen sich für Veränderung vor Ort einsetzen und diese aktiv gestalten. Mittlerweile gibt es über 150 Freie Alternativschulen in Deutschland, die sich im BFAS organisieren, hinzu kommen 45 Gründungsinitiativen landauf landab. Die Bausteine im Buch sind:

  • Eine Gründungsgruppe finden
  • Inspirierende Schulen kennenlernen
  • Inspirierende Orte und Menschen kennenlernen
  • Ein eigenes Schulkonzept entwickeln
  • Schulrecht kennen und verstehen lernen
  • Einen Verein gründen
  • Entscheidungsstrukturen klären
  • Geld beschaffen
  • Die Wirtschaftlichkeit der Schule herstellen – Finanzplanung
  • Die Personalplanung
  • Räume finden
  • Türen öffnen
  • Antrag stellen
  • Genehmigungsbescheid prüfen
  • Die Schuleröffnungsfeier

Abgerundet wird das Buch mit einem umfangreichen Teil an Anhängen mit Beispielsatzungen, Finanzplänen, Kurzkonzepten, Interviews und Schulportraits bereits bestehender Schulen.

Im Angesicht der aktuellen Bildungssituation in Deutschland, die auch dazu führt, dass Aufrufe und Proteste unter dem Motto „Bildung muss anders“ immer lauter werden, wird es immer wichtiger selbst Initiative zu ergreifen und das öffentliche Schulsystem zu verändern.

Ich bin überzeugt, dass unser Buch einen Beitrag dazu leistet.

Das Buch „Freie Schule gründen“ ist ab sofort im deutschen Buchhandel zu erhalten, oder auch direkt beim BFAS.

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Selbstführung und berufliches Ärger-Management

Selbstführung und berufliches Ärger-Management

Künstliche Intelligenz meets Psychologie

Den Karren gegen die Wand fahren, sich selbst das Grab schaufeln, die Sprache kennt viele Metaphern dafür, wie wir Opfer unserer eigenen Verhaltensmuster werden. Oftmals ist der emotionale Treibstoff dieser Muster unser Ärger. Wir ärgern uns über die vermeintliche Inkompetenz unserer Kolleg:innen, Mitarbeitenden oder Vorgesetzten. Wir fühlen uns ignoriert oder befürchten, nicht die Anerkennung zu bekommen, die uns zusteht. 

Meist weiß ein Teil von uns, wie wenig dienlich dieser Ärger ist. Gerne wären wir emotional unabhängiger. Doch es will uns nicht gelingen. Selbst wenn wir uns immer wieder vornehmen, gelassener zu werden und neugierig zu bleiben, gewinnt die Empörung die Oberhand. Der Ärger platzt in uns auf wie eine Wasserbombe, die an einer Hauswand zerbirst. Und hat sich dieser Ärger erst einmal voll entfaltet, scheint er uns zu beherrschen. 

Credit: Dieses Bild wurde von der künstlichen Intelligenz DALL·E 2 für diesen Artikel generiert.

Uns Menschen fällt es schwer, in diesen Situationen das Steuer in der Hand zu behalten. Was also tun? Vielleicht naht Rettung ja von Seiten der generativen künstlichen Intelligenzen, die aktuell die Welt begeistern beziehungsweise tief verunsichern – je nach Blickrichtung. Fragen wir also Chat GTP.

Gedacht, getan: Ich frage Chat GTP Folgendes: „Ich ärgere mich auf Arbeit oft über meine Kolleg:innen. Und wenn ich mich ärgere, sage und mache ich Dinge, über die ich mich später noch mehr ärgere. Was kann ich tun, um gelassener zu werden und angemessener reagieren zu können?

Chat GTP antwortet unverzüglich:

Es ist normal, dass man sich manchmal über Kollegen aufregt, aber es ist wichtig, dass Sie lernen, Ihre Reaktionen zu kontrollieren, um professionell zu bleiben und keine unangemessenen Verhaltensweisen an den Tag zu legen. Hier sind einige Tipps, die Ihnen helfen können:

  • Tief durchatmen: Wenn Sie merken, dass Sie sich ärgerlich oder frustriert fühlen, nehmen Sie sich eine kurze Pause und atmen Sie tief durch. Versuchen Sie, Ihre Gedanken zu beruhigen und sich zu entspannen, bevor Sie reagieren.
  • Reflektieren Sie Ihre Gedanken und Gefühle: Fragen Sie sich, was genau Sie verärgert hat und warum. Versuchen Sie, Ihre eigenen Emotionen und die Gründe für Ihre Reaktionen zu verstehen.
  • Überlegen Sie, wie Sie reagieren möchten: Statt impulsiv zu handeln, überlegen Sie sich, wie Sie angemessen auf die Situation reagieren können. Bedenken Sie, dass Sie sich in einer professionellen Umgebung befinden und versuchen Sie, respektvoll und sachlich zu bleiben.
  • Kommunizieren Sie auf eine konstruktive Art und Weise: Wenn Sie mit jemandem sprechen müssen, um die Situation zu klären, tun Sie dies in einer höflichen und konstruktiven Art und Weise. Versuchen Sie, Ihre Bedenken ruhig und klar zu äußern und hören Sie auch aktiv zu, was der andere zu sagen hat.
  • Suchen Sie nach einer Lösung: Versuchen Sie, gemeinsam mit Ihren Kollegen eine Lösung zu finden, anstatt sich gegenseitig die Schuld zuzuschieben. Wenn Sie sich zusammen auf eine Lösung konzentrieren, können Sie eine bessere Arbeitsbeziehung aufbauen.

Letztendlich geht es darum, die Kontrolle über Ihre Emotionen zu behalten und respektvoll zu bleiben. Mit der Zeit werden Sie feststellen, dass es einfacher wird, auf eine angemessene Art und Weise zu reagieren und konstruktive Beziehungen zu Ihren Kollegen aufzubauen.

Hmm, nun ja, ganz nett, wusste ich aber schon und genau das, was die KI empfiehlt, fällt mir ja gerade so schwer. Ich hake also nach: „Aber wie behalte ich die Kontrolle über meine Emotionen? Genau das fällt mir ja gerade nicht leicht. Ich will doch auf eine konstruktive Art und Weise kommunizieren. Nur gelingt es mir nicht immer.“ Und Chat GTP antwortet ganz einfühlsam:

Das ist verständlich. Es kann schwierig sein, unsere Emotionen zu kontrollieren, besonders wenn wir frustriert oder verärgert sind. Hier sind einige weitere Tipps, die Ihnen helfen können, Ihre Emotionen zu kontrollieren:

  • Üben Sie Achtsamkeit: Durch Achtsamkeitsübungen wie Meditation oder Atemübungen können Sie lernen, im Moment zu bleiben und Ihre Gedanken und Emotionen zu beobachten, ohne auf sie zu reagieren. Dies kann helfen, Sie ruhiger und gelassener zu machen.
  • Reframing: Versuchen Sie, die Situation aus einer anderen Perspektive zu betrachten. Überlegen Sie, wie eine neutralere Person die Situation sehen würde und welche Handlungsoptionen sich aus dieser Perspektive ergeben.
  • Benennen Sie Ihre Emotionen: Wenn Sie sich aufgeregt oder wütend fühlen, benennen Sie Ihre Emotionen. Zum Beispiel könnten Sie sagen: „Ich fühle mich frustriert“, anstatt zu sagen oder zu tun, was Ihre Emotionen verstärkt.
  • Nehmen Sie sich Zeit: Nehmen Sie sich etwas Zeit, um sich zu beruhigen, bevor Sie reagieren. Gehen Sie eine Runde spazieren oder machen Sie eine Pause, bevor Sie auf die Situation reagieren. Wenn Sie sich wieder beruhigt haben, können Sie besser auf die Situation eingehen.
  • Visualisieren Sie eine positive Reaktion: Stellen Sie sich vor, wie Sie in einer ähnlichen Situation auf eine konstruktive Art und Weise reagieren. Visualisieren Sie, wie Sie ruhig und sachlich bleiben und wie Sie eine Lösung für das Problem finden.

Letztendlich geht es darum, Ihre Emotionen zu erkennen, sich Zeit zu nehmen, um sich zu beruhigen, und dann bewusst zu entscheiden, wie Sie auf die Situation reagieren möchten. Wenn Sie diese Techniken regelmäßig üben, werden Sie mit der Zeit in der Lage sein, Ihre Emotionen besser zu kontrollieren und auf eine konstruktive Art und Weise zu kommunizieren.

Das geht doch jetzt schon in eine konkretere Richtung mit umsetzbaren Tipps, wunderbar. Und als erster Ansatzpunkt gar nicht übel. Wenn ich diese Tipps mit meinen Erfahrungen beim Coaching mit Führungskräften, meiner psychotherapeutischen Praxis und nicht zuletzt meiner inneren Erlebenswelt abgleiche, springen mir vor allem die Worte „anstatt zu sagen oder zu tun, was Ihre Emotionen verstärkt“ ins Auge. 

Eine der Kernfähigkeiten bei Selbstführung ist, das Anbahnen der Emotionen wahrzunehmen, die eigenen Impulse und Handlungstendenzen abzuwägen und rechtzeitig entscheiden zu können, in welche Richtung die emotionale Fahrt Schwung aufnehmen soll. Denn nicht die äußeren Umstände, sondern unsere inneren Verarbeitungsprozesse bestimmen unsere Emotionen. Und wenn die emotionale Wasserbombe des Ärgers schon geplatzt ist, ist es wesentlich aufwendiger sich zu regulieren, als bereits die ersten Spannungen wahrzunehmen, diese ernst zu nehmen und sie in konstruktivere Bahnen zu lenken. Denn Emotionen sind meist selbstgemacht, selbst wenn sie sich nicht so anfühlen. Einer der hilfreichsten Tipps für Selbstführung ist meines Erachtens deshalb:

 

 

Ralphs Schwerpunkt ist es, mit Menschen Meta-Kompetenzen wie Selbstnavigation zu entwickeln. Diese Kompetenzen erweitern die eigene Handlungsfähigkeit und stärken die Wirksamkeit von selbstorganisierten Teams.

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Crowdfunding für Monia Ben Larbis Buch „Einfach (nur) arbeiten“

Crowdfunding für Monia Ben Larbis Buch „Einfach (nur) arbeiten“

Unsere geschätzte Kollegin und SOCIUS Freundin Monia Ben Larbi will dieses Jahr ihr Buch veröffentlichen.

Sie erzählt darin die Geschichte von Mila, die mit Anfang 30 schwer erkrankt und sowohl von Ärzt*innen als auch Behörden empfohlen bekommt, sich verrenten zu lassen. Das kommt für Mila nicht in Frage. Sie sieht soviel Sinn in ihrer Arbeit als Mediatorin, Organisationsentwicklerin, Dozentin, dass sie ihre Leidenschaft für’s arbeiten auf gar keinen Fall aufgeben will. Sie sucht Wege, wie inklusives Arbeiten möglich ist. Immer wieder denkt – und sagt sie auch:

Ich habe doch meine Erfahrung und Expertise nicht verloren, nur weil ich nicht mehr so belastbar bin, dass ich 40 Stunden in der Woche arbeiten kann!

Monia Ben Larbi beschreibt in Milas Geschichte sehr deutlich, wie Selbstorganisation, die Ideen von New Work und Frederic Laloux‘ „Reinventing Organisations“ ihr Hoffnung und Anhaltspunkte geben, was nötig ist um diversitäts- und diskriminierungssensible Arbeitskontexte zu gestalten und welche Erfahrungen sie damit macht. Dabei nimmt sie uns mit in ihre sehr persönliche Geschichte von Willensstärke, Zuversicht, Überforderung und Mut.

Um das Buch zu veröffentlichen hat Nicola Kriesel eine Crowdfunding Kampagne bei Startnext gestartet, in der bis Ende Mai 4000,00€ gesammelt werden sollen, so dass dieses Buch publiziert werden kann.

Wir freuen uns auch, wenn Du den Link zu Startnext weiterteilst.

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Teamresilienz stärken

Teamresilienz stärken

Anfang November hatten Hannah und ich zusammen das Vergnügen für 16 Personen einen Teamtag zu gestalten zum Thema „Stress, Resilienz und Regeneration“. Im Rahmen unseres durch die Deutsche Stiftung für Engagement und Ehrenamt geförderten Projektes CLEE (Community Learning für Ehrenamtliche und Entscheidungsträger*innen) war es naheliegend, dass wir  das vierte Modul unseres kostenlosen Onlinekurses SOCIUS change essentials – Neue Wege der Organisationsentwicklung in den Fokus der Vorbereitung setzten. Wir luden die Teilnehmenden ein, die Videos des Moduls Resilienz vorab zu schauen, so dass wir beim Start um 9h schon eine gemeinsame Wissensbasis zum Thema hatten.

Wir starteten den Tag mit einem bewegten Einstieg – aufstehen, räkeln, strecken, schütteln und dann OMG – orient | move | ground –

🔦 orientiere dich: wo bist du im Raum? Wer ist da noch? Wer ist in deiner Nähe? Wer ist weit weg?

💃 beweg dich – das kann eine kleine Mikrobewegung sein, oder ein paar Schritte durch den Raum, du kannst rennen, oder tanzen, schreiten oder schleichen. Beweg dich.

🌳 verbinde dich mit dem Platz auf dem du stehst. Spüre deine Füße auf dem Boden. Nimm ein paar tiefe Atemzüge.

Und dann gerne noch 1 bis 2 mal: OMG!

Im Anschluss an einen verbalen Check-in ist das Team in Triaden spazieren gegangen und hatte von uns den Auftrag darüber zu reden:

  • 🥳 Was gibt es zu feiern?
  • ✅ Was wurde gemeinsam vollbracht?
  • 😁 Was gelingt richtig gut ?

Unsere Idee war im Anschluss aus jeder Gruppe eine (1) Geschichte zu hören und aufzuschreiben, aber das Team hatte so viele Geschichten des Gelingens, des Vollbrachten und des Feierns zu erzählen, dass wir über 20 runde Moderationskarten als Riesenkonfetti an die Wand kleben konnten.

Danach gönnten wir uns eine Pause – die ist ja bekanntermassen wichtig für die Regeneration – und dann eine kleine Auffrischung in Sachen Resilienzfaktoren.

Den Rest des Tages widmeten wir uns in einem Wechsel von Pausen, Bewegung, Plenum und Kleingruppenarbeit zuvor vom Team identifizierten Stressoren mit der Brille 👓 der Resilienzfaktoren.

Statt auf die Entstehung von Problemen und Herausforderungen zu schauen und zu versuchen herauszufinden wie es dazu kommen konnte, arbeite das Team mit den Fragestellungen: Was braucht es für die Zukunft? Woran merkst du, dass es besser geworden ist? Wenn du einen Resilienzfaktor auf das Problem „anwendest“ – wie verändert es sich dann?

Dieser Perspektivwechsel führte zu überraschenden Einsichten und Erkenntnissen und machte Platz für neue Gedanken und Lösungsansätze um mit alten Stressfaktoren einen anderen Umgang zu finden.

Mein Lieblingssatz des Tages von einem Teammitglied war: „Eigentlich ist Stress und Resilienz gar nicht so mein Thema. Ich hab nicht viel Stress und bin ziemlich resilient. Aber dann hab ich die Videos geguckt und gedacht: oh, da kann man doch immer noch was machen und entwickeln. Vor allem auch im Team und in der Organisation. Und das haben wir heute gemacht und ich hab jetzt sogar zwei Buddys für mein Thema.“

Das hat mich berührt und erfreut.

Was macht Ihr in Euren Teams zur Resilienzstärkung und Regeneration?

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Die sieben Muskeln der Selbstorganisation

Die sieben Muskeln der Selbstorganisation

Selbstorganisation ist eher eine Praxis als ein Strukturmodell. Und während Modelle einfach übernommen werden können, ist der Weg zur Beherrschung einer Praxis die Praxis selbst: Studien gehen von 10.000 Stunden aus, um auf einem Feld Exzellenz zu erreichen (Malcom Gladwell (2009): Outliers). Um etwa ein „exzellenter“ Pianist zu werden, muss ich 10 Jahre lang täglich drei Stunden Klavier üben. Wie kommen wir also darauf, dass wir, um Selbstorganisation zu meistern, lediglich enthusiastisch Laloux lesen und unser Organigramm von Kästchen auf Kreise umstellen müssen? Nein, meine Freund:innen, wir müssen trainieren, und abhängig von unseren früheren Verstrickungen, ordentlich trainieren.

In einer der inspirierenden Break-Out-Sessions der großen Covid Networking Wolke hatte ich das Vergnügen, auf Trine Demant von „Democracy Fitness zu treffen. Mit ihrem Team hat sie eine Reihe von Kurzprogrammen entwickelt, in denen „Demokratie-Muskeln“ trainiert werden – im Alltag oft verschüttete persönliche Kompetenzen, die entscheidend für die aktive Gestaltung und Beteiligung an einer lebendigen Demokratie sind. Zu den Kompetenzen gehören etwa „Verbales Selbstvertrauen“, „Empathie“ oder „Mobilisierung“.

Die Trainings sind aktivierend und machen Spaß, sollen aber auch herausfordern: „Wenn es ein bisschen weh tut, ist das ein gutes Zeichen dafür, dass Du die Übungen richtig ausführst“, heißt es dazu im Einführungshandbuch. Erstaunlich ist dabei: Jedes Training dauert nur 30 Minuten. Hey, was ist mit den 10.000 Stunden? Nun ja, irgendwo muss man ja anfangen – das Training ist lediglich die Einführung in einen ungenutzten Teil unseres Potenzials. Mit den Worten von democracy fitness: „Wenn Du fertig bist, wirst Du Dich immer daran erinnern, dass Du und andere diesen Muskel haben“. 

Fasziniert von diesem Ansatz frage ich mich natürlich, wie er sich auf die Entwicklung von Selbstorganisation übertragen lässt? Wenn wir davon ausgehen, dass wir trainieren müssen, um erfolgreich neue Wege der Zusammenarbeit zu gehen, welche Teile unserer Fähigkeiten sollten wir dann kultivieren? Meine Vermutung ist, dass die Muskeln der Selbstorganisation nicht so weit von den Muskeln der Demokratie-Fitness entfernt sind. 

Wir haben über diese Frage bei unserer letzten SOCIUS Klausur an der Adriaküste nachgedacht. Die folgende Liste der Sieben Muskeln der Selbstorganisation ist ein erstes Ergebnis dieser Gespräche:

  1. Kultivierung von Vertrauen 
  2. Präsenz (im Führen und Folgen)
  3. Selbstnavigation 
  4. Souveränität in Rauen Gewässern
  5. Resonanz in Beziehungen
  6. Bewusstheit für Lebende Systeme 
  7. Einbindung im Groove 

Natürlich gibt es andere Versionen, sicher braucht es auch noch einige Überarbeitungsschleifen – aber es ist erstmal ein solider Ausgangspunkt. Schauen wir uns die Muskeln, ihre Bedeutung im Kontext von Selbstorganisation und die Möglichkeiten des Trainings etwas genauer an:

Kultivierung von Vertrauen 

(Dem Prozess vertrauen; Sich selbst und anderen vertrauen, dem Universum vertrauen, Geduld haben, optimistisch bleiben)

Einer der hartnäckigsten Vorbehalte gegenüber Praktiken der Selbstorganisation ist, dass sie zu zeitaufwändig sind. „In ruhigen Gewässern können wir uns den Luxus dezentralisierter Kontrolle leisten, aber wenn das Wetter rau wird und viel auf dem Spiel steht, sollten wir besser auf etwas Strafferes und Effizienteres zurückgreifen“. Sehen wir da mal etwas genauer hin: Selbstorganisation wird vor allem da langsam, wo Vertrauen fehlt. Wenn ich davon ausgehe, dass meine Teammitglieder inkompetent sind oder ihre Macht missbrauchen und in einer Weise handeln, die eher ihren eigenen Interessen als unserer gemeinsamen Sache dient, werde ich versuchen, sie zu kontrollieren. Ich sorge dafür, dass Reports und Entscheidungen im Plenum erfolgen und dass Genehmigungsschleifen und dreifache Kontrollsysteme installiert sind. All das macht Prozesse langsam und uninspirierend. Wenn ich dagegen darauf vertraue, dass meine Mitstreiter:innen die gemeinsame Sache im Blick haben und kompetent (oder zumindest nach bestem Wissen und Gewissen) handeln, kann ich mich auf ein handhabbares Minimum an Kontrolle einlassen und so ein Maximum an Dynamik ermöglichen. Die Zone dessen, was „sicher genug ist, um es zu versuchen“, wächst.

Kann man diese Art von Vertrauen trainieren? Ein grundlegender Baustein dazu ist ein Phänomen, das der Psychoanalytiker Erik Erikson „Urvertrauen“ nennt – eine tiefe und grundlegende Überzeugung, dass die Welt ein guter Ort ist, der mich nährt. Nach Eriksons Entwicklungstheorie wird Urvertrauen idealerweise in den ersten 1,5 Lebensjahren eines Kindes aufgebaut und bildet die Grundlage für spätere Vertrauenserfahrungen und eine zuversichtliche und optimistische Lebenseinstellung. Ein Aspekt dieses Optimismus ist „People Positivity“ – die Überzeugung, dass Menschen kompetent, fähig und – wenn nicht anders sozialisiert – bereit sind, zum Gemeinwohl beizutragen. 

Die Stärkung der Fähigkeit zu vertrauen beginnt bei der Frage: „Wann und wie fühle ich mich sicher“? Und dann konkreter: „Wann fühle ich mich sicher genug, um es zu wagen, meinen Kolleg:innen in ihren Rollen und Verantwortlichkeiten zu vertrauen?“. Je bewusster wir uns unserer Grundbedürfnisse sind, desto besser verstehen wir, wo sich das Handeln anderer an ihnen reibt, und können dem auf produktive Weise begegnen. 

Neben der individuellen Dimension hat Vertrauen auch eine soziale Qualität, die von selbstverstärkenden Feedbackschleifen geprägt ist: Vertrauen erzeugt Vertrauen; es beruht auf Commitments die eingelöst und auf Versprechen, die gehalten werden. Ohne solche Commitments gibt es keine Basis für den positiven Kreislauf des Vertrauens. Und ohne Vertrauensvorschüsse gibt es keine Initialzündung, die die Spirale positiver Erfahrungen in Gang setzt. Beides lässt sich kultvieren.

Präsenz (im Führen und Folgen)

(Dem Impuls folgen. Spüren, was passieren will. Unerschrocken voran gehen. Führen. Und: Folgen: eine gute Idee erkennen und unterstützen. Selbstlos mitgehen, Ja Sagen!)

Führen ist ein Balanceakt zwischen inneren und äußeren Impulsen. Die Bewusstheit fürs Innere, das Spüren und Vertrauen in unsere Intuition, steht dabei der Wahrnehmung und Deutung des sozialen Feldes gegenüber. Wenn wir den Kontakt zu einer der beiden Seiten verlieren, wenn die beiden Welten sich vermischen oder eine das Handeln dominiert, wird Führung schwierig. In selbstorganisierten Teams ist Führungsenergie zwar verteilter und dynamischer als in klassischen hierarchischen Organisationen, aber der Balanceakt zwischen inneren und äußeren Impulsen ist genauso delikat. Führungshandeln erfordert einen souveränen Umgang mit diesen Impulsen und die Fähigkeit, darin sinnvoll und unerschrocken zu handeln. 

Wie Führung beruht auch Gefolgschaft (Followership) im Kontext von Selbstorganisation auf beherztem Handeln. Es geht nicht darum, einer Person zu folgen, sondern darum, ihren Impuls zu verstärken. Die Kunst des Folgens besteht nicht darin, widerspruchslos jedes Spiel mitzuspielen, sondern darin, einen Impuls aufzunehmen und kreativ damit zu arbeiten. Derek Sievers bringt es auf den Punkt: „Uns wird gesagt, dass wir alle Führung übernehmen  sollen, aber das wäre extrem ineffektiv. Die beste Art, Bewegung in etwas zu bringen, was uns wirklich am Herzen liegt, ist, mutig zu folgen und anderen zu zeigen, wie das geht“.

Wie können wir diesen Muskel trainieren? Zunächst wollten wir uns daran erinnern, dass wir alle tiefgreifende Erfahrung im Führen und Folgen haben. Spielen ist ein fließender Tanz aus impulsieren und mitgehen. Kinder sind im Allgemeinen ebenso in der Lage, spontan eine Idee vorzubringen und umzusetzen, wie freudig einem Handlungsangebot zu folgen: „Hey, lass uns…“ – „Komm, wir…“. „Ja, und…“. Es gibt eine Reihe von Gründen, warum diese angeborene Fähigkeit, einem Impuls (oder vielleicht besser: uns selbst) zu folgen, im Jugend- und Erwachsenenalter oft verschüttet wird: Wir verbringen prägende Jahre in Bildungssystemen, die Impulskontrolle gegenüber Impulsivität bevorzugen; wir verbringen Zeit an mehr oder weniger regulierten Arbeitsplätzen, an denen impulsives Handeln mit Skepsis begegnet wird; und wir leben in einem sozialen Umfeld, das Führung glorifiziert und gleichzeitig Versagensängste und Gefühle von Hochstapelei nährt, sobald wir den Rahmen unseres formalen Rollenhaushalts überschreiten. Es ist, gelinde gesagt, verwirrend. Das Training der Fähigkeit, impulsiv zu handeln, beginnt damit, uns mit unserem spielerischen Selbst zu verbinden und die verinnerlichten Stimmen und Zwängen abzubauen, die den impulsiven Prozess unseres inneren Kindes begrenzen.

Selbstnavigation 

(Bereit sein, zu lernen und zu verlernen; Die Selbstwahrnehmung kultivieren. Reflexion zur Routine machen; die eigenen Grenzen kennen und respektieren)

Der Weg zur Selbstorganisation erfordert eine schrittweise Verlagerung von äußeren Strukturen hin zu innerer Kompetenz und persönlicher Entwicklung als Quellen von Stabilität. Der Muskel der Selbstnavigation ist dabei zugleich Voraussetzung und Produkt dieses Prozesses. Er fußt auf der Ortskenntnis unserer inneren Landschaft und bedingt die Fähigkeit, sich einzulassen und dabei zugleich die eigenen Grenzen zu respektieren. Während hierarchische Organisationen oft Belastungen durch Entfremdung und Fremdsteuerung mit sich bringen, besteht die Belastung im Kontext von Selbstorganisation häufig darin, ein gesundes Maß an Engagement zu finden, da wir nicht nur für uns selbst, sondern für das Große Ganze mitverantwortlich sind. 

Selbstnavigation lässt sich nicht aus dem Lehrbuch erlernen. Bücher können Ideen und Inspirationen liefern, neue Dinge auszuprobieren oder Altes loszulassen, aber die Karte ist nicht das Gebiet: Das wirkliche Wachstum geschieht im reflektierten Handeln. Mikropraktiken und Reflexionsroutinen sind dafür gute Container. Strukturelle Unterstützung für den Muskel der Selbstnavigation erfordert, ihnen Raum und Zeit zu widmen und sie gegen die gierigen Wellen des Tagesgeschäfts zu verteidigen.

Resonanz in Beziehungen

(Tief zuhören. Empathie und Neugierde kultivieren. Mit dem Herzen hören)

Die Bedeutung von Resonanz für jegliche soziale Praxis liegt auf der Hand. Für die Praxis der Selbstorganisation ist sie besonders relevant: Die adaptive Qualität von selbstorganisierenden Systemen zielt auf die laufende Anpassung an ihrer Umwelt. Zur Umwelt gehört dabei das externe Feld, aber auch die interne Dynamik, die die Mitglieder einbringen. Die wirklich spannenden Dinge in diesen beiden Bezugswelten liegen unsichtbar unterhalb der Wasserlinie. Auf kollektiver Ebene bedeutet Resonanz, solch verborgene Dynamiken zu erspüren.

Auf der Beziehungsebene liegt Resonanz nahe bei Empathie. Empathie ist die Fähigkeit, sich in eine andere Person einzufühlen und ihre emotionale Situation zu erleben. Sie kann zum Beispiel durch Perspektivenübernahme kultiviert werden: in die Schuhe des Gegenübers schlüpfen, Austausch und Feedback üben. Ein weiterer Weg ist das tiefe Zuhören, das etwa in der dialogischen Praxis und in der gewaltfreien Kommunikation verankert ist.

Souveränität in rauhen Gewässern

(Abweichende Meinungen vertreten; Die produktive Kraft von Spannungen genießen; Entschlossen verhandeln; Wo nötig Nein-Sagen)

Teams mit einem ausgeprägten Wertehintergrund der „People Positivity“ kultivieren oft ein Dogma der Harmonie: „Ich stelle deine Idee nicht in Frage und du stellst meine nicht in Frage“. Eine solche Harmonie verringert das Potenzial kollektiver Kreativität und führt zu Schwächen in der Entscheidungsfindung: Ideen und Beiträge werden einfach unter einem breiten Dach zusammengefasst, anstatt kritisch geprüft und ausgewählt oder zusammengeführt zu werden. Unterschiede in den Standpunkten und Interessen werden mit einer Decke der Wertschätzung überdeckt. Diese Art von Harmonie wird oft mit Alignment verwechselt: „Wenn wir uns nicht reiben, müssen wir wohl eine gemeinsame Ausrichtung haben“. 

Die Praxis der Selbstorganisation betrachtet Spannungen dagegen als notwendigen Treibstoff für Entwicklung. Holacracy definiert sie etwa als „Lücke zwischen der aktuellen Realität und einem wahrgenommenen Potenzial“. Die regelmäßige Bearbeitung von Spannungen hilft dabei auch, zu verhindern, dass sie zu manifesten Problemen und Konflikten eskalieren. 

Souveränität in Rauen Gewässern erfordert ein fruchtbares Maß der Einlassung auf solche Spannungen. Stell Dir vor, Du gehst spazieren und finden einen Haufen Schutt auf deinem Weg. Bei einem einmaligen Ausflug wirst Du den Haufen wahrscheinlich weder wegschaufeln noch über ihn hinwegklettern. Je nach Stimmung bleibst Du vielleicht kurz verwundert oder verärgert stehen und umrundest dann das Hindernis, um zu Deinem Ziel zu kommen. Handelt es sich hingegen um einen Weg, den Du täglich gehst, liegt es nahe, dass Du den Haufen wegräumst, um dauerhaft Zeit und Energie zu sparen. Mit Konflikten und Spannungen verhält es sich ähnlich: Die einmaligen Kleinigkeiten wie auch einige Spezial-Dramen können wir einfach umschiffen. Warum Energie auf etwas verschwenden, das uns von unserem Ziel ablenkt? Die Spannungen, die uns dagegen immer wieder in die Quere kommen, sollten wir angehen, ganz gleich, wie unbedeutend oder massiv sie sind. 

Der Weg zur Souveränität in Rauen Gewässern, ist schlicht, aber nicht einfach: Übe, mit Spannungen umzugehen, ohne Dich von ihnen verrückt machen zu lassen. Initiiere Spannung in einem sicheren sozialen Umfeld und bleib bei ihr, ohne sie zu entschärfen. Sei kritisch, sei wütend, sei unhöflich, wenn es sein muss. Übe Einspruch, sag Nein. Achte auf Deine Empfindungen, Deine körperlichen und geistigen Reaktionen. Mach Dir Notizen über Deine täglichen Workarounds und entscheide Dich, welchen dieser Umwege Du loswerden willst.  Und dann tu es einfach und sieh, wie das Leben danach weitergeht.

Bewusstheit fürs lebendige System 

(Muster erkennen und Dynamiken beobachten. Vereinfachungen misstrauen. Das große Ganze im Blick behalten. Verstehen, wie auch kleine Dinge den Purpose nähren. Aufmerksam sein für emergente Ordnungen)

Komplexitätsbewusstsein (Complexity Consciousness) ist eine der Metakompetenzen unserer Zeit. Sie bezeichnet die Anerkennung der nicht-linearen dynamischen Qualität sozialer Prozesse und die Fähigkeit, mit dieser Dynamik umzugehen, was wiederum Flexibilität, Geduld und Ambiguitätstoleranz erfordert. Die besondere Relevanz dieses Muskels für die Navigation selbstorganisierender Systeme hat mit deren spezifischer Mischung aus formellen und informellen Settings zu tun.

Bemühen wir hier eine weitere Analogie: Beim Autofahren steuern wir ein kompliziertes System, das auf einer Mechanik erster Ordnung mit einigen selbstregulierenden Rückkopplungsschleifen aufbaut. Natürlich braucht es eine gewisse Ausbildung, um Start- und Steuervorrichtungen zu bedienen, um den Unterschied zwischen Kupplung und Bremse zu kennen und um zu wissen, welche Anzeigen im Auge zu behalten sind. Wenn das Auto eine Panne hat, ist es gut zu wissen, welcher Mechaniker weiterhelfen kann. Das war’s eigentlich schon. Der wirklich knifflige Part ist nicht das Auto, sondern der Verkehr. Sich souverän durch dichten Verkehr zu bewegen, erfordert mehr als nur ein bisschen Training. Verkehr ist ein komplexes System, er ist lebendig und unberechenbar. Er besteht aus dynamischen Interferenzen und selbst-verstärkenden Rückkopplungsschleifen, die plötzliche Veränderungen bewirken können. Sich in diesem Umfeld zurechtzufinden, erfordert Erfahrung, Achtsamkeit und mitunter beherztes Handeln.

Organisationen vereinen diese beiden Qualitäten: Während Strukturen und Prozesse kompliziert sind, bilden die sozialen Interaktionen in ihnen eine komplexe zweite Realität ab. Je mehr wir den Schwerpunkt auf informelle Dynamik statt auf formale Strukturen und Prozesse legen, desto mehr müssen wir uns auf diese komplexe Natur der Organisation einstellen. Selbstorganisierende Systeme beruhen auf einem hohen Maß emergenter Dynamik – in dem Sinne ist in ihnen die Qualität des Verkehrs prägender, als die des Autos.

Wie lässt sich eine Bewusstheit fürs Lebende System aufbauen? Das Einlassen auf Komplexität erfordert zunächst eine spezielle Art des Sehens: Sie lebt vom fließenden Wechsel zwischen der konzentrierten Beobachtung von Details und der offenen Wahrnehmung von Mustern. Was gestern geschehen ist und was jetzt gerade geschieht, ist relevant. Seine Bedeutung erhält es aber vor allem durch dem Kontext dessen, was immer wieder geschieht. 

Schließlich ist es auch hilfreich, Klarheit über unsere Modelle zu bewahren. Der Komplexität unserer sozialen Welt gerecht zu werden, ist praktisch unmöglich: wir brauchen Modelle und Abkürzungen, um handlungsfähig zu bleiben. Wenn wir vergessen, dass wir diese kognitiven Hilfsmittel nutzen, verwechseln wir unsere Vereinfachungen mit der Realität.

Einbindung im Groove 

(Alignment entstehen lassen. Die kollektive Dynamik und die eigene Rolle darin spüren. Sich synchronisieren. Swing ins Spiel bringen)

Der letzte Muskel ist der kniffligste und umfassendste. „Groove“ ist ein nebulöses Konzept das schwer zu operationalisieren ist (können Algorithmen miteinander grooven?). Die erste Zutat zum Groove ist „Alignment“ – eine Qualität, die sich vielleicht am besten mit „gemeinsamer Ausrichtung“ übersetzen lässt; die zweite ist lebendige Dynamik, oder auch „Swing“.

Eine Lebendige Ausrichtung bedeutet nicht, dass alle in dieselbe Richtung schwimmen oder ein gemeinsames Ziel haben – es geht darum, dass das übergeordnete Ziel mit dem Ziel jedes Einzelnen zusammenpasst. Was genau ist der Unterschied? In manchen Kollektiven herrscht Nivellierung vor: Alle folgen einer gemeinsamen Richtung, denken, gleich, fühlen gleich – es gibt keine individuellen Absichten, da jede:r Einzelne seine/ihre Agenda ins Kollektiv projiziert. Im Gegensatz dazu müssen für gelingende Selbstorganisation die individuellen Agenden aufgeladen sein und dynamisch auf das gemeinsame Ziel ausgerichtet werden (Spotify hat hierfür den Begriff der „Aligned Autonomy“ geprägt). Die leichten Divergenzen zwischen der individuellen und der kollektiven Zielebene und die daraus entstehenden Spannungen sind Motor von Entwicklung. Wenn sie keinen Raum haben und nicht zelebriert werden, ist das System zwar ausgerichtet, aber nicht lebendig. 

Eine dynamische Einbindung in den Groove zu entwickeln, ist so anspruchsvoll, wie ein guter Jazzmusiker zu werden. Es erfordert ein feines Gehör, einen offenen Geist und eine Beherrschung den eigenen Rollen; in gewissem Sinne baut dieser Muskel auf den Vorhergehenden auf: auf der Fähigkeit zu Vertrauen, der Präsenz, der Selbstnavigation und allen anderen. Und wie alle Muskel wächst er vor allem mit der Erfahrung der Praxis.

Die Liste zeigt: Es gibt Dinge, zu denen wir fähig sind, die wir aber in unserem sozialen Alltag nicht praktizieren, so dass die entsprechenden Fähigkeiten verkümmern. Wenn wir diese Muskeln wieder entdecken, können wir sie trainieren und zurückerobern. Jeder Muskel hat dabei eine individuelle und eine kollektive Qualität. Ich muss lernen präsent zu sein und Impulsen zu folgen, und wir als Team müssen lernen, das Beste aus diesen Impulsen zu machen. Ich muss Praktiken der Selbstnavigation entwickeln, und wir als Team müssen Räume schaffen, die diese Praktiken unterstützen. Sowohl die individuelle als auch die kollektive Qualität kann durch ein Training initiiert werden, das die entsprechenden Muskeln anregt. SOCIUS arbeitet an der ersten Serie solcher Trainingseinheiten.

In diesem Sinne: Stay tuned, wir sehen uns im Fitnessstudio!

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