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Erfahrungen einer Online Akademie mit Virtuellem Open Space

Als Second Life Anfang der 2000er Jahre online ging, traf die Online Plattform den Nerv der aufkommenden Web 2.0 Welle und wuchs in kaum 10 Jahren auf 36 Millionen User an. Vom social strolling über Kultur- und Konsumangebote bis hin zur virtuellen FDP Zentrale gab es hier schnell alles, was eine Nebenwelt so braucht und nicht braucht. Ökonomisch florierten vor allem e-Grundstücksgeschäfte, aber auch Online Casinos und andere Adult Entertainment Angebote. Schließlich endeckten Universitäten und HR Abteilungen Second Life und eröffneten Class- und Boardrooms, um e-learning Seminare und virtuelle Meetings durchzuführen. Für uns Trainer- und Berater*innen damals zumindest eine angehobene Augenbraue wert.

Mit dem Corona-Shut Down erleben virtuelle Welten eine neue Konjunktur. Für uns etwa im Rahmen der Suche nach einer Durchführungs-Alternative für die Frühjahrsakademie im Lektorenprogramm der Bosch Stiftung. Geplant war, Lektor*innen von 19 Unis in China, Thailand, Vietnam und Indonesien in Bangkok zu einer Woche Open Space, Projektwerkstatt und Seminaren zusammenzubringen. Wegen der eskalierenden Ein- und Ausreisebeschränkungen wird kurz vor der Akademie klar, dass eine Präsenzveranstaltung in Thailand nicht in Frage kommt. Was tun? Fünf Tage mit Skype oder Zoom sind ganz schön heftig. Außerdem: Wie macht man einen Open Space im virtuellen Raum?

Die Erinnerung an die hochgezogene Augenbraue kommt hoch – wir aktivieren unsere verstaubten Avatare und schauen uns um im Second Life Universum von 2020. Der erste Eindruck: trotz verbesserter Grafik ist das irgendwie trashig. Der Niedergang der letzten zehn Jahren ist deutlich sichtbar: Wer sich heute einloggt, bewegt sich in einer Geisterwelt. Ab und an huscht mal ein skurril dekoriertes Wesen mit koreanischem Label vorbei, vor allem aber stehen viele leblose Avatare in der Gegend herum. Die User Zahlen haben sich auf unter eine Million zurückentwickelt, Gamer haben mittlerweile interessantere Ufer entdeckt, mit der Bildungswelt hat‘s auch irgendwie nicht gefunkt – die SL Entwickler von Linden Lab haben irgendeinen Zug verpasst. So geht das also leider nicht. Dann fällt uns eine feine Alternative ins Auge: der 3D Learnspace des Online Bildungsanbieters WBS Akademie.

Der Learnspace ist ein virtuelles Akademiegebäude mit Auditorium, Konferenzräumen, Lounge und einer großzügigen Dachterrasse. Die Teilnehmer*innen können sich als Avatare selbständig durchs Haus bewegen und sich in Vorträge, Arbeitsgruppen und spontane Gespräche einklinken – oder sich auch mal mit jemandem in ihr persönliches Büro zurückziehen. In jedem Raum gibt es Medienwände, auf die Präsentationen, Filme oder andere Dokumente gebeamt werden können. Die Verbindung ist primär akustisch (Personen im selben Raum hören sich gegenseitig), zugleich erzeugt die Bewegung der Avatare und die rudimentäre Steuerung von Mimik und Gestik ein Gefühl von echter Begegnung im Raum. Der Zauber dieser Erfahrung nennt sich „Immersion“ – das Eintauchen in ein Medium, bei dem die Virtualität so weit in den Hintergrund tritt, dass eine physische und soziale Präsenz erlebt wird.

Nach ein paar Software-Installations-Hürden und leichtem Murren der Teilnehmenden, eine so ungewohnte Arbeitsform gewählt zu haben, stehen wir am Montag-Morgen vor der „Gruppe“. Das Moderieren im virtuellen Raum ist zunächst herausfordernd: Es fehlt an Resonanz. Wenn die Avatare schweigen, schweigen sie wirklich. Mit der Einladung, anders als bei Konferenzschaltungen üblich, die menschlichen Nebengeräusche des aktiven Zuhörens und emotionalen Verarbeitens (Zustimmung, Lachen, Zwischenrufe…) nicht zu „muten“ sondern bewusst in den Raum zu bringen, wirkt hier Wunder. Der spontane Rückkanal ergänzt die Dimension, die sonst so oft fehlt im virtuellen Arbeiten.

Der Open Space funktioniert dann weitgehend selbstorganisiert: Die Gruppe sammelt Themen auf einer virtuellen Pinnwand, diskutiert in Arbeitsgruppenräumen und teilt die Ergebnisse wie im realen Raum. Was bei Zoom und Skype sonst kaum zu machen ist, ist hier einfach: die Teilnehmenden navigieren durch die Themenlandschaft, stehen auf, wenn sie in der Gruppe nichts mehr mitnehmen oder beizutragen haben und wechseln in eine andere Gruppe oder auf die Terrasse zum Schmetterlingsgespräch.

Die neue Umgebung hat einen Zauber, der alle trotz der schwierigen Umstände 5 Stunden am Tag 5 Tage lang im Bann hält. Die Moderation in der Akademie muss trotzdem aktiver, strukturierender sein: Bei Runden alle mit Namen ansprechen; nachfragen, ob jeder hören, sehen und verstehen kann; Arbeitsaufträge zweimal sagen und dann noch schriftlich auf eine Medienwand beamen; auf Zeitdisziplin achten – nicht einfach prozessorientiert drauflosarbeiten (wenn sich jemand ausklinkt oder wegen technischer Probleme aus dem System fliegt, muss er/sie Orientierung und Anschluss finden). Aber man gewöhnt sich daran und mit der Zeit werden wir sicherer und experimentieren mit der Methodik – Aufstellungen, Rollenspiele, Fishbowls – all das geht tatsächlich auch im virtuellen Raum.

Am erstaunlichsten ist das schwindende Bedürfnis nach „echtem“ Bild: Im Learnspace lässt sich ein Webcam-Stream neben dem Namensschild überm Avatar einrichten. Am Anfang ist das für uns noch wichtig, um uns miteinander zu orientieren. Bei Vorträgen projizieren wir uns zudem lebensgroß auf die Videowalls im virtuellen Raum. Ab Tag 3 ist kaum noch eine Kamera in Betrieb und keiner vermisst das Live Bild. Es ist, als würde die Immersions-Erfahrung sogar besser funktionieren, wenn nicht dauernd die andere Realität der „echten“ Personen daneben gestellt wird.

Nach einer Woche ist der Spaß vorbei und wir tauchen auf aus der Avatar Welt. In der Abschlussrunde wird deutlich: Es war fordernd aber kurzweilig und spannend. Klar wäre es schöner gewesen, sich zu sehen. Aber unter den Umständen war dies ein ziemlich guter Ersatz. Vielleicht sind solche immersiven Formate ja nicht nur in Zeiten von Corona eine sinnvolle Alternative zum Konferenz Jet Set. Wir jedenfalls haben Lust auf mehr davon bekommen.

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