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(Auszug aus „On the Transformative Power of Foam”, Actors of Urban Change 2021)

Transformation ist langfristig, tiefgreifend und prozessbasiert, was in dieser Kombination bereits eine gewisse Zumutung ist: Wenn alles Prozess ist, ein ständiges Wandeln, ein dauernder Fluss kreativer Zerstörung und Erneuerung, laufen wir Gefahr, die Orientierung zu verlieren. Als wären die Welt nicht schon dynamisch, komplex und krisenhaft genug, unternehmen wir als Protagonis:innen gesellschaftlicher Transformation auch noch eine Ozean-Querung, deren anderes Ufer zwar besungen aber noch nicht kartiert wurde. Wo es keine Homebase gibt, keinen Schutzraum, in den man sich zurückziehen kann, wird die Welt da draußen zur ständigen Dehnungsarena, in extremen Fällen zu einer Panikzone.

Eine nicht ganz unwesentliche Frage ist also: Was ist ein überzeugender „stabiler Körper“ für die transformative Reise? Wie strukturieren wir Gefäße, die uns vor Krisen und dem Schüttelfrost dauernder Anpassung schützen und uns und die Welt um uns zugleich transformieren? Ist die gute alte „Organisation“ immer noch die beste Antwort? Haben klassische Institutionen die transformative Kraft, die wir brauchen, um unsere „Wicked  Problems“ zu bewältigen? Von der anderen Seite gefragt: Können offene Gemeinschaften und soziale Bewegungen die stabilen Zonen bieten, die wir brauchen, um uns in all dem Wandel zu orientieren und zu regenerieren?

Der strukturelle Aspekt von Transformation ist noch nicht umfassend ausgeleuchtet, aber die Zeiten sind günstig für ein wenig Feldreflexion. Was sonst in vielen Farben schillert, wird in der Krise holzschnittartig überhöht. In der Betrachtung des Covid-Universums stechen zwei transformative Konfigurationen hervor – mit Sloterdijk könnte man sie als „Blasen“ und „Schäume“ bezeichnen. (Die folgenden Überlegungen geben Sloterdijks ursprünglichen Gedankengang zu diesen Kategorien nicht vollständig wieder. Wer daran interessiert ist, dem sei die 2500 Seiten umfassende Sphären-Trilogie empfohlen).

Die „Blase“ folgt der Idee eines geschlossenen Systems, einer Sphäre, die ihr Inneres vor den Stürmen der Welt schützt. Ihre Membran ist darauf ausgelegt, Komplexität zu reduzieren und Impulse von und in die Außenwelt zu begrenzen. Sie ist resilient, nicht weil sie sich anpasst, sondern weil sie sich einkapselt. Die Blase ist ein Raum fokussierter Beziehungen. Ideelle Gemeinschaften und Kollektive haben die Qualität von Blasen – sie werden als Gegenwelten, als „Islands of Sanity“ (Meg Wheatley) errichtet – im besten Fall werden sie zu Orten der Selbstentfaltung und utopischen Inkubation.

Im Gegensatz zu Guerilla-Gardening-Interventionen, die im öffentlichen Raum aufgepflanzt werden und von dort – allen Wettern ausgesetzt – in ihr Umfeld ausstrahlen, ist die Blase ein Gewächshaus für neue Mikrosysteme, dessen transformative Wirkung erst dann realisiert wird, wenn sie in das übergeordnete „Mutter-System“ zurückschwappt. Bis dahin ist ihre Transformation vor allem Selbsttransformation. Viele Initiativen und Organisationen haben in der anhaltenden COVID Brandung die Decke über den Kopf gezogen und in ihren Blasen überwintert. Einige von ihnen kommen mit der Zeit verändert heraus, mit neuen Ideen und Schwung für sozialen Wandel. Andere sind zu Echokammern und selbstreferentiellen Systemen geworden. Blasen haben transformatives Potential, aber nicht jede Blase ist am Ende transformativ.

Der „Schaum“ wiederum gründet auf Verbundenheit und Bewegung. Er setzt sich aus vielen kleineren Blasen zusammen, die sich organisch entwickelnde Konstellationen bilden. Ein Schaum ist ein offenes System. In organisatorischer Hinsicht ist er lockerer als ein Netzwerk, das in strenger Definition einen gemeinsamen Zweck und ein kollektives Handlungsstreben voraussetzt. Jede Blase in einem Schaum bleibt ihre eigene souveräne Einheit und folgt ihrer eigenen Logik. Dennoch ist ein Schaum mehr als nur ein zufälliger Haufen: Er ist eine plurale Sphäre von sich gemeinsam entwickelnden Einheiten, zwischen denen ein gemeinsamer Zweck entstehen kann. In diesem Sinne ist er eher ein Feld als eine Struktur.

Wie die Blase erweist sich auch der Schaum in Krisenzeiten als äußerst widerstandsfähig. Das Geheimnis seiner Resilienz liegt im Unterschied zwischen statischer und dynamischer Stabilität. Während die klassische Vorstellung von Stabilität mit fester Kopplung verbunden ist (die Dinge sind so fest miteinander verbunden, dass sie jedem Sturm trotzen), gibt es eine zweite Art von Stabilität, die mit der Fähigkeit verbunden ist, zu biegen, anstatt zu brechen (Schilfrohr ist zum Beispiel dynamisch stabil). In sozialen Systemen wird dynamische Stabilität durch die Lose Kopplung von Einheiten ermöglicht. Lose Kopplung bedeutet, dass die Teilsysteme nicht durch Weisung und Kontrolle, sondern durch laterale Koordination und Aushandlung miteinander verbunden sind. Anstelle von statischen Regeln und Vorschriften werden sie durch Prinzipien oder kulturelle Normen koordiniert. Wenn eine Organisation oder ein Netzwerk stark konfliktäre Stakeholder-Beziehungen austarieren muss oder sehr turbulenten Umgebungen ausgesetzt ist, hilft lose Kopplung, ihre adaptive Integration zu gewährleisten. Sie verhindert auch Domino Effekte in Krisen, da lokale Auseinandersetzungen und Lösungen zu Lernfeldern für das gesamte System werden und es so unter Stress stärker machen (eine Eigenschaft, die Nicholas Taleb als „Antifragilität“ bezeichnet). Netzwerke sind lose gekoppelt. Schäume sind ultra-lose gekoppelt

Schaum-Strukturen finden sich in organisationalen Ökosystemen und vernetzten Communities. Wo sich ihr gemeinsamer Zweck herauskristallisiert, wird ihre transformative Natur offensichtlicher – aber das ist nur die halbe Wahrheit: Es ist die absichtslose Natur des Schaums, die innovative Lösungen ermöglicht: Schäume verändern ihre Gestalt und passen ihre Konfigurationen in einer Reihe von Evolutionsschritten kontinuierlich an: Blasen treten ein, Blasen treten aus, Blasen verschmelzen und teilen sich, Beziehungen und kollektive Handlungsmuster ändern sich mit der internen und externen Dynamik. Jeder Schaumzustand ähnelt einer „vorläufigen Ordnung“ – einer Anordnung, die endgültig sein könnte, aber auch im nächsten Moment neu konfiguriert werden kann.  Auch wenn es Schlüsselakteure gibt, die den Prozess vorantreiben, kann die Entwicklung nicht auf individuelle Handlungen zurückgeführt werden – sie ist kollektiv und emergent. Und obwohl Schaum von Natur aus vergänglich ist, liegt seine transformative Kraft in genau dieser dynamischen Prototyping-Qualität begründet. Sobald eine Schaumkonstellation sich in Bezug auf eine Problemstellung als „funktionierend“ erwiesen hat, wird sie zur Blaupause für die weitere Entwicklung des Systems. Die beteiligten Blasen (Initiativen, Organisationen, Communities) müssen nicht unbedingt den langfristigen Betrieb der Funktion übernehmen. Sie produzieren lediglich ein Arbeitsmodell, das von etablierten gesellschaftlichen Institutionen kopiert und übernommen werden kann. In evolutionären Begriffen: Der Schaum innoviert, das System repliziert und skaliert auf ein effektives Niveau.

Das Bedürfnis nach Solidarität und gegenseitiger Unterstützung, die offensichtliche Komplexität der globalen Herausforderungen, die Erkundung neuer Kooperationsstrategien und die explosionsartige Zunahme der virtuellen Zusammenarbeit haben während der Corona Pandemie zu Schaum-Bildung im gemeinschaftlichen und zivilgesellschaftlichen Sektor beigetragen. Die transformative Wirkung dieser Entwicklung, die Einwaage der „TransFOAMation“ ist bereits sichtbar, ihre Nachhaltigkeit muss noch weiter beobachtet werden.

Die Blase und der Schaum sind nur zwei mögliche transformative Konstellationen. Für den sozialen Wandel sind viele unterschiedliche Strukturen erforderlich – einige, die der Reform oder auch die Revolte gegen das etablierte Systems Form geben. Einige, die sich auf die Erschaffung und Freisetzung neuer alternativer Mikrosysteme beziehen. Und schließlich einige, die als Container der Selbsttransformation fungieren. Keine von ihnen wird für sich allein erfolgreich sein, alle sind notwendig, um einen nachhaltigen Wandel mitzugestalten. Forschen wir also weiter!

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