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(Foto: privat – diese Pflanze wurde mir von meiner Lebensgefährtin und Freundin für mein Büro geschenkt)

Autor: Simon Mohn

Dieser Artikel baut auf dem vorherigen (Organisationen anders erleben) auf, in dem Bedeutung und Sinn einer dankbaren und freigiebigen Haltung besprochen wird. Zum besseren Verständnis empfiehlt sich das Lesen des vorangegangenen Artikels, das ist jedoch nicht unbedingt notwendig.

Kultivierung von Freigiebigkeit und Dankbarkeit

Einige Studien haben die vielen Vorteile von Dankbarkeit in Organisationen bereits beschrieben, die sich ähnlich wie die individuellen, nur eben auf Organisationsebene lesen – in einer entsprechenden Ausdrucksweise (als Übersicht eignet sich Di Fabio et al. 2017). Entsprechend ist die Sprache von organisationale Resilienz, freundlicherem Arbeitsklima, größerem organisationalem Erfolg. Mitarbeiter*innen sind effizienter, loyaler, unterstützender und produktiver, es gibt gesteigerte generalisierte Reziprozität („ich unterstütze dich und du unterstützt dann jemand anderes“) usw. Mein Fokus bei der praktischen Implementierung gilt in diesem Artikel etwas mehr der Dankbarkeit, da ich unterstelle, dass Dankbarkeit eher zu Freigiebigkeit motiviert als andersherum. Das ist jedoch nur eine Tendenz und schließt die gegenläufige Wechselwirkung nicht aus.

Einzelne Akte von Freigiebigkeit und Ausdrücken von Dankbarkeit tragen dazu bei, dass wir eine entsprechende Haltung entwickeln. Wie über einzelne Akte hinaus eine dankbare und freigiebige Haltung entwickelt werden kann, möchte ich im Folgenden eingehender besprechen. Dabei fokussiere ich drei unterschiedliche Ebenen: der einzelne Mensch, kleine Gruppen (Teams) und größere Gemeinschaften (Organisationen). Die derzeit erprobten Methoden werden in der gleichen Reihenfolge sukzessive spärlicher.

 

Grundannahmen und Ausgangslage

Das Entwickeln einer inneren Haltung, gerade einer solchen, wie sie hier beschrieben wird, lässt sich nicht verordnen. Dieser Prozess kann nur freiwillig geschehen, sodass top-down aufgesetzte Praktiken keinen Erfolg haben können, wenn sie nicht partizipativ und auf wirklicher Augenhöhe vorgeschlagen werden.

Was allerdings funktioniert, und zwar explizit, ist das Vorleben von Freigiebigkeit und Dankbarkeit, denn es berührt uns und inspiriert zum Nachahmen. Eine Haltungsänderung in einem größeren Sozialgefüge kann nur anstreben, wer selbst bereit ist, sich mit zu verändern. Insbesondere Führungskräfte haben hier eine besondere Strahlkraft.

Dabei ist es tückisch, Freigiebigkeit und Dankbarkeit als Mittel zum Zweck zu etablieren. Aufgesetzte Zurschaustellung derselben führen schnell zu Widerstand und Misstrauen und unterlaufen das Vorhaben. Wer Kolleg*innen Dankbarkeit für deren Unterstützung oder Beiträge ausdrückt und dies etwa aus einer Haltung macht „Dankbarkeit auszudrücken hilft einem besseren Arbeitsklima, also werde ich anderen mal danken“, handelt wohl nicht primär aus dem Dankbarkeitsgefühl. Dankbarkeit auszudrücken ist nur dann wirklich sinnvoll, wenn sie als solche gefühlt wird. Ansonsten ist es wohl besser, in dem Moment einfach darauf zu verzichten – bevor mensch Gefahr läuft, einen zweifelhaften Management-Glauben zu bedienen (ich komme darauf zurück).

 

Vorgehen

Die Kultivierung einer Haltung fängt, wie gesagt, bei uns selbst an. Das bedeutet nicht zwangsläufig, dass es eine einzeln getroffene Entscheidung sein muss – ein Team kann durchaus den Startpunkt gemeinsam setzen, einen Kulturwandel zu begehen. Tragfähig wird diese Entscheidung jedoch erst, wenn jede*r Beteiligte diese Entscheidung auch individuell für sich getroffen hat. Deshalb halte ich es für sinnvoll, eine Kultivierung zunächst persönlich zu testen, wofür sich Einzelmethoden anbieten, ggf. in Workshops exploriert.

Individuelle Herangehensweisen

Journal – Eine vielfach empfohlene und wissenschaftlich getestete Praxis ist das regelmäßige Schreiben eines Dankbarkeits-Journals. Einmal oder mehrmals die Woche bis hin zu täglich wird aufgeschrieben, wofür wir dankbar sind. Dabei ist die Qualität, nicht die Quantität entscheidend. Zehn einzelne Stichpunkte verändern weniger als zwei ausführlich beschriebene Erlebnisse (Marsh 2011). Das Aufschreiben dient zweierlei. Es Fokussiert unser Gehirn auf das Dankenswerte und Gute, das wir in unserem Leben bekommen und gibt uns so das Gefühl, reicher und beschenkter zu sein. Dieser Fokus etabliert sich dann schnell auch im Alltag. Außerdem erleben wir das Gefühl der Dankbarkeit beim Aufschreiben, was unseren Hormonhaushalt verändert und uns langfristig mehr positive Gefühle fühlen lässt.

Das tatsächliche Fühlen der Dankbarkeit können wir unterstützen, indem wir beim Aufschreiben drei Schritte gehen (abgewandelt von Emmons 2008): 1) Erkennen dessen, was unser Leben bereichert hat, 2) Anerkennen, welchen Wert es hat, indem wir es uns aus unserem Leben wegdenken und bewusst werden, was uns fehlen würde, 3) Zuerkennen, wer oder was außerhalb von uns dafür verantwortlich ist. Dabei merkt Jason Marsh an, dass es wirkungsvoller ist, Menschen statt Dingen dankbar zu sein.
Vertiefung und weitere Anregungen zum Journal:
Artikel von Jason Marsh 2011 – vertiefende Tipps zur effektiven Gestaltung einer Journal-Praxis

Freuden bereiten – die Altruismusforschung hat vielfach bestätigt, dass es uns und unserem Umfeld gut tut und stärkt, wenn wir anderen kleine Freuden bereiten. Wenn wir bemerken, dass unsere Taten ein Bedürfnis getroffen haben und anderen den Tag erheitern, erleben wir einen Anstieg unseres Selbstwirksamkeitsempfindens. Außerdem fühlen wir uns als tragender Teil eines Sozialgefüges, zu dessen Erhalt wir bewusst beitragen und an dessen Gestaltung wir auch aktiv teilhaben können. Dabei kommt es nicht auf etwas Großes an, das wir für andere tun, sondern eher auf kleine Aufmerksamkeiten, die nicht unbedingt notwendig wären, aber erfreuen.

Da das Freuden-Bereiten in der Regel kein automatischer Reflex ist, empfiehlt Jacqueline Way (2017), sich eine Liste der Dinge anzufertigen, die sich gut in den Tag einbauen lassen und sie ggf. in eine Routine zu überführen. So müssen sie nicht jedesmal neu erdacht werden, was die Praxis im gegebenen Moment erleichtert. Beispiele dafür können sein: jemand zum Kaffee einladen, eine verdreckte Stelle aufräumen, allen eine Leckerei mitbringen, einen bedürftigen Menschen auf der Straße zu etwas Warmem einladen, eine nette Postkarte verschicken, etwas reparieren, interessante Onlineinhalte/Artikel als persönliche Mail verschicken usw. Gerade in Organisationen können solche Aufmerksamkeiten eine positive Irritation und einen Moduswechsel bewirken. Um die Freuden nicht aus dem Zweck heraus zu machen, als jemand tolles zu gelten (und damit das Geschenkprinzip zu untergraben), kann es hilfreich sein, Freuden anonym zu bereiten und zu lernen, sich allein daran zu erfreuen.
Vertiefung und weitere Anregungen zu Freuden-Bereiten:
TEDx-Vortrag von Jacqueline Way 2017 – Einführung in den Sinn von täglichen Freuden
Artikel von Elizabeth Dunn und Michael Norton 2013 – Inspirationen, wie Schenken Freude macht

Briefe – enorm wirkungsvoll zeigt sich das Schreiben von Dankesbriefen. Diese richten sich an Menschen in unserem Leben, aus früheren Zeiten oder aktuell, die etwas Bedeutungsvolles für uns getan haben. Vielleicht wurde uns einmal in einer sehr schweren Zeit geholfen oder jemand hat etwas Entscheidendes gesagt oder getan, das sich später als wichtiger Anstoß entpuppte. Oder aber, wir haben etwas Bedeutungsvolles vorgelebt bekommen und konnten es so selbst erlernen – Gründe zur Dankbarkeit für die Menschen in unserem Leben gibt es viele.

In der Regel erzeugt das Schreiben eines solchen Briefes ein stark empfundenes Dankbarkeitsgefühl und lässt uns den großen Wert der uns (ehemals) umgebenden Menschen spüren. Es ist auch wahrscheinlich, dass wir uns danach zufriedener, glücklicher und getragener fühlen. Das Schreiben eines solchen Briefes kann eine schöne Heranführung an Dankbarkeitsgefühle sein, da sie direkt und intensiv erlebbar sind. Ob der Brief am Ende abgeschickt wird, sei jedem selbst überlassen.
Vertiefung und weitere Anregungen zu Dankesbriefen:
TEDx-Vortrag von Kathryn Sievert 2015 – sehr inspirierender Erfahrungsbericht

Herangehensweisen in Gruppen und Teams

Je größer ein Sozialgefüge, desto weniger ergibt es Sinn, über präskriptive Herangehensweisen zu schreiben. Dafür sind die Eigendynamiken von Gruppen zu verschieden und sie brauchen eine selbst erarbeitete, passgenaue Antwort auf das Praktizieren bzw. Einüben von Haltungen. Deshalb sind Gruppenansätze mit dem Hinweis zu verstehen, dass es in den meisten Fällen einer gemeinsamen Auseinandersetzung bedarf, in der das Für und Wider besprochen werden kann und ein angepasstes Vorgehen entwickelt wird. So oder so wäre ein erster Schritt wohl das Thematisieren und Besprechen (z. B. im Rahmen einer Klausur), was allein schon eine Wirkung erzielen kann.

Konzertierte Aktionen – in einem Artikel (den ich leider nicht mehr finde) las ich kürzlich von einem Angestellten in den USA, der durch die plötzliche Krankheit seiner Frau und einer gleichzeitigen Kreditbelastung in Schwierigkeiten kam. Kurzum organisierten seine Kolleg*innen eine Party bei ihm, wovon alle Einnahmen jenem Angestellten zugute kamen. Nicht nur kam sein Vorgesetzter, auch die Nachbar*innen, Freund*innen und sogar der lokale Priester kamen zu der Party. Es kam sehr viel mehr Geld als notwendig zusammen und der Angestellte kam aus seiner misslichen Lage heraus.

Solche gemeinsamen Aktionen können ein hohes Zusammenhaltsgefühl, Gruppenselbstwirksamkeit und Solidarität entstehen lassen. Ein anderes Beispiel aus dem Artikel von Dunn und Norton (2013) beschreibt, wie Gruppen regelmäßig kleine Minikollekten zusammenbringen (etwa über einen bestimmten Zeitraum hinweg Münzen in einem Glas sammeln), um dann an einem Stichtag gemeinsam zu entscheiden, wen sie wie positiv damit überraschen möchten. So ließe sich z. B. ein anderes Team oder Partnerorganisation zum gemeinsamen Pizza-Essen einladen. Oder dem Sekretariat könnte ein kollektives Dankeschön für die unterstützende Arbeit durch einen großen Blumenstrauß ausgedrückt werden. Solche Sammlungen in einem wiederkehrenden Turnus können viel zur Atmosphäre, Spaß und Kollegialität beitragen.

Dankbarkeitsrunden – Meetings können mit fünf Minuten Ausdrücken von Dankbarkeit beginnen oder enden. „Was ist mir in den letzten Tagen passiert, wofür ich dankbar bin?“ Das verändert unmittelbar die Stimmung und trägt somit ggf. zum Gelingen des Meetings bei. Der Begriff Dankbarkeitsrunde ist dabei allerdings missverständlich, da ein Reihumgehen Druck erzeugt. Dankbarkeit sollte nur ausgedrückt werden, wenn sie auch gefühlt wird. Das sollte allen klar sein. Siehe dazu insbesondere die Hinweise weiter unten „Wenn Dankbarkeit zum Lob wird“.

Talente anbieten – Teams und Gruppen bilden meistens einen Pool voller ungeahnter Talente und Fähigkeiten, die weit über die eigentliche Aufgabe der Zusammenkunft hinausgehen. Und es sind häufig diejenigen Fähigkeiten, denen wir auch in unserer Freizeit nachgehen, welche uns Freude machen und durch die wir uns als wertvoll und sinnerfüllt erleben können; gerade dann, wenn wir sie in den Dienst anderer stellen. Es kann schon allein sehr befriedigend sein, überhaupt etwas für andere zu machen. Wenn wir darüber hinaus das machen, was uns selbst Spaß macht, erzeugen wir Situationen, die beiden Seiten Zufriedenheit bringt. Vielleicht malt jemand gerne und freut sich, anderen ein bestimmtes Bild zu malen. Oder jemand zieht Pflanzen groß und teilt Ableger; vielleicht baut jemand gerne Dinge aus Holz und kann einem Kollegen einen schöne Schreibtischablage bauen.

Bei diesem Aspekt hapert es insbesondere am Wissen um Fähigkeiten der anderen und an nicht stattfindender Nachfrage. Eine Gruppe, die sich untereinander etwas anbieten möchte, braucht also ein geschicktes System, womit diesen Hindernissen begegnet werden kann. Hier kommt ein Aspekt des dankbaren Annehmens zum Tragen, der bisher noch keine Berücksichtigung gefunden hat – die Fähigkeit, andere um etwas zu bitten. Womöglich findet sich über das Anbieten von Talenten ein Zugang zu einer Auseinandersetzung damit, wie es zu einem natürlichen Bitten um Unterstützung im Sozialgefüge kommen kann.

Herangehensweisen in Organisationen

Hier sind wir bei der komplexesten Ansatzebene, eine freigiebige und dankbare Haltung konkret zu etablieren. Bei gesamten Organisationen gilt umso mehr, was auch schon für Gruppen und Teams gesagt wurde: Modelle lassen sich nicht eins zu eins etablieren, es braucht einen zur Organisation passenden und zu entwickelnden Umgang. Deshalb möchte ich hier nur Beispiele vorstellen, die eine Anregung dafür sein können.

In Frederic Laloux’ Reinventing Organisations (2015) werden zwei Beispiele beschrieben, in denen Organisationen derartige Praxen implementiert haben. Zum einen wird die ESBZ (eine Schule in Berlin) als Beispielfall beschrieben, wo einmal wöchtlich eine Stunde lang alle zusammenkommen und eine Bühne geöffnet wird. Auf dieser kann, wer auch immer mag, kleine Geschichten teilen, die Dankbarkeit für etwas ausdrücken, das jemand anderes getan hat. So wird ein gemeinsamer Geist der Wertschätzung gestärkt und die Hierarchie zwischen Lehrer*innen und Schüler*innen wird durch die persönliche Berührtheit der Erzählenden abgeflacht. An anderer Stelle erwähnt Laloux eine Organisation, die ähnlich, aber digital vorgeht: Hier schreibt einmal wöchentlich irgendein*e Mitarbeiter*in eine Email an alle, in der Dank ausgedrückt wird, worauf eine Welle von weiteren Dankesemails losgeht, in denen andere eigene kurze Geschichten darüber erzählen, wofür sie dankbar sind.

Ozvision, eine andere Organisation in Laloux’ Buch, gibt ihren Mitarbeiter*innen einen extra Tag pro Jahr frei, plus 200 Dollar. Mit diesen sollen sie irgendjemand, der oder die ihnen persönlich etwas bedeutet, an diesem Tag Dank ausdrücken. Die Geschichten dazu werden dann mit den anderen geteilt. Auch hier schaffen Geschichten mit persönlicher Berührung Zusammenhalt in der Organisation. Gerade beim Erzählen von derartigen Geschichten sei hier noch einmal auf das untere Segment „Wenn Dankbarkeit zum Lob wird“ verwiesen, worin ein Fallstrick solcher Praxen beschrieben wird.

 

Fallstricke

Übertreibung

Wenn wir uns zu viel auf einmal vornehmen, also gleich drei Praktiken auf einmal ausprobieren, ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass wir sehr schnell von unserem Alltag auf den Boden der Tatsachen zurückgeholt werden. Es fällt nicht leicht, größere Änderungen auf längere Zeit durchzuhalten. Ambitionen tragen immer nur solange, bis sie nicht mehr da sind. Und damit wird dann ein ambitionierter Plan zum Soll und zur Überwindung. Gelingt es uns, kleinere Praktiken in unseren Alltag einzubauen, am besten verknüpft mit etwas, das wir sowieso tun (eine Mahlzeit, Zähneputzen etc.), so steigt die Chance, dass es eine Gewohnheit wird. Im Idealfall schaffen wir uns ein Ritual. Damit nehmen wir uns nämlich den Stress, das Vorgehen jedesmal neu zu erdenken, was alles deutlich einfacher macht.

Wenn wir ständig versuchen das Gute in allem zu sehen und dankbar zu sein, setzen wir uns spätestens dann unter Stress, wenn das Leben gerade einfach überhaupt nicht so rosig aussieht. Für etwas dankbar zu sein ist nur dann sinnvoll, wenn es leicht erspürbar ist und wir uns nicht ein Bein ausreißen, um in einer blöden Situation noch krampfhaft etwas Wertvolles darin zu sehen versuchen. Dann ist es besser zu akzeptieren, dass es eben gerade überhaupt nicht so läuft, wie wir es gerne hätten (Price 2007). In schwierigen Zeiten das Wertvolle zu sehen ist etwas, das häufig erst retrospektiv möglich wird. Erst mit viel Verinnerlichung einer dankbaren Haltung wird es uns leichter fallen, Gelegenheiten und Chancen (denn das ist das Wertvolle in jedem Moment, so Steindl-Rast 2013) auch direkt in herausfordernden Situationen zu erkennen.

Wenn Dankbarkeit zum Lob wird

Vor mehreren Jahren wurde etwas scheinbar Vergessenes als Mangement-Methode neu entdeckt: Mitarbeiter*innen arbeiten besser, wenn ihnen Lob ausgedrückt wird. Angestellte bekamen fortan in vielen Organisationen fleißig Lob von ihren Vorgesetzten, was sie tatsächlich auch zu besserer Leistung motivierte. Die Gefahr, die in diesem Vorgehen steckt, wurde in Organisationskontexten meines Wissens nach erst später festgestellt, als die Nutzung von Lob sich bereits etabliert hatte. Marshall B. Rosenberg, Begründer der Gewaltfreien Kommunikation (NVC), hat die Problematik davon sehr treffend auf den Punkt gebracht:

Ein „Das hast du wirklich gut gemacht!“ mag erst einmal angenehm klingen, doch darin steckt auch ein Urteil über den/die andere*n, nämlich in diesem Fall, gut gewesen zu sein. Wenn wir uns von diesem Lob schmeicheln lassen, begeben wir uns in eine Abhängigkeit, denn schon beim nächsten mal, wenn wir etwas Vergleichbares machen, könnte unsere Arbeit nicht mehr als gut bewertet werden. Und das gilt für alle Urteile, positiv wie negativ, die wir oder unsere Arbeit bekommen. „Du bist ein toller Redner!“ – das freut uns zu hören und beim nächsten mal würden wir es gerne wieder hören. Doch wenn dann nichts dergleichen kommt, kommen wir womöglich ins Zweifeln und setzen Energie daran, dieses Kompliment wieder zu hören, die Bestätigung wieder zu bekommen.

Ein tatsächlicher Ausdruck von Wertschätzung, der keine Abhängigkeit schafft – und hier nähern wir uns der Dankbarkeit an – beinhaltet nach Rosenberg folgende drei Komponenten:

  1. Welche Handlung hat zu unserem Wohlbefinden beigetragen?
  2. Welche unserer Bedürfnisse wurden damit befriedigt?
  3. Welches Gefühl erzeugt das in mir?

Das obige Beispiel könnte also stattdessen lauten: „Deine Beschreibung des Themas XYZ und wie du das mit einer Geschichte aus deinem eigenen Leben verknüpft hast, hat mir viel Spaß gemacht und mir eine Anregungen für meine eigenen Vorträge gegeben. Ich bin dir dafür ganz dankbar und gerade sehr inspiriert.“

Nun muss nicht jeder Dank so ausgedrückt werden, manchmal kann das Gefühl der Dankbarkeit schon in einem schlichten „Danke“ zum Ausdruck gebracht werden. Wird Dankbarkeit jedoch aus einer lobenden Attitüde heraus ausgedrückt, so erzeugt das auf lange Sicht eher Abhängigkeiten und entsprechend Anpassung oder Widerstand. Wahre Dankbarkeit speist sich aus dem Gefühl heraus, beschenkt worden zu sein und dieses Gefühl gerne ausdrücken zu wollen, weil es für uns persönlich etwas Schönes darstellt.

Bei der Besprechung von Dankbarkeitsbekundungen im dazu stattfindenden Labor wurde mir diese Problematik bewusst, die insbesondere im öffentlichen Ausdrücken von Dank stecken kann. Das hat meinem Wunsch, die Facetten des Themas besser zu verstehen, ein Stück mehr genüge getan und ich bin den Teilnehmer*innen des Labors dankbar, dass ich dadurch nun hier darüber schreiben kann.

Wenn ein Geschenk zum verdeckten Handel wird

Dazu habe ich im vorhergehenden Artikel schon Einiges geschrieben. Kurz auf den Punkt gebracht, kommt ein Geschenk bzw. jemandem etwas Gutes zu tun, aus einem Gefühl von Freude am Geben und ist nicht mit Erwartungen verbunden. Denn wenn ein Geschenk mit einer Erwartung verbunden ist, dann ist es eher ein Handel, der womöglich der/dem Beschenkten noch nicht einmal klar ist und erst deutlich wird, wenn wir enttäuscht auf ihre/seine Reaktion auf das Geschenk reagieren. Wir können uns also fragen, ob wir irgendetwas von der/dem Beschenkten erwarten oder ob es uns einfach eine Freude in sich ist, etwas zu geben.

 

Fazit

Meine zweiteilige Besprechung von Dankbarkeit und Freigiebigkeit hat mir insbesondere vor Augen geführt, dass es sich eher um eine Haltung als um eine konkrete Vorgehensweise handelt. Etwas, was mir vorher nicht so deutlich war. Doch gerade eine Haltung wird durch konkrete Vorgehensweisen und Reflexionen kultiviert, weswegen diese eine besondere Betrachtung in diesem Artikel bekommen haben. Ich selbst erlebe die Einübung dieser Haltung (quasi ein Selbstexperiment, begleitend zum Thema) als sehr bereichernd und werde mich weiter darin üben. Denn gerade auch in der Beratung kann eine Perspektive, die den Reichtum des schon Gegebenen sieht, eine wertvolle Ressource sein und eine Blickwinkelveränderung auf ein Problem verändern.

Organisationen, in denen die Menschen untereinander mehr mit ihrer Menschlichkeit in Kontakt kommen wollen, haben von der Dankbarkeits- und Altruismusforschung einige wertvolle Ergebnisse an die Hand gegeben. Es wäre schön, weitere Organisationen mit dem Thema experimentieren zu sehen und darüber hinaus mehr Fallbeispiele zu haben. Natürlich gibt es eine Menge Organisationen, die bereits damit experimentiert haben, von denen ich schlichtweg nicht weiß. Hinweise dazu nehme ich gerne entgegen.

 

Quellen

  • Di Fabio, Annemaria et al. (2017): „Gratitude in Organizations: A Contribution for Healthy Organizational Contexts.“ Onlineressource.
  • Dunn, Elizabeth & Michael Norton (2013): „How to make giving feel good.“ Onlineressource.
  • Emmons, Robert (2008): Vom Glück, dankbar zu sein.
  • Laloux, Frederic (2015): Reinventing Organizations: Ein Leitfaden zur Gestaltung sinnstiftender Formen der Zusammenarbeit.
  • Marsh, Jason (2011): „Tips for keeping a gratitude journal.“ Onlineressource.
  • Price, Catherine (2007): „Stumbling toward gratitude.“ Onlineressource.
  • Rosenberg, Marshall (2005): Nonviolent Communication: A language of life.
  • Sievert, Kathryn (2015): „How gratitude transformed my life into a tale of wonder.“ Onlineressource.
  • Steindl-Rast, David (2013): „Want to be happy? Be grateful.“ Onlineressource.
  • Way, Jacqueline (2017): „How to be happy every day: It will change the world.“ Onlineressource.
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