SOCIUS.Blog

Sechs waren angemeldet, fünf sind gekommen. Nach einer Vorstellungsrunde begannen wir mit einer kurzen Spekulation: Wieso sind denn nur so wenige hier? So ein wichtiges und irgendwie unausweichliches Thema: Trauer am Arbeitsplatz. Menschen sterben, es gibt Trennungen, Kündigungen, Krisen – in Arbeitskontexten, im Privaten und Dazwischen, bei Kolleg:innen, Vorständ:innen, Geschäftsführer:innen, Kund:innen, Freund:innen. 

Wieso also möchten sich nur so wenige aktiv mit den (emotionalen) Folgen von Tod, Trennung, Kündigung auseinandersetzen, obwohl doch fast alle sie schon erlebt haben: Trauer, die eigene oder die der anderen?

  • “Es ist eben kein Entwicklerthema”
  • “Da gibt es so wenig konstruktiven Part drin”
  • “Ist halt ein Tabu, man will sich da nicht mit beschäftigen, man drückt es weg”
  • “Es gibt so viel Ungewissheit rund um den Tod”
  • “Wir wissen einfach nicht was nach dem Tod kommt und wir wissen nicht wie wir reagieren wenn Verlust uns trifft, wir widmen uns dem nicht, weil es unvorhersehbar ist.”

Das waren einige der Thesen, die wir zusammengetragen haben. Und natürlich waren wir nicht ganz die Richtigen um die Frage zu beantworten, denn wir waren ja da.

“Trauer ist die normale Reaktion auf einen bedeutenden Verlust” (Kerstin Lammer)

Für Franziska Offermann ist das eine der passendsten Definitionen für Trauer, denn Trauer als Prozess kann dazu führen, den Verlust heilsam zu integrieren, sie  normalisiert die emotionale Reaktion auf ein Geschehen von Bedeutung. Eine andere Beschreibung sagt: “Trauer bezeichnet die natürliche, gesunde und schmerzhafte Reaktion des Organismus mit Abschied, Verlusten und Trennungen umzugehen.” (Aus “In der Mitte der Nacht beginnt ein neuer Tag” von Karina Kopp-Breinlinger und Petra Rechenberg-Winter)

Franziska Offermann war Vorsitzende des Bundesverbandes verwaister Eltern und ist auch heute noch aktiv dort. Nach einem großen Verlust, der ihr Leben änderte, hat sich die promovierte Pharmazeutin mit Lucera selbstständig gemacht, um sich ganz dem begleiteten Umgang von Trauer zu widmen. 

Über die Jahre erlebte sie zunehmend, welche Auswirkungen Verluste auf Unternehmen und Organisationen haben – nicht nur bzgl. der so genannten soft skills, sondern auch knallhart im Umsatz, bei Zahlen, Daten, Fakten. Bedeutsame Verluste sind oft in Bilanzen ablesbar und so fokussierte sich Franziska zunehmend auf die Trauerbegleitung in Unternehmen und Organisationen. Heute arbeitet sie als hauptberufliche Vorständin im Traumahilfezentrum München und verbindet ihre diversen Erfahrungen und Erkenntnisse zu Trauma, Trauer, Yoga, Polyvagaltheorie, Gewaltfreie Kommunikation uvm. unter diesem Dach. 

Sind es nur Todesfälle, die solche Reaktionen auslösen? 

Von was müssen wir uns sonst noch im Leben verabschieden? 

  • aus Liebesbeziehungen
  • von Kindern, die erwachsen werden und ausziehen
  • von anderen Angehörigen oder Freund:innen
  • von Sicherheiten im beruflichen Feld
  • von Ideen und Konzepten
  • von Orten und der Heimat
  • von Idolen und Vorbildern
  • von Gewohnheiten.

Gewiss kommt mit dem Tod ein Verlust, der unwiderbringlich ist. Und dennoch wissen wir, dass auch mit anderen Veränderungen in einer Organisation, mit jeder Transformation ein Trauerprozess in Gang kommt. Aus dem Ecocycle ist uns bekannt, dass wir “kreative Zerstörung” brauchen, bevor wir zur “Erneuerung” kommen. Auf dem Weg zwischen den beiden Stationen liegt der Trauerprozess. Das gilt für Individuen genauso wie für Organisationen. 

An diesem Nachmittag haben wir uns auf die Menschen konzentriert, auf das, was im Körper bei Krisen und Trauerprozessen vorgeht. Franziska hat uns teilhaben lassen an ihrem Wissen und den wissenschaftlichen Erkenntnissen rund um das zentrale und das autonome Nervensystem, das Window Of Tolerance und die Polyvagaltheorie. 

Hierzu kann auf Franziskas Blog einiges nachgelesen werden: Handlungsfähig in der Krise – Stabilität und Zuversicht im System, Handlungsfähig in der Krise – stabil bleiben und Wohl finden und Stabil und zuversichtlich bei Trauer und Krise. Die drei Artikel ergänzen einander.

 

Beileid – im Leid beistehen

Im Anschluss an den umfangreichen Input veranschaulichte Franziska das Wissen anhand verschiedener Modelle,  zu denen ein Teilnehmer bemerkte, wie ansprechend und faszinierend es sei, dass Franziska immer noch etwas Haptisches hervorzauberte, womit sich – sogar im digitalen Raum – eine körperliche Erfahrung machen lasse. 

Anschließend war Zeit für die ganz konkreten Anliegen der Teilnehmenden. Eine Teamleitung berichtete von einer Kolleg:in mit so schwerem Liebeskummer nach einer Trennung, dass sie wochenlang nur noch weinte und kaum arbeiten konnte, aber auch nicht zu Hause bleiben wollte, weil dort “alles noch viel schrecklicher” sei. Was tut man da? Denn als Führungspersonen tragen wir die Verantwortung für viele Menschen – wie lange muss ich also Rücksicht auf so eine spezielle Situation nehmen? Irgendwann hat es auch wirtschaftliche Folgen bzw. strengt die Kolleg:innen an, u. a., weil sie zumindest Teile der Arbeit übernehmen müssen … und als Führungskraft bin ich in der Regel nicht ausgebildet für die Begleitung solcher Krisen. 

Und, anderes Szenario, manchmal sind Führungskräfte in großen Organisationen auch gar nicht so nah an den Mitarbeitenden dran bzw. ist das Vertrauensverhältnis nicht so, dass der Grund der Trauer, der Grund für das veränderte Verhalten von dem jeweiligen Menschen benannt wird. Franziska empfiehlt dann angemessen Kontakt aufzunehmen zu der/dem entsprechenden Kolleg:in, Verbindung zu schaffen, etwas über die Bedürfnisse der trauernden Person zu erfahren. Bei schweren Verlusten brauchen Menschen andere Menschen, die ihnen in ihrem Leid beistehen und nicht im Leid mitversinken.

 

 

Dafür gibt das von ihr entwickelte Akronym zu BEILEID eine hilfreiche Orientierung:

B edürfnisse und Beziehung in den Fokus stellen

E mpathie – aufmerksam zuhören

I ndividualtät – Trauer ist verschieden

L ogistik – Strukturen & Vereinbarungen anbieten

E ntspannung  – dafür sorgen, dass das auch im Arbeitskontext möglich ist

I ntegration – (sozialen) Stress minimieren

D auer – Drandenken, Daten, es dauert so lange wie es dauert. 

Wie eine Klientin sagte: “Ja, ich trauere immer noch, denn xy ist ja auch immer noch tot.” 

Verlust und Trauer, die wir alle auf die ein oder andere Weise erleben, alltäglich machen, indem wir darüber reden,  so lautete das Fazit unseres SOCIUS labors, das mit einem Gedicht von Rainer Maria Rilke beendet wurde: 

 

“Das ist der Sinn von allem, was einst war,

dass es nicht bleibt mit seiner ganzen Schwere,

dass es zu unserm Wesen wiederkehre,

in uns verwoben, tief und wunderbar”

sinnvoll zusammen wirken

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