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Die Journalistin Kathrin Schrader trifft Kerstin Engelhardt:

Wie Coach und Organisationsberaterin Kerstin Engelhardt Teamcoaching definiert, den Burnout-Faktor bestimmt und wieso sie gerade den 1. Berliner Fachtag für Coaching und Supervision in
Nonprofit-Organisationen vorbereitet, lest ihr in diesem Interview. Und wer lernen möchte, wie man gute Artikel schreibt und schriftlich kommuniziert, kann dies bei Kathrin Schrader im Seminar citizen-journalist Mitte September tun.

Du bist Prozessbegleiterin, systemischer Coach und Psychodramatikerin. Schreckt letztere Qualifikation die Klienten nicht
eher ab?

Kerstin Engelhardt: (lacht) Der Name assoziiert tatsächlich alles, wovor sich viele Menschen fürchten: Psycho und Drama! Ich übersetze es mit: handelnde Darstellung inneren Erlebens („Drama“, griechisch, bedeutet „Erleben“, „Psyche“, ebenfalls griechisch, bedeutet „Seele“). Coach und Klient sitzen sich nicht nur gegenüber und reden, sondern der ganze Körper wird einbezogen, z.B. in Form von Aufstellungen; oder es wird mit Symbolen oder Figuren wie den Systemfiguren gearbeitet, um die eigene Situation zu erkunden. Dieses Verfahren passt gut zum systemischen Coaching. Systemisches Coaching heißt, dass ich nicht nur die Person, sondern ihr gesamtes Umfeld, vom Arbeitsplatz bis zur Familie und alle Kontexte, in denen sie sich bewegt, betrachte.

Was ist, abgesehen von diesen Methoden, die man erlernen kann, das Geheimnis eines guten Coachs?

Kerstin Engelhardt: Da gibt es eigentlich keins. Ich besitze zwar einiges Fachwissen, aber die Experten sind die Menschen, die mir gegenübersitzen, die Person oder das Team, das Hilfe von mir erwartet – denn nur sie verfügen über das auf sie bezogene Wissen, mit dem ich arbeiten kann. Nur sie können mir die Hinweise geben, um welche Probleme es sich handelt, und welches die für sie beste Lösung ist. Ich bin auf ihre Mitarbeit angewiesen.

Das heißt, du setzt eine hohe Fähigkeit zur Selbstreflexion voraus.

Kerstin Engelhardt: Es genügt der Wille, etwas verändern zu wollen und dass sich möglichst niemand verstellt oder mit wichtigen Informationen hinter dem Berg hält. Im Teamcoaching führe ich zunächst Einzelinterviews mit allen Beteiligten in geschützten Räumen. Dann schlage ich ein inhaltliches und methodisches Vorgehen vor. In der gemeinsamen Arbeit mit dem Team beobachte ich schließlich auch: Bei welcher Frage verstummen plötzlich alle? Wann werden die Chefin oder der Chef aggressiv? Ich stelle meine Beobachtungen zur Diskussion. Das kann dazu führen, dass dann plötzlich ganz andere Themen hochkommen. Das ist nicht vorhersehbar.

Aber wenn es lediglich um den Willen, etwas zu verändern und um ehrliches miteinander reden geht, warum soll eine Organisation dann
Geld für einen Coach ausgeben?

Kerstin Engelhardt: Zumeist fehlt der distanzierte Blick von außen, der hilft, blinde Flecken, Tabus und Blockaden, aber auch vorhandene Stärken und unentdeckte Potenziale bewusst zu machen. Die Teammitglieder sind verstrickt, fühlen sich immer irgendjemandem zur Loyalität verpflichtet oder haben ein – auch hierarchisch beeinflusstes Verhalten und Routinen entwickelt. Ich komme da rein und bin neutral und bringe einen (ja auch professionell geschulten) distanzierten Blick mit. Ich versuche mir ein Bild zu machen, durch die Interviews und indem ich mir die Struktur der Organisation, die Arbeitsabläufe sowie die Rahmenbedingungen der Arbeit ansehe. Ich studiere auch Satzungen und Beschlüsse und frage, wie sie umgesetzt werden.

Wann sollte man dich als Organisationsberaterin und wann als Coach anfragen?

Kerstin Engelhardt: In der Organisationsberatung geht es um eine andere Analyse- und Handlungsebene als im Teamcoaching: Hier geht es immer um die gesamte Organisation, was z.B. Visions- und Strategieentwicklung oder die konkrete Arbeitsorganisation umfassen kann.

Eine Organisation könnte zum Beispiel mit einem schnellen Wachstum überfordert sein. Deshalb muss u.a. die Kommunikation anders organisiert werden, weil viele neue Mitarbeiter da sind und unklar ist, wie das Wissen übermittelt werden kann, das die anderen, die schon länger da sind, einfach im Kopf haben. Im Teamcoaching arbeite ich zu speziellen Anliegen, zum Beispiel zu Kommunikationsstörungen oder unklare Aufgabenverteilungen, innerhalb dieses einen Teams. Doch die Übergänge sind fließend, insbesondere, wenn wir es mit kleinen Organisationen zu tun haben, die insgesamt nur aus z.B. zehn Personen bestehen und ein einziges Team bilden. In den Interviews begegnen uns häufig die Probleme der Mitarbeiter, die besprechbar gemacht werden müssen: Existenzängste, weil die Arbeitsverträge immer nur befristet vergeben werden, Familienplanung, die auf der Strecke bleibt, oder immer wieder Probleme mit dem Chef, das ist in Nonprofit-Organisationen nicht anders als in der Wirtschaft. Teams haben unterschiedliche Erwartungen an den Führungsstil. Darüber muss man reden. Oder wir erleben, dass Teams oder Organisationen durch finanziellen Druck erschöpft und demotiviert sind. Da bin ich dann nicht nur Organisationsberaterin, sondern auch Coach. Was braucht die Leitung, was brauchen die Mitarbeiter, um wieder neue, frische Ideen zu entwickeln und sich motiviert an eine neue Akquise zu machen? Auch Organisationen können nämlich ausbrennen.

Heißt das, dass auch eure Klienten, gemeinnützig arbeitende Organisationen, von Burnout betroffen sind?

Kerstin Engelhardt: In einigen Fällen ist es so. Die Fachdiskussion spricht hier vom „Organizational Burnout“ (OBO). Burnout – der Begriff ist ja aus guten Gründen nicht unumstritten – oder Erschöpfung am Arbeitsplatz ist ein ganz großes Thema, das mir immer wieder in der Beratung begegnet. Deshalb bereiten ich und andere gerade den 1. Berliner Fachtag Coaching und Supervision im Nonprofit-Bereich vor. Er wird im November 2014 stattfinden. Dort soll es dann um Stressfaktoren am Arbeitsplatz gehen und natürlich um Möglichkeiten von Stressbewältigung und -reduzierung.

Burnout wird oft mit dem Erfolgsdruck in der freien Wirtschaft in Verbindung gebracht. Was ist deiner Meinung nach die Ursache?

Kerstin Engelhardt: Überlastung hat es eigentlich schon immer gegeben. Schon in der Bibel gibt es dafür ein Beispiel, die sogenannte „Elias-Müdigkeit“ (Altes Testament, 1. Könige 19). Gegenwärtig tritt es häufiger auf. Das Tempo der Arbeit und die Dichte der Kommunikation haben sich extrem erhöht. Dazu kommt, dass wir heute sehr viel Eigenverantwortung im Leben insgesamt tragen. Wenn wir nur mal daran denken, wie viel Arbeit es macht, den richtigen Telefon- oder Internetanbieter zu finden. Dazu kommt immer häufiger die Unsicherheit befristeter oder sogar prekärer Arbeitsverhältnisse. Das ist auch in vielen NGOs leider so. Bei unserem Fachtag 2014 werden wir deshalb ganz gezielt die Situation gemeinnütziger Organisationen
betrachten.

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