Kann Trauer chronisch krank machen? 

Kann Trauer chronisch krank machen? 

In unserem letzten SOCIUS salon “Gesunde Kranke” berichtete eine teilnehmende Person, dass ihr Sohn vor sechs Jahren gestorben sei und sprach von Trauer als chronischer Erkrankung. Als Trauerbegleiterin und Mitinitiatorin unserer SOCIUS salons rund um das Thema von chronischen Erkrankungen und Arbeit hatte ich genau darüber auch schon nachgedacht. 

Trauer ist eine der tiefsten und komplexesten menschlichen Erfahrungen. Wir alle werden im Laufe unseres Lebens mit Verlust konfrontiert, und jede:r von uns trauert auf eine ganz eigene Weise. Dennoch gibt es auch ein ähnliches Erleben von Trauernden, nicht umsonst sind Trauergruppen Orte, in denen trotz so unterschiedlicher Verluste Verbundenheit entsteht. 

Doch was, wenn Trauer nicht nur ein vorübergehendes Gefühl ist? Was, wenn sie sich zu einem langanhaltenden, chronischen Zustand entwickelt?

Trauer als andauernde Begleiterin

Seit einigen Jahren gibt es auch eine offizielle Diagnose: Die Anhaltende Trauerstörung (Prolonged Grief Disorder, PGD).  

Laut International Statistical Classification of Diseases and Related Health Problems (ICD-11), also der internationalen Klassifikation psychischer Störungen, kann die anhaltende Trauerstörung bereits nach einem halben Jahr Trauer diagnostiziert werden. Allerding gehören hier noch weitere Beschwerden hinzu wie die ausgeprägte Sehnsucht nach der verstorbenen Person, welche begleitet wird durch starke emotionale Schmerzen wie z. B. Traurigkeit, Schuldgefühle, Wut, Verleugnung, Schwierigkeiten, den Tod anzunehmen, das Gefühl, einen Teil des eigenen Selbst verloren zu haben, die Unfähigkeit, eine positive Stimmung zu erleben, emotionale Taubheit, Schwierigkeiten bei der Beschäftigung mit sozialen und anderen Aktivitäten. Und die Trauerreaktion übersteigt die erwarteten sozialen, kulturellen oder religiösen Normen für die Kultur und den Kontext des Einzelnen. (Quelle: Deutscher Kinderhospizverein e.V.)

Laut Diagnostisches und Statistisches Manual Psychischer Störungen (DSM-5) wird die anhaltende Trauerstörung erst nach über einem Jahr anhaltender Trauer diagnostiziert, auch hier muss sie einher gehen mit starkem Verlangen nach der verstorbenen Person und eine Art Obsession auf die verstorbenen Person mit sich bringt, die zu starkem Leid und Funktionseinschränkungen einhergeht.

Die Diagnosemöglichkeiten sind nicht unumstritten. Einerseits können sie Zugang zu professioneller Hilfe erleichtern und eine Kostenübernahme durch die Krankenkassen absichern, andererseits bergen sie das Risiko weiterer Stigmatisierungen von Trauernden. 

Erfahrene Trauerbegleiter:innen wissen ebenso wie Betroffene, dass Trauerprozesse oft sehr viel länger als ein Jahr dauern, manchmal ein Leben lang und sich vor allem die Art, wie wir damit umgehen, verändert. (Siehe auch Gute Trauer – Aeternitas e.V.)

Wir wissen also, dass Trauer in Wellen kommt und auch diese verändern sich. Der Frage “Trauerst du immer noch?” kann ganz ohne Diagnose mit “Ja, meine Person ist ja auch immer noch tot.” beantwortet werden und lässt, den einen oder die andere durch die innewohnende Wahrheit vielleicht etwas zusammen zucken. 

Wenn Trauer der Preis für Liebe ist, und Liebe bleibt, dann bleibt auch Trauer. Ganz ohne zur Krankheit zu werden, sondern zu einer integrierten Lebensrealität. 

Andere offizielle Diagnosen, die auf chronische Erkrankungen im Zusammenhang mit Trauer hinweisen, sind die Anpassungsstörung, die Posttraumatische Belastungsstörung (PTBS) und Depressionen. 

Trauer kann natürlich auch körperliche Symptome auslösen, wie z. B. Erschöpfung, Schlafstörungen, chronische Schmerzen oder Verdauungsprobleme. Diese Symptome können langfristig bestehen und einer chronischen Erkrankung ähneln.

Neurobiologische Studien zeigen, dass Trauer das Gehirn ähnlich beeinflussen kann wie chronischer Stress oder Depressionen. Insbesondere das limbische System (verantwortlich für Emotionen) und das Belohnungssystem werden durch Trauerprozesse stark beansprucht, was zu einer Art neurologischer „Erschöpfung“ führen kann. Hier könnt Ihr einen interessanten Artikel dazu lesen, bzw. Podcast hören.

Trauer in Arbeitskontexten und Organisationen 

Menschen jedoch, die anhaltende Trauer erleben, stoßen oft auf Schwierigkeiten in der Arbeitswelt, insbesondere wenn keine unterstützenden Strukturen vorhanden sind. Viele berichten von Leistungsabfall, kognitiven Einschränkungen oder dem Gefühl, sich nicht wieder vollständig einfügen zu können. In manchen Fällen kann sich das in einer Art „Dauer-Ausgrenzung“ äußern, ganz ähnlich wie bei anderen chronischen Erkrankungen.

Es gibt Betroffene, die ihre Trauer als „lebenslange Krankheit“ beschreiben und die nicht einfach „geheilt“ werden kann; ganz ohne eine ICD-11 Diagnose zu haben, oder eine Störung. Und ähnlich wie bei chronischen Erkrankungen kann Trauer auch unsichtbar sein oder werden, es gibt gute und schlechte Phasen, und soziale Unterstützung sowie Anpassungen im Arbeits- und Lebensumfeld spielen eine große Rolle bei der Bewältigung.

Nicht nur in unserer Kultur gibt es oft wenig Raum für Trauer. Nach einer gewissen Zeit wird erwartet, dass Menschen wieder „funktionieren“. Diese Erwartungshaltung kann Druck auf Trauernde ausüben, ihre Gefühle zu verdrängen, anstatt sie in ihren Alltag zu integrieren.

Trauer ist aber nicht linear. Ihr wellenartiger Charakter ist mal sanft, mal donnert er mit der Wucht eines Tsunamis über die Trauernden hinweg. Es gibt keine „richtige“ oder „falsche“ Art zu trauern, und es gibt keinen Zeitplan, dem man folgen muss.

Akzeptanz als Schlüssel

Sowohl chronische Erkrankungen als auch Trauer haben etwas mit Akzeptanz zu tun. Es geht nicht darum, sie „loszuwerden“, sondern zu lernen, mit ihnen zu leben, sie zu integrieren und ihnen Raum zu geben.

Ein sanfterer Blick auf die Welt

In einer Welt, die oft von Härte und Polarisierung geprägt ist, brauchen wir mehr denn je einen sanfteren, akzeptierenderen Blick – auf Trauer, auf Krankheit, auf all das, was nicht einfach verschwindet, sondern mit uns weitergeht.

Wie können wir sanfter werden?

Sanftheit und Akzeptanz entstehen in den kleinen, alltäglichen Begegnungen. In der Art, wie wir einander zuhören. Wie wir Trauer oder Schmerz und Krankheit nicht sofort „wegmachen“ wollen, sondern “einfach” aushalten. 

Genau dafür gibt es unsere SOCIUS salons – als Orte für Begegnung, Austausch und Zuhören. 

Autorin Nicola Kriesel

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Trauer im Team

Trauer im Team

Eindrücke aus dem online Trauercafé

Bereits Ende Oktober fand die Trauerwoche der TrauerTaskForce statt, in vielen verschiedenen Kulturen wird in dieser Zeit des Jahres den Toten gedacht. Allerheiligen, Allerseelen, Tag der Toten (Día de Muertos), Totensonntag, Ewigkeitssonntag… 

Die Trauertaskforce ist ein Netzwerk von Trauerexpert*innen, Unterstützer*innen und Freund*innen, das nun schon zum zweiten Mal unter der Überschrift Eat.Cry.Repeat. die Trauerwoche veranstalteten, bei der ich gemeinsam mit Julia ein Online Trauercafé anbot. 

Vor Beginn des Trauercafés hatte ich noch eine Stunde Zeit, die ich im Garten meiner Mutter verbrachte. Sie hatte mich gebeten aus dem Komposthaufen die gute satte Humuserde rauszuholen, um die Rosenstöcke für den Winter noch einmal voll zu nähren. 

Und während ich also da so buddelte, dachte ich über die bevorstehende Veranstaltung nach und fand, dass es kaum ein besseres Sinnbild für Leben, Sterben, Transformation und das Wunder der Erneuerung gibt, als den Komposthaufen. In ihm zerfällt, was alt und scheinbar wertlos ist, und wird zur Grundlage für neues Wachstum. Er zeigt, dass Zersetzung kein Ende ist, sondern ein Übergang – ein Kreislauf, in dem alles miteinander verbunden ist. Wie im Leben liegt auch im Komposthaufen die Kraft der Veränderung. Er ist eine kraftvolle Metapher für die Zyklen von Zerfall, Tod, Leben und Erneuerung. Alles ist miteinander verbunden. Der Komposthaufen lehrt uns, den Zerfall nicht zu fürchten, sondern als natürlichen Prozess der Transformation zu begreifen. In ihm liegt die Hoffnung, dass aus Verlust immer auch Neues entstehen kann.

Drei waren angemeldet. Fünf sind gekommen. 

Aus Köln, Kiel und Berlin sind wir zusammengekommen und haben aus den Perspektiven von ambulanter Hospizarbeit, Jobcoaching mit langzeitarbeitslosen Menschen, Selbstständigkeit als Trauercoach, Facilitation & Hosting, Beratung und Begleitung auf die verschiedenen Aspekte geschaut, die sich uns zeigen, wenn wir uns bewusst mit Trauer am Arbeitsplatz beschäftigen. 

Um an Arbeitsstätten mit Verlust und Trauer umzugehen, ist es essenziell, eine Kultur des Mitgefühls und der Offenheit zu fördern. Verantwortliche können Angebote wie Gesprächsrunden, professionelle Trauerbegleitung oder psychologische Beratung bereitstellen, um den Betroffenen Raum für ihre Gefühle zu geben. Flexible Arbeitszeiten oder temporäre Entlastungen können helfen, mit der Belastung umzugehen. Führungskräfte sollten Vorbild sein, indem sie authentisch und respektvoll mit Trauer umgehen, etwa durch Rituale wie Gedenkminuten oder das Anbieten von Unterstützungsgesprächen. Eine klare Kommunikationskultur, die Sensibilität und Diskretion wahrt, hilft dem Team, den Verlust gemeinsam zu integrieren und zu einer neuen Normalität zurückzufinden.

Alle Anwesenden waren sich einig darüber, dass es  immer mehr Organisationen gibt, die in Trauerfällen achtsam reagieren, insbesondere wenn es um den Verlust direkter Kolleg*innen geht und “business as usual” dann nicht verlangt wird. 

 

Und obwohl wir wissen, dass es eine Trauerprävention nicht gibt, waren wir uns einig, dass es sinnvoll sein kann, wenn wir uns frühzeitig mit Verlust und Vergänglichkeit auseinandersetzen und in Gemeinschaft Räume schaffen, in denen Gefühle geteilt werden können. Offenheit im Umgang mit Trauer, Rituale zur Verarbeitung von Verlust und die Förderung von Resilienz stärken die seelische Gesundheit. Wichtig ist auch, bereits in stabilen Zeiten ein Netz aus sozialen Beziehungen zu pflegen, das in Krisen Halt gibt. Bildung über die natürlichen Prozesse von Trauer und die Bedeutung des Abschiednehmens hilft, Ängste abzubauen und das Unausweichliche als Teil des Lebens zu akzeptieren. So entsteht ein Umfeld, das Heilung und Wachstum in schweren Zeiten unterstützt.

Auch ohne konkreten Trauerfall, kann man sich quasi anlasslos, im geschützten Raum eines Trauercafés treffen. Hier kann informell über Verluste aller Arten, Sorgen, Ängste und Befürchtungen gesprochen werden. Ein Impuls, eine kurze Lesung, eine Achtsamkeitsübung oder nur eine offene Frage durch eine:n Trauerbegleiter:in oder eine:n geschulte:n Moderator:in kann anregen ins Gespräch zu kommen. Am Arbeitsplatz kann ein Trauercafé helfen, den Umgang mit Trauer zu enttabuisieren, den Zusammenhalt im Team zu stärken und eine unterstützende Atmosphäre zu schaffen. Es zeigt, dass Trauer ernst genommen wird und Betroffene mit ihren Emotionen nicht allein sind.

Sich anlasslos über Trauer zu unterhalten, kann zunächst ungewohnt oder schwer erscheinen, bietet aber die Chance, ein offenes und unterstützendes Klima zu schaffen, bevor ein konkreter Verlust eintritt. Es ermöglicht, Bewusstsein für die Bedeutung von Trauer zu schaffen und die Hemmschwelle für Gespräche in Krisenzeiten zu senken. Mitarbeitende können ihre Perspektiven, Ängste und Erfahrungen teilen, wodurch Empathie im Team gestärkt wird. Solche Gespräche fördern Resilienz und zeigen, dass es am Arbeitsplatz Raum für menschliche Themen gibt. Sie legen den Grundstein dafür, dass im Fall eines Verlustes einfühlsame und nachhaltige Unterstützung geleistet werden kann.

In dieser Siebener-Runde hätten wir noch lange weiter über die Besonderheiten von Trauer im Team sprechen können, die zwei Stunden kamen uns etwas kurz vor. So verabredeten wir uns weiter in Kontakt zu bleiben, unsere Erfahrungen und Methoden auszutauschen und uns im neuen Jahr wieder zu einem Austausch zu verabreden.

Wer dazu kommen will, ist herzlich willkommen. Alle Infos gibt es im SOCIUS brief.

Text: Nicola Kriesel

Visualisierung: Julia Hoffmann

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Herzliches Beileid

Herzliches Beileid

Sechs waren angemeldet, fünf sind gekommen. Nach einer Vorstellungsrunde begannen wir mit einer kurzen Spekulation: Wieso sind denn nur so wenige hier? So ein wichtiges und irgendwie unausweichliches Thema: Trauer am Arbeitsplatz. Menschen sterben, es gibt Trennungen, Kündigungen, Krisen – in Arbeitskontexten, im Privaten und Dazwischen, bei Kolleg:innen, Vorständ:innen, Geschäftsführer:innen, Kund:innen, Freund:innen. 

Wieso also möchten sich nur so wenige aktiv mit den (emotionalen) Folgen von Tod, Trennung, Kündigung auseinandersetzen, obwohl doch fast alle sie schon erlebt haben: Trauer, die eigene oder die der anderen?

  • “Es ist eben kein Entwicklerthema”
  • “Da gibt es so wenig konstruktiven Part drin”
  • “Ist halt ein Tabu, man will sich da nicht mit beschäftigen, man drückt es weg”
  • “Es gibt so viel Ungewissheit rund um den Tod”
  • “Wir wissen einfach nicht was nach dem Tod kommt und wir wissen nicht wie wir reagieren wenn Verlust uns trifft, wir widmen uns dem nicht, weil es unvorhersehbar ist.”

Das waren einige der Thesen, die wir zusammengetragen haben. Und natürlich waren wir nicht ganz die Richtigen um die Frage zu beantworten, denn wir waren ja da.

“Trauer ist die normale Reaktion auf einen bedeutenden Verlust” (Kerstin Lammer)

Für Franziska Offermann ist das eine der passendsten Definitionen für Trauer, denn Trauer als Prozess kann dazu führen, den Verlust heilsam zu integrieren, sie  normalisiert die emotionale Reaktion auf ein Geschehen von Bedeutung. Eine andere Beschreibung sagt: “Trauer bezeichnet die natürliche, gesunde und schmerzhafte Reaktion des Organismus mit Abschied, Verlusten und Trennungen umzugehen.” (Aus “In der Mitte der Nacht beginnt ein neuer Tag” von Karina Kopp-Breinlinger und Petra Rechenberg-Winter)

Franziska Offermann war Vorsitzende des Bundesverbandes verwaister Eltern und ist auch heute noch aktiv dort. Nach einem großen Verlust, der ihr Leben änderte, hat sich die promovierte Pharmazeutin mit Lucera selbstständig gemacht, um sich ganz dem begleiteten Umgang von Trauer zu widmen. 

Über die Jahre erlebte sie zunehmend, welche Auswirkungen Verluste auf Unternehmen und Organisationen haben – nicht nur bzgl. der so genannten soft skills, sondern auch knallhart im Umsatz, bei Zahlen, Daten, Fakten. Bedeutsame Verluste sind oft in Bilanzen ablesbar und so fokussierte sich Franziska zunehmend auf die Trauerbegleitung in Unternehmen und Organisationen. Heute arbeitet sie als hauptberufliche Vorständin im Traumahilfezentrum München und verbindet ihre diversen Erfahrungen und Erkenntnisse zu Trauma, Trauer, Yoga, Polyvagaltheorie, Gewaltfreie Kommunikation uvm. unter diesem Dach. 

Sind es nur Todesfälle, die solche Reaktionen auslösen? 

Von was müssen wir uns sonst noch im Leben verabschieden? 

  • aus Liebesbeziehungen
  • von Kindern, die erwachsen werden und ausziehen
  • von anderen Angehörigen oder Freund:innen
  • von Sicherheiten im beruflichen Feld
  • von Ideen und Konzepten
  • von Orten und der Heimat
  • von Idolen und Vorbildern
  • von Gewohnheiten.

Gewiss kommt mit dem Tod ein Verlust, der unwiderbringlich ist. Und dennoch wissen wir, dass auch mit anderen Veränderungen in einer Organisation, mit jeder Transformation ein Trauerprozess in Gang kommt. Aus dem Ecocycle ist uns bekannt, dass wir “kreative Zerstörung” brauchen, bevor wir zur “Erneuerung” kommen. Auf dem Weg zwischen den beiden Stationen liegt der Trauerprozess. Das gilt für Individuen genauso wie für Organisationen. 

An diesem Nachmittag haben wir uns auf die Menschen konzentriert, auf das, was im Körper bei Krisen und Trauerprozessen vorgeht. Franziska hat uns teilhaben lassen an ihrem Wissen und den wissenschaftlichen Erkenntnissen rund um das zentrale und das autonome Nervensystem, das Window Of Tolerance und die Polyvagaltheorie. 

Hierzu kann auf Franziskas Blog einiges nachgelesen werden: Handlungsfähig in der Krise – Stabilität und Zuversicht im System, Handlungsfähig in der Krise – stabil bleiben und Wohl finden und Stabil und zuversichtlich bei Trauer und Krise. Die drei Artikel ergänzen einander.

 

Beileid – im Leid beistehen

Im Anschluss an den umfangreichen Input veranschaulichte Franziska das Wissen anhand verschiedener Modelle,  zu denen ein Teilnehmer bemerkte, wie ansprechend und faszinierend es sei, dass Franziska immer noch etwas Haptisches hervorzauberte, womit sich – sogar im digitalen Raum – eine körperliche Erfahrung machen lasse. 

Anschließend war Zeit für die ganz konkreten Anliegen der Teilnehmenden. Eine Teamleitung berichtete von einer Kolleg:in mit so schwerem Liebeskummer nach einer Trennung, dass sie wochenlang nur noch weinte und kaum arbeiten konnte, aber auch nicht zu Hause bleiben wollte, weil dort “alles noch viel schrecklicher” sei. Was tut man da? Denn als Führungspersonen tragen wir die Verantwortung für viele Menschen – wie lange muss ich also Rücksicht auf so eine spezielle Situation nehmen? Irgendwann hat es auch wirtschaftliche Folgen bzw. strengt die Kolleg:innen an, u. a., weil sie zumindest Teile der Arbeit übernehmen müssen … und als Führungskraft bin ich in der Regel nicht ausgebildet für die Begleitung solcher Krisen. 

Und, anderes Szenario, manchmal sind Führungskräfte in großen Organisationen auch gar nicht so nah an den Mitarbeitenden dran bzw. ist das Vertrauensverhältnis nicht so, dass der Grund der Trauer, der Grund für das veränderte Verhalten von dem jeweiligen Menschen benannt wird. Franziska empfiehlt dann angemessen Kontakt aufzunehmen zu der/dem entsprechenden Kolleg:in, Verbindung zu schaffen, etwas über die Bedürfnisse der trauernden Person zu erfahren. Bei schweren Verlusten brauchen Menschen andere Menschen, die ihnen in ihrem Leid beistehen und nicht im Leid mitversinken.

 

 

Dafür gibt das von ihr entwickelte Akronym zu BEILEID eine hilfreiche Orientierung:

B edürfnisse und Beziehung in den Fokus stellen

E mpathie – aufmerksam zuhören

I ndividualtät – Trauer ist verschieden

L ogistik – Strukturen & Vereinbarungen anbieten

E ntspannung  – dafür sorgen, dass das auch im Arbeitskontext möglich ist

I ntegration – (sozialen) Stress minimieren

D auer – Drandenken, Daten, es dauert so lange wie es dauert. 

Wie eine Klientin sagte: “Ja, ich trauere immer noch, denn xy ist ja auch immer noch tot.” 

Verlust und Trauer, die wir alle auf die ein oder andere Weise erleben, alltäglich machen, indem wir darüber reden,  so lautete das Fazit unseres SOCIUS labors, das mit einem Gedicht von Rainer Maria Rilke beendet wurde: 

 

“Das ist der Sinn von allem, was einst war,

dass es nicht bleibt mit seiner ganzen Schwere,

dass es zu unserm Wesen wiederkehre,

in uns verwoben, tief und wunderbar”

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Wenn Kollegen trauern von Franziska Offermann

Wenn Kollegen trauern von Franziska Offermann

Wenn Kollegen trauern

wahrnehmen verstehen helfen

von Franziska Offermann

Schon vor einigen Jahren hat das Team von SOCIUS Erfahrung mit gleich zwei trauernden Kolleg:innen gemacht, die innerhalb kürzester Zeit geliebte Menschen gehen lassen mussten. Das damals 8 köpfige Team hat quasi intuitiv reagiert: empathisch, verständnisvoll, geduldig. Die vorherigen Trauerfälle im Leben der Teammitglieder betrafen alte Eltern. Hier war es plötzlich anders, mit Geschwistern und Freundinnen. Das machte einen Unterschied.

Mich hat das Thema „Trauer am Arbeitsplatz“ seitdem immer wieder sehr beschäftigt. Und nicht nur dort, sondern auch sonst in unserer Gesellschaft. Oft erlebe ich Sprachlosigkeit, Zögern, Zurückhaltung… als ob Schweigen den Schmerz lindert.

Gleichzeitig beziehen wir uns in unserer Arbeit als Veränderungsbegleitung oft auf Trauerprozesse, wie sie Elisabeth Kübeler-Ross in Ihrer Trauerkurve beschrieben hat. Denn die Phasen der emotionalen Verarbeitung können hier und da ähnlich sein.

Franziska Offermann habe ich im Rahmen des Bohana-Netzwerkes kennengelernt, in dem sich Menschen zusammen finden, die mit den Themen Trauer – Sterben – Bestattung beruflich zu tun haben und das eine Plattform ist, für Menschen, die Begleitung suchen, sich informieren wollen, oder sich um das eigene „vorbereitet sein“ bemühen. 

Ihr Buch hat Franziska schon 2016 veröffentlicht und es beginnt mit ihrer ganz persönlichen Geschichte: wie der Tod eines Kindes ihr Leben für immer veränderte. Sie erzählt wie sie – die promovierte Pharmazeutin – erlebte, dass sich nach diesem Ereignis auch in ihrem Arbeitsleben alles änderte und wie ihr immer klarer wurde, dass sie neue berufliche Wege gehen muss. Sie war lange intensiv engagiert im Bundesverband Verwaister Eltern e.V. und gründete dann ihr Unternehmen Lucera – Integration von Trauer im System.

 

In ihrem Buch führt Franziska Offermann die Leser:innen nach dem sehr persönlichen Einstieg in eine Gedanken- und Handlungswelt, die Führungspersonen, Kolleg:innen und auch Beratenden ebenso wie Lehrer:innen bewusst sein sollte: Dass Menschen sterben, gehört zum Leben und kann jederzeit passieren. Es ist gut wenn wir uns dem Thema stellen.   

Die knapp 200 Seiten plus informativem Anhang sind in 7 Kapitel untergliedert, die sich an Trauernde, Kolleg:innen und Führende wenden und das Prinzip „BEILEID“ in ein Akronym verwandeln, das einen ganzen Prozess beschreiben kann:

B  eziehung gestalten, Bedürfnisse erfragen

E  mpathische Kommunikation, ernst nehmen aller Gefühle

I  ndividualität: jede:r ist anders! Information einholen!

L  ogistik der Organisation und Struktur

E  ntspannung, Entlastung

I  nteresse bekunden, Integration des Geschehenen

D auer beachten, dranbleiben

Franziska nimmt die Leser:innen mit in Erkenntnisse über Trauer und die Möglichkeit von Trauerbegleitung am Arbeitsplatz – welche Chancen bieten sich hier für Gesundheit und Teambuilding bzw. -bonding.

Wie können Trauernde so weiterarbeiten, dass sie einerseits nicht so tun müssen als gäbe es die Trauer nicht, und andererseits nicht darauf reduziert werden? Hier geht die Autorin intensiv auf verschiedene Zeiträume der Trauer ein. Im letzten Drittel des Buches finden sich konkrete Hilfen für Kolleg:innen, u.a. auch wie angemessen kondoliert werden kann, wie Rituale Vertrauen und Sicherheit schaffen (nicht nur für Trauernde) und wie auch am Arbeitsplatz mit Embodiment über den Körper die Seele erreicht werden kann.

Weil Arbeitskontexte heute so viel mehr bedeuten (können) als nur Broterwerb in der Leistungsgesellschaft, erwarten Organisationen und Mitarbeitende zunehmend, sich als ganzer Mensch zeigen zu können, und  nicht mehr nur auf die professionelle Schicht des Seins reduzieren zu werden. Vor diesem Hintergrund ist Franziska Offermanns Buch ein wichtiger Beitrag für alle, die das gesamte Leben in ihren Organisationen willkommen heißen und auch auch vor dem Kontakt mit Menschen nach schmerzhaften Erfahrungen nicht zurückschrecken.

Für mich ist das Buch ein Gewinn. Es schenkt mir Orientierung und Handlungsvorschläge für meine Arbeit und Franziska verliert darin nie ihren zugewandten, achtsame Ton. Dafür Dank ich dir, Franziska. In der Rückschau auf mein Erleben in unserem Team in 2013/14, kann ich dabei bleiben, dass wir damals intuitiv sinnvoll zusammen gewirkt haben. Heute im August 2021 haben nun ganz aktuell leider wieder die Aufgabe das zu tun, und einen trauernden Kollegen in unserer Mitte zu halten. 

 

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