Ein Bad im Feminismus des 21. Jahrhunderts

Ein Bad im Feminismus des 21. Jahrhunderts

Mitte Oktober war ich beim “Female Future Force Day” von edition F. Im Berliner Congress Center (bcc) direkt am Alex trafen sich ca. 1000 Frauen* und auch einige Männer*, um sich einen Tag dem Motto “Bridge the Gap” zu widmen. 

Für mich war es – wie letztes Jahr auch schon – ein Bad im Feminismus des 21. Jahrhunderts. Es hat mich beschwingt, inspiriert und hoffnungsfroh gestimmt mit so vielen Menschen an einem Ort zu sein, die fröhlich, konzentriert, zugewandt und neugierig anregende Panels und lebendige Masterclasses gestalten und so jede Menge Anlässe kreieren miteinander ins Gespräch zu kommen.

Ein besonderes Highlight des Tages war sicher das einstündige Gespräch von Annalena Baerbock und Julia Becker, der Verlegerin der Funke Mediengruppe. Ich habe die Außenministerin im Laufe ihrer Amtszeit und in den zahlreichen Fernsehinterviews und Statements nie so lebendig, nahbar, klar, laut, klug, glaubwürdig, verletzlich und #bezaubernd erlebt wie an diesem 12. Oktober. Es war ein Genuss, den beiden Frauen lauschen zu können. Ganz besonders Frau Baerbocks Bemerkung zur Bedeutung der Streichung des § 218 aus dem Strafgesetzbuch hat mich sehr berührt. Dass die Einmischung des Staates in weibliche Körper ein Ende haben muss, ist eine Forderung, deren Umsetzung in unmittelbarer Zukunft langfristige Auswirkungen auf die Menschlichkeit unseres Zusammenlebens haben wird. 

Gleichzeitig waren an diesem Tag so viel mehr kluge, nahbare, glaubwürdige, kompetente Menschen aktiv, dass dass ich auch davon noch ein bißchen berichten will:

In Bezug auf meine Arbeit bei SOCIUS haben mich vor allem Fragen nach der gelingenden Schaffung resilienzstärkender und inklusiver Arbeitssettings interessiert. Hier waren die Panels “Bridge the Health Gap – Wie der Umgang mit den Wechseljahren zeigt, was in der Frauengesundheit schief läuft” und “Neurodiversität – ADHS, Autismus, Hochsensibilität und wie uns das Wissen über die Gehirne empowert” für mich besonders lehrreich.   

Gelernt habe ich, dass die Befassung mit den Wechseljahren einer Frau im Medizinstudium genauso wenig vorkommt wie das Erlernen schwangerschaftsbeendender Eingriffe. Oder wie Miriam Yung Min Stein, die Initiatorin der Kampagne “Wir sind 9 Millionen!” es formulierte: “Die Wechseljahre sind vollkommen unterforscht. Wir wissen darüber viel zu wenig!”. Nur eine Woche später war sie im Bundestag als Expertin zur Debatte zur nationalen Strategie für die Menopause eingeladen. Ein Erfolg der Kampagne. 

Im Panel zur Neurodiversität habe ich von Katharina Schön, Bestsellerautorin, Aktivistin und Beraterin mit AD(H)S, Autismus und Hochbegabung die eingängigste Unterscheidung von Neurodiversität und Neurodivergenz gehört, die mir bislang begegnet ist: 

Neurodiversität bezeichnet ungefähr analog zur Biodiversität die Verschiedenheit unserer Gehirne. Diese haben alle jeweils sehr unterschiedliche Ausprägungen, “Verschaltungen” und auch Begabungen. So wie wir es in Flora und Fauna auch allenthalben finden: Es gibt überall Unterschiede.

Von Neurodivergenz jedoch spricht Katharina Schön, wenn es Abweichungen von der Mehrheit diverser Gehirne gibt, die ihre Besitzer*innen mit den Anforderungen des Alltags der Mehrheitsgesellschaft kämpfen lassen. 

Diese Unterscheidung in den Definitionen hat sogar ihre mit Panelist*innen überrascht und überzeugt. 

Auf dem letzten Podium des Tages ging es um “Bridge the Hate Gap – Frauen gegen Hass und Hetze” in dem Anna-Lena von Hodenberg von HateAid zum Schluss den Teilnehmenden und Zuhörenden “Bildet Banden!“ zurief. „Nicht im zersetzenden und gewalttätigen Sinne, sondern im Sinne von Zusammenhalt, Unterstützung, Allyship. Tut euch zusammen, ruft einander im Netz auf den sozialen Plattformen und werdet gemeinsam mutig laut gegen Hass und Hetze!”. Ich habe das sehr gefeiert und mich wohlig an meine Studienzeit in den 90er Jahren erinnert gefühlt, in der genau das auch eines unserer Motti war: Gelebte Solidarität. Ihre Bedeutsamkeit ist bis heute nicht verloren gegangen. Im Gegenteil ist sie im Netz wahrscheinlich noch viel wichtiger geworden, und auch einfacher.  

Nächstes Jahr im Oktober findet hoffentlich wieder ein Female Future Force Day statt und ich freu mich schon jetzt wieder dabei zu sein.

Autorin Nicola Kriesel

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Vergesst nicht zu fragen: Was macht mir wirklich wirklich Freude?

Vergesst nicht zu fragen: Was macht mir wirklich wirklich Freude?

In unserer neuen Kategorie „SOCIA Ausblicke“ wollen wir versuchen regelmäßig unser Augenmerk auf die Situationen von Frauen* im Arbeitsleben in NGOs, im Beratungsgeschäft und in Führungsverantwortung zu richten.

Zum endenden Jahr gibt Julia Hoffmann Antworten auf unsere Fragen. Wir freuen uns, das wir im nächsten Jahr Einblicke in die Gedanken und Ideen von Hannah Kalhorn und Lysan Escher lesen dürfen. Bevor weitere Kolleginnen aus dem SOCIUS NextWerk uns mitnehmen…

 

 

Was ist deiner Meinung nach der beste Weg, eine Gesellschaft zu verändern? 

Drei wichtige Wege für gesellschaftliche Veränderung sind für mich diese: 

 

  1. Uns die “inneren Geschichten”, in denen wir leben und die unser Handeln prägen, bewusst vor Augen zu führen und kritisch zu hinterfragen – und sie selbst weiterzuschreiben. Mit inneren Geschichten meine ich Narrative oder Erzählungen – das können große gesellschaftliche Erzählungen sein, oder sehr persönliche. So eine innere Geschichte kann heißen “Ich kann das nicht” oder “Ich öffne mich dem Unbekannten”. Je bewusster wir uns dieser Erzählungen sind, die in uns wirken, um so mehr Bewusstheit entsteht in unserem Handeln. Und wir können sie verändern, z.B. in “Ich gehöre dazu”. 
  2. Fragen hinterfragen: Die großen gesellschaftlichen Fragen, die unsere Gesellschaft beschäftigten, hinterfragen. Vor einer Weile las ich auf dem Cover des SPIEGEL die Frage “Gehört der Islam zu Deutschland?” Aus meiner Sicht geht es hier nicht um das ob – es geht um das wie. Wenn die Frage hieße, “Wie gehört der Islam zu Deutschland?” oder “Wie gehört das Christentum zu Deutschland?” sind wir in einem ganz anderen Diskurs. Einem, der von Neugier und Suche geleitet ist, und keinem der mit dem Urteilen beginnt. 
  3. Sehr viele kleine Schritte und Mikro-Veränderungen, die jede:r einzelne von uns bewegen kann. Über Jahre, Jahrzehnte und manchmal Jahrhunderte können daraus Strömungen und massive Veränderungen erwachsen, so wie beim Frauenwahlrecht oder dem Fall der Mauer.

 

Wie bist du zu deinem Job gekommen?

Das Wort “Job” trifft es für mich hier nicht, es ist eher eine Art Wirkungsrolle oder Tätigkeit. Ich bin hier, weil ich schon seit vielen vielen Jahren, eigentlich seit ich denken kann, mit und in Ehrenamt und in Nicht-Regierungs-Organisationen gearbeitet habe. Dazu kam, dass ich nach einer Weile immer öfter in Rollen kam, in deren es darum ging, Menschen zusammenzubringen, zusammen Projekte zu organisieren, zu verantworten. Dabei fand ich mich mehr und mehr mit Flipchart und Stift, den anderen zuhörend und dann die roten Fäden unserer Diskussionen, Besprechungen und Strategien im Blick behaltend. Daraus erwuchs meine Art Prozesse zu begleiten, moderierend und visuell, mit dem Stift das gemeinsame Wissen herauszukitzeln und zu beleuchten . 

 

Was möchtest du mit deinem Job erreichen? 

Ich möchte bewirken, dass die Teams, Gruppen und Personen, die ich begleite mit Klarheit, Kraft und Kreativität das verstehen und gestalten, was ihnen wichtig ist – egal ob es eine Herausforderung, oder ein Hindernis ist, das im Weg steht. Dass Raum für gemeinsames Denken in Tiefe entsteht und jede einzelne Person sich eingeladen fühlt, das beizusteuern, was ihr wichtig für das gemeinsame Vorhaben ist.

 

Welchen Beruf wolltest du lernen, als du ein Mädchen warst? 

Ich wollte richtig, richtig, richtig viele verschiedene Dinge tun: Ballerina, Pferdepflegerin, Designerin und Innenarchitektin. Später dann Botschafterin in Frankreich werden, Europa-Abgeordnete, Psychologin oder Fotografin. Es war ziemlich schwierig mich in all diesen möglichen Richtungen für einen Weg zu entscheiden. Ich hab auch heute noch die Lust am Entdecken von verschiedenen beruflichen Zweigen. Ich würde auch nicht ausschließen, dass ich irgendwann auch nochmal was anderes machen möchte. 

 
Wen oder was bewunderst du gerade? 

Die Natur: Es ist famos wie ein Kompost – also ein Ort auf den man ausschließlich Abfälle sammelt und diese Abfälle dann lange genug pausieren bzw. liegen lässt, die nährstoffreichste Erde – Muttererde – produziert. Diese Form der Regeneration finde ich unglaublich. Da kriegt “Pause” auf einmal eine ganz andere Bedeutung. 

 
Wie sieht ein Traum von einer besseren Welt aus? 

Es ist eine Welt, in der wir mit Blick auf die Natur verhindern kann, dass es noch viel, viel schlimmer wird. Mein Traum ist, dass wir uns alle tief in unserem Inneren darüber bewusst werden, wie wertvoll diese Ressource, dieser Planet ist. Es ist eine Welt, in der wir Menschen dieses Wissen teilen, ausgehend von ihm handeln und wirklich unser Verhalten als Gemeinschaft verändern – rasant, effektiv und mit Verständnis und Mitgefühl einander gegenüber für die Emotionalität, die diese Veränderungen hervorrufen werden. 

 
Was bedeutet Erfolg für dich? 

Erfolg bedeutet für mich hier Wirkung, im besten Falle Tiefenwirkung. Das hat im beruflichen Sinne damit zu tun, was vorhin anklang: Räume zu öffnen und zu halten, in denen Kreativität wieder sprudeln kann; Räume, in denen Teams sich in einer gemeinsamen Vision wiederfinden oder in einem Moment des tiefen Verstehens voneinander.

 

Aus welchem Fehler hast du am meisten gelernt? 

Viel habe ich aus den Gesprächen über Finanzen und Gehälter gelernt, und da lerne ich immer noch weiter. Ich finde Geld generell ein schwieriges Thema – da wirken bei mir und in meiner Erfahrung bei vielen von uns tiefe “innere Geschichten”.

 

Siehst Du Dich als Vorbild? 

Als jemand von den “leiseren Menschen” habe ich oft diejenigen geschätzt, die trotz einer klaren Zurückhaltung in Gruppen oder Gesprächssituationen an einem gewissen Punkt das Wort ergriffen. Meist haben sie zuerst gut zugehört. Aber was dann kam, hatte eine Tiefe und hat mir bewusst gemacht, dass auch wir leiseren Charaktere dazu gehören. Ich hoffe, dass ich Menschen, die von einem ähnlichen Schlag sind, ähnlich inspirieren und zeigen kann, dass es auch für uns in dieser oft lauten Welt einen Platz gibt.  

 
Hast du einen Grundsatz, nach dem du lebst? 

“Alles was ist, darf sein. Und was sein darf, kann sich verändern.” Das ist ein Satz aus der Gestalt-Lehre. Meine Familie zitiert mir das mittlerweile vor, weil ich es ihnen gegenüber so oft in Alltagssituationen verwendet habe. Ob ich komplett danach lebe, weiß ich nicht, und versuche es jedenfalls. 

 
Was bedeutet Feminismus für Dich? 

Für mich ist Feminismus eine politische Haltung, die klare Fragen auf die gesellschaftlichen Strukturen, kulturellen Muster, und persönliche Entwicklungsmöglichkeiten von Individuen, lenkt. Eine Haltung, die im Blick hat, wie unterschiedlich bestimmte Gruppen gesellschaftlich beteiligt, machtvoll oder einflussreich sind – und von einer Welt träumt, in der alle Menschen gleich bedeutsam sind. 

 

Wie lebst du Feminismus in deinem Team (vor)? 

Ich versuche Fragen um Rang und Macht im Blick zu behalten, auch das Thema “Gender” offener anzusprechen und dazu beizutragen, dass es einfacher wird, darüber zu reden. 

 
Wie versuchst du, die Sichtbarkeit in deinem Team von Minderheiten in deinem Team zu verbessern?

Ich versuche Themen und Fragen hineinzutragen, die nicht für alle gleichermaßen virulent sind. Und uns im Bewusstsein zu halten, dass wir hier noch mehr machen und wachsen können. 

 
Welche familienfreundlichen Maßnahmen könntest du? Würdest du gerne in deinem Team umsetzen? 

Ich erlebe SOCIUS als sehr flexibel in Bezug auf familiäre Bedarfe und habe das Vertrauen und die Erfahrung, dass es bei Bedarf Verständnis und Unterstützung der Kolleg:innen gibt. 

 
Was möchtest du jüngeren Frauen und Berufsanfängern mit auf den Weg geben? 

Neben allem Realismus und Fragen der Sicherheit, die die Berufswege bestimmen, vergesst nicht zu fragen: Was macht mir wirklich wirklich Freude? Bei welcher Tätigkeit vergesse ich die Zeit? Wovon träume ich? Was auch immer ihr macht, nehmt einige dieser Zutaten mit ins berufliche Leben und haltet so eure Neugier lebendig.

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Vergesst nicht zu fragen: Was macht mir wirklich wirklich Freude?

Wach sein und mit offenen Augen durchs Leben gehen

In unserer neuen Kategorie „SOCIA Ausblicke“ wollen wir versuchen regelmäßig unser Augenmerk auf die Situationen von Frauen* im Arbeitsleben in NGOs, im Beratungsgeschäft und in Führungsverantwortung zu richten.

Zum Ende der Sommerferien hat Joana Ebbinghaus unsere Fragen beantwortet. Wir freuen uns schon jetzt auf die Antworten von Julia Hoffman und den anderen Frauen aus unserem SOCIUS NextWerk. Bestimmt haben auch einige Kollegen Interesse daran die Fragen zu beantworten. 

 

Was ist deiner Meinung nach der beste Weg, eine Gesellschaft zu verändern? 

Wach sein und mit offenen Augen durchs Leben gehen. Den Mund aufmachen, wenn die eigenen Werte verletzt werden oder man mit strukturellen Ungerechtigkeiten konfrontiert wird. Auf das Verbindende schauen, nicht auf das Trennende und gemeinsam anpacken, da wo sich Chancen ergeben.

Wie bist du zu deinem Job gekommen? 

Irgendwie schicksalhaft. Nach 13 Jahren im Ausland in der Entwicklungszusammenarbeit, ohne nennenswerte Netzwerke in meiner Heimatstadt Berlin und in dem Ringen, mir eine neue berufliche Existenz aufzubauen, haben mich zwei ganz unterschiedliche Kontakte zu SOCIUS geführt. Der eine gab mir die Empfehlung: Ruf doch einfach mal dort an, ich glaube, Du würdest gut zu ihnen passen. Der andere Kontakt mit einem konkreteren Angebot, eine bereits begonnene Planung zur Zusammenarbeit im Bereich Training für internationale NGOs zu übernehmen und weiterzuführen. Ein kurzes Beschnuppern, eine wilde Nikolausfeier, enorm viel Vorschussvertrauen und viel intuitives Bauchgefühl auf beiden Seiten: Wir möchten gern zusammenarbeiten!

Was möchtest du mit deinem Job erreichen?

Menschen berühren. Dadurch, dass sie sich ihrer eigenen Potenziale, Kompetenzen und Handlungsspielräume gewahr werden, dass sie einander neu begegnen, in Kontakt sind, gemeinsam Schätze heben, Wirksamkeit entfalten, unbeleuchtete Ecken erhellen, aufrütteln, die Welt verändern.

Welchen Beruf wolltest du lernen als du ein Mädchen* warst? 

Forscherin und Entdeckerin – das mythische Gold der Inkas finden oder irgendeinen weißen Fleck auf der Landkarte abschreiten.

Wen oder was bewunderst du?

In meiner Arbeit begegne ich immer wieder Menschen, die ich zutiefst bewundere:

In Indonesien die vielen NGO Aktivist:innen, denen ich begegnet bin, die nicht aufgeben, für die Rechte der Marginalisierten, den Schutz der natürlichen Ressourcen oder gegen Korruption und Ausbeutung zu kämpfen – auch wenn der Kampf oft schier aussichtslos erscheint. Also, das Einstehen für die eigene Integrität.

Und die vielen Menschen, die ich in Beratungssituationen erlebt habe und die bereit sind, sich ihren eigenen Dämonen zu stellen, sich leidenschaftlich, wütend, unwissend, verletzlich oder verwundet zu zeigen, um daraus zu lernen und zu wachsen.

Wie sieht dein Traum von einer besseren Welt aus? 

Eine Welt ohne Krieg, Hass, Armut und Hunger, in der die Menschen mit allen Wesen und dieser Welt respektvoll und achtsam umgehen.

Was bedeutet Erfolg für dich? 

Etwas so gut gemacht zu machen, wie ich konnte.

Aus welchem Fehler hast du am meisten gelernt?

Besser auf meine eigenen Grenzen acht zu geben.

Siehst du dich als Vorbild? 

Als Mutter ist es wohl der einzige Weg, meinen Kindern etwas mit auf ihren Lebensweg zu geben.

Hast du einen Grundsatz nach dem du lebst?

Viktor Frankl: „Zwischen Reiz und Reaktion liegt der Raum der inneren Freiheit. Die Größe dieses Raumes wird durch unsere eigene Haltung bestimmt.“ Was für eine Befreiung und auch was für eine Herausforderung!

Was bedeutet Feminismus für dich? 

Sowohl Chancengleichheit als auch Solidarität. Und ganz viel innere Freiheit, die es gilt sich zu nehmen.

Wie lebst du Feminismus in deinem Team vor?

Ich glaube nicht, dass ich es irgendwem vorleben muss, sondern eher leben. Auf Ungerechtigkeiten hinweisen, Frauen bestärken, sich Gehör zu verschaffen und mitzugestalten. Mir selbst Freiheiten nehmen.

Wie versuchst du, die Sichtbarkeit von Minderheiten in deinem Team zu verbessern?

In unserem eigenen Team geht es vor allem darum, dass wir diverser werden wollen. Ansonsten: Verlangsamung ermöglichen, Raum und Gehör für die leisen Stimmen. Zumindest ist das mein Anspruch.

Welche familienfreundlichen Maßnahmen konntest du/würdest du gern in deinem Team umsetzen?

Für mich als alleinerziehende Mutter mit 2 Kindern war es nicht immer einfach, von meinen Kolleg:innen die Selbstverständlichkeit anzunehmen, mit der sie akzeptierten, dass ich nicht immer in gleicher Weise agieren und reagieren kann, wie Andere. Für mich selbst bedeutet es, ebenso einzuspringen, zu ermöglichen und zu unterstützen, wo es um wesentliche Bedürfnisse und Herausforderungen der Kolleg:innen in ihrer Rolle als Teil einer Familie geht: Da sein, sich kümmern, pflegen, feiern, sich verabschieden, trauern.

Was möchtest Du jüngeren Frauen* und Berufsanfängerinnen mit auf den Weg geben?

Der eigenen Neugier, Begeisterung und den eigenen Werten zu folgen und weniger danach zu fragen, wo das genau hinführt oder was das genaue Ziel ist. Mutig mit Nichtwissen umzugehen, das eigene Licht trotz allem nicht unter den Scheffel zu stellen und sich wohlwollende Mentor:innen und beherzte Mitstreiter:innen zu suchen.

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Vergesst nicht zu fragen: Was macht mir wirklich wirklich Freude?

Feminismus ist eine Art das eigene Leben zu gestalten

In unserer neuen Kategorie „SOCIA Ausblicke“ wollen wir versuchen regelmäßig unser Augenmerk auf die Situationen von Frauen* im Arbeitsleben in NGOs, im Beratungsgeschäft und in Führungsverantwortung zu richten.

Schon geht die Interviewreihe weiter mit Nicola Kriesel. In den nächsten Wochen könnt Ihr die Antworten von Joana Ebbinghaus und Julia Hoffmann lesen und dann werden wir die Frauen aus unserem SOCIUS NextWerk fragen. Bestimmt haben auch einige Kollegen Interesse daran die Fragen zu beantworten. 

 

Was ist deiner Meinung nach der beste Weg eine Gesellschaft zu verändern?

Ich denke, Gesellschaftsveränderung gelingt am ehesten mit vielen kleinen Schritten von vielen (kleinen) Leuten an vielen verschiedenen Orten. Sich zusammen zu tun, aktiv zu werden und auch die kleinen Veränderungen zu würdigen, ist, glaube ich, ein guter Weg. Im Einklang mit den eigenen Werten zu handeln und dieses Handeln immer wieder an der gemeinsamen Vision auszurichten, ist mir wichtig.

Wie bist du zu deinem Job gekommen?

Meine Tätigkeit bei SOCIUS ist mehr als ein Job für mich und es gibt eine Seite in mir, die glaubt dass es eine schicksalshafte Fügung war, dass SOCIUS und ich uns gefunden haben. Ich arbeitete mich 2004/05 mühevoll aus einer großen Sinn- und Lebenskrise heraus, wusste dass ich mein Leben nicht als Anwältin/Juristin verbringen wollte, wusste aber auch nicht recht, was mit dem Jurastudium denn sonst noch anzufangen sei. Die Mediationsausbildung hatte ich schon abgeschlossen, aber als Mediatorin alleine Lebensunterhalt zu verdienen, ist quasi unmöglich. In dieser Situation erzählte eine Bekannte mir von einem Freund, der in einer Beratungsfirma arbeite, die eine Juristin mit Kommunikationskompetenzen suchen. Sie hat dort meinen Namen ins Spiel gebracht, der Freund richtete aus ich sollte mich doch mal melden, und das tat ich gerne. So kam es zu einem ersten Treffen zwischen Christian Baier, Andreas Knoth und mir. Das war im Mai 2005. Seit dem arbeite ich mit großer Lust und Begeisterung im Team von SOCIUS.

Was möchtest du mit deinem Job erreichen?

Ich möchte gerne dazu beitragen, dass wir Arbeitskontexte schaffen, in denen Menschen gedeihen und sich entwickeln können. Arbeitskontexte, in denen Teamgeist, Solidarität, Loyalität, Inklusion genauso eine Rolle spielen wie Selbstbestimmung und Selbstverantwortung.

Welche Beruf wolltest du lernen als du ein Mädchen* warst?

Als ich so zehn Jahre alt war, wollte ich Archäologin werden. Tutanchamun hat mich sehr fasziniert.  Einige Jahre später wollte ich dann Bundeskanzlerin werden (die erste. Ist mir nicht gelungen, wie alle wissen). Damit stand dann recht früh der Studiumswunsch Jura fest. Zwischendurch liebäugelte ich mich Pädagogik und/oder Psychologie. Im letzten Schuljahr war ich gezwungen einen familiären Rechtsstreit zu bewältigen, der meinen Studiumswunsch Jura sehr verfestigte. Mein Ziel war es für mehr Gerechtigkeit für Kinder zu sorgen.

Wen oder was bewunderst du?

Ich bewundere meine Kinder für ihre Willensstärke und ihre Unverbogenheit. Ich bewundere meine Mutter, die als alleinstehende Frau, ihren Weg gegangen ist und sich immer treu geblieben ist. Überhaupt bewundere ich alleinstehende Eltern, die mit so viel Liebe und Kraft so wertvolle Dienste leisten, oft nicht nur an ihren Kindern, sondern auch für die Gesellschaft. Ich bewundere Menschen, die friedvoll für das einstehen an was sie glauben.

Wie sieht dein Traum von einer besseren Welt aus?

In einer besseren Welt geht es vor allem gerechter und damit auch freier zu – für alle. Menschenrechte würden überall geachtet und statt großem Reichtum für einige wenige (weiße Männer), gäbe es Wohlstand für alle, Achtung vor allen Lebewesen inklusive.

Was bedeutet Erfolg für dich?

Mit dem Begriff „Erfolg“ kann ich nicht so viel anfangen. Ich ersetze ihn gerne durch „Gelingen“. Dass mir etwas gelingt, für das ich mich einsetze, was mir wichtig ist, was meiner Vision dient und dem nach dem ich strebe – das ist durchaus bedeutungsvoll für mich.

Aus welchem Fehler hast du am meisten gelernt?

Ach – ich bin gar nicht sicher ob wir aus Fehlern tatsächlich so viel lernen können wie immer behauptet wird. Und wenn ich so drüber nachdenke, dann scheint es so zu sein, dass ich mich mit Fehlern nicht sehr lange aufhalte und sie schnell vergesse oder verdränge. Das geht mir auch mit so genannten Fehlern so, die andere machen. Wenn es ein Fehler ist, zu viel zu reden und zu wenig zuzuhören und andere oft zu unterbrechen, dann ist das wohl der Fehler durch den ich am meisten gelernt hab, anderen zu zu hören, sie sprechen zu lassen und präsent zu sein.

Siehst du dich als Vorbild?

Manchmal wäre ich gerne eins. Dann wieder gar nicht. Ich hab schon gehört, dass andere mich als Vorbild sehen. Das macht mir meist ein eher unangenehmes Gefühl, selbst wenn es mir auch ein bisschen schmeichelt. Jedenfalls versuche ich mich so zu benehmen, dass ich eins sein könnte. Die größte Aufgabe hierbei ist wohl Demut.

Hast du einen Grundsatz nach dem du lebst?

Am Küchenschrank meiner Mutter hing jahrelang der Satz „Es gibt nichts Gutes außer man tut es“, gleich neben „Toleranz gegenüber Intoleranten ist keine Tugend, sondern Selbstmord“ und „Im Beruf und in der Liebe kann man immer neu anfangen, bei Kindern ist das unmöglich.“ – alles Sätze, die mich immer wieder begleiten, die mich als Mädchen und junge Frau nachdenklich gemacht haben und denen ich immer noch etwas abgewinnen kann. An meiner Küchentür heute, hängen auch viele Sprüche.

Einer der nicht da hängt, der mich aber immer wieder leitet, ist: „Liebe ist nichts für Feiglinge.“

Was bedeutet Feminismus für dich?

Feminismus ist eine Art das eigene Leben zu gestalten. In meinem Leben hat es Feminismus schon immer gegeben und so ist er quasi integraler Bestandteil meines Seins. Ich kann mich nicht erinnern mich jemals nicht als Feministin identifiziert zu haben. Feminismus ist die Überzeugung dass Gleichberechtigung – unabhängig vom Geschlecht – richtig ist. Feminismus trägt zu Gerechtigkeit und Freiheit für alle bei.

Wie lebst du Feminismus in deinem Team vor?

Ich glaube ich lebe das nicht vor. Was ich tue, ist, da wo ich es kann, dafür zu sorgen, Frauen* zu empowern in Positionen zu gehen, in denen sie Entscheidungen treffen können, auch andere Frauen* zu empowern.

Wie versuchst du die Sichtbarkeit von Minderheiten in deinem Team zu verbessern?

Ich hoffe, dass ich dazu beitrage, dass alle gleichermaßen Gehör finden, und ich trage gerne dazu bei, dass die Diversität in unserem Team noch vergrößert wird. Da haben wir noch Nachholbedarf.

Welche familienfreundlichen Maßnahmen konntest du/würdest du gern in deinem Team umsetzen?

Kinder sind im Büro willkommen. Wenn jemand aufgrund von Pflegetätigkeiten für Familienangehörige (egal welchen Alters) im Job ausfällt, kann die Person sich unserer Unterstützung und Solidarität gewiss sein.

 Was möchtest Du jüngeren Frauen* und Berufsanfängerinnen mit auf den Weg geben?

Traut Euch eigene Wege zu gehen, unangepasst zu sein. Baut Euch früh Netzwerke auf, pflegt Freundschaften und gönnt Euch Begleitung durch Ältere.

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Weiterhin die Welt ein kleines bisschen besser machen

In unserer neuen Kategorie „SOCIA Ausblicke“ wollen wir versuchen regelmäßig unser Augenmerk auf die Situationen von Frauen* im Arbeitsleben in NGOs, im Beratungsgeschäft und in Führungsverantwortung zu richten.

Teil davon wird eine Interviewreihe sein, in der hier Kerstin Engelhardt den Auftakt macht.

 

Kerstin Engelhardt, 59 Jahre; Beraterin, Coach und Supervisorin

  • Was ist deiner Meinung nach der beste Weg eine Gesellschaft zu verändern? Bündnispartner*innen finden; Gespräche und Aktionen
  • Wie bist du zu deinem jetzigen Job gekommen?  Ich bin von socius nach der Teilnahme an einer Fortbildung gefragt, ob ich als Selbstständige einsteigen möchte (war damals auf der Suche nach einer beruflichen Alternative zu meinem Job). Jetzt bin ich außerdem als Beraterin im Ev. Kirchenkreis Spandau: öffentliche Stellenausschreibung, ich kam von Außen.
  • Was möchtest du mit deinem Job erreichen? Weiterhin die Welt ein kleines bisschen besser machen.
  • Welche Beruf wolltest du lernen als du ein Mädchen* warst?  Erst Lehrerin; dann Kriminalkommissarin, die sich mit Verbrechern wilde Verfolgungsjagden liefert.
  • Wen oder was bewunderst du?  Meine Vorbilder, jeweils in spezifischen Punkten: Simone de Beauvoir und Hannah Arendt; Nelson Mandela, Miriam Makeba und Desmond Tutu; Rosa Luxemburg und Clara Zetkin; Frida Kahlo, Hannah Höch und Louise Bourgoise; Angela Merkel in ihrem unaufgeregten Politikstil und ihrer Nicht-Korrumpierbarkeit.
  • Wie sieht dein Traum von einer besseren Welt aus?  Abwesenheit von Gewalt und Armut; Gleichwertigkeit aller Menschen und gleiche Rechte und Möglichkeiten für alle Menschen im Rahmen eines demokratischen Systems; ein gesundes, intaktes Ökosystem
  • Was bedeutet Erfolg für dich?  Im Sinne meiner Zielsetzungen und meines Wertesystems wirksam/ hilfreich zu sein für andere und für die Umwelt; gut für mich zu sorgen, beruflich wie privat.
  • Aus welchem Fehler hast du am meisten gelernt? Nicht dem eigenen Gefühl/ dem eigenen Einschätzungsvermögen zu vertrauen.
  • Siehst du dich als Vorbild?  Manchmal ja, manchmal nein.
  • Hast du einen Grundsatz nach dem du lebst? 1) „Was du nicht willst, dass mensch dir tu‘, das füg auch du niemandem zu“. 2) Reden und Handeln sollten möglichst übereinstimmen.
  • Was bedeutet Feminismus für dich?  Eine – auch mal streitbare – Lebenshaltung und -praxis.
  • Lebst Du Feminismus in Deinem Team/ Arbeitsbereich? Wenn ja, wie? Indem ich für mich und ggf. auch für andere Frauen und für Benachteiligte / Diskriminierte einstehe; indem ich gerecht spreche und handle und ggf. Gerechtigkeit einfordere.
  • Wie versuchst du die Sichtbarkeit von Minderheiten in deinem Team/Deinem Arbeitsbereich zu verbessern? Indem alle gleichermaßen Gehör finden und Raum zum Sprechen bekommen; indem ggf. auch mal ein geschützter Raum zur Verfügung gestellt wird; indem auf Macht- und Einflussebenen sowie auf Sensibilitäten genau geachtet wird.
  • Welche familienfreundliche Maßnahmen konntest du/würdest du gern in deinem Team /Deinem Arbeitsbereich umsetzen? Kinderbetreuung vor Ort; Unterstützung im Fall pflegebedürftiger Angehöriger; Bedingungen und Anreize schaffen, die auch Männer dazu bringen, sich den Frauen vergleichbar / im selben Umfang bei Familienarbeit, Haushalt und Kinderbetreuung zu engagieren bzw. engagieren zu können.
  •  
  • Was möchtest Du jüngeren Frauen und Berufsanfängerinnen mit auf den Weg geben? Sich selbst zu vertrauen; den Mut haben, auch mal unbequem zu sein; sich ggf. Unterstützung suchen – Mentor*innen, ein gleichgesinntes Netzwerk, professionelle Beratung.

 

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Vergesst nicht zu fragen: Was macht mir wirklich wirklich Freude?

SOCIA Ausblicke: „Ich möchte etwas Sinnvolles tun“ – Frauen in Non-Profit-Organisationen

Ein persönliches Vorwort

Der Beginn

Ich war Berufsanfängerin, als ich 1991 von Berlin nach Bayern zog, um dort eine Projektstelle im Kontext der KZ-Gedenkstätte Dachau anzutreten. Das Ziel war der Aufbau einer Internationalen Jugendbegegnungsstätte. Mein Arbeitgeber, der Förderverein für Internationale Jugendbegegnung und Gedenkstättenarbeit in Dachau e. V., kämpfte schon eine Weile für dieses Vorhaben, gegen den zum Teil erbitterten politischen Widerstand der CSU und eines Teils der Dachauer Bevölkerung. Über die Stiftung Jugendmarke konnte nun eine mehrjährige entsprechende Projektstelle finanziert werden. Ich war von dem Vorhaben und der Stellenbeschreibung begeistert, ließ mich von einem Freund für das Bewerbungsgespräch coachen und nahm dann mit Freude die Stelle an.

Der Vereinsvorstand bestand damals aus 12 Personen. Ich, eine Historikerin frisch von der Uni, aber mit Erfahrung in Antirassismus- und Jugendarbeit, war die einzige Angestellte. Unterstützung in der praktischen Arbeit bekam ich durch eine Honorarkraft (einen Tag die Woche) sowie durch Freiwillige der Aktion Sühnezeichen Friedensdienste.

Meine Aufgabe lautete, Konzepte für die vor allem internationale Bildungsarbeit an der Gedenkstätte weiter zu entwickeln und zu erproben, da die Gedenkstätte damals noch über keine eigene Bildungsabteilung verfügte; ferner galt es Zeitzeug*innen zu betreuen, die Internationale Jugendbegegnungsstätte politisch durchzusetzen und schließlich klassische Vereinsorganisation zu leisten.

Ich war jung, hochgradig motiviert und reichlich aufgeregt ob der anspruchsvollen Aufgabe und des neuen Lebensumfeldes. Und tatsächlich entwickelten sich die Jahre in Dachau zu einer prägenden Zeit: bezüglich meiner ethischen Haltung und meiner Vorstellungen von gelingender Arbeit sowie hinsichtlich meines Bildes von fördernden Vorgesetzten. Auch entstanden Freundschaften, die bis heute Bestand haben.

Die Mentorin

Von Beginn an brachte mir der Vorstand großes Vertrauen entgegen und ließ mich viel selbstständig arbeiten. Der Vorsitzende, ein gut vernetzter Münchner SPD-Politiker, überließ mir sogar Blankounterschriften zur freien Verfügung. Und passierten Fehler, stellten sich die Vorständ*innen hinter mich.

Zu einem lebenslangen Vorbild als Mentorin wurde dann Barbara Distel, langjährige Leiterin der KZ-Gedenkstätte Dachau und stellvertretende Vereinsvorsitzende. Die Gedenkstätte wurde 1965 aufgrund des internationalen Drucks errichtet und hatte sich zu einem internationalen Besuchsmagneten entwickelt. Barbara Distel übernahm die Leitung im Zuge der Gründung, eine für die damalige Zeit außergewöhnliche Leitungsposition für eine Frau. Über Jahrzehnte immer wieder von konservativen und rechten Kreisen stark angefeindet, trat sie konsequent parteiisch für die Verfolgten des Naziregimes ein und ließ sich durch die massiven Widerstände nicht beirren – sie hatte eine inhaltliche Mission, ihren Ort dafür gefunden, nutzte alle bestehenden Möglichkeiten und setzte die Mission um.

Barbara Distel nahm mich unter ihre Fittiche. Ich zählte zu den festen Teilnehmer*innen der wöchentlichen Dienstbesprechungen in der Gedenkstätte und wurde regelmäßig zum Mittagessen und einem damit verbundenem inhaltlichen Austausch eingeladen. Und schon nach kurzer Zeit ermächtigte mich Barbara Distel, bei Veranstaltungen und Tagungen im In- und Ausland als Vertreterin der KZ-Gedenkstätte Dachau aufzutreten.

Die immense Bedeutung dieser Förderung meiner Person war mir zu Beginn nicht klar; so richtig bewusst wurde es mir erst, als ich im Lauf des weiteren Berufslebens feststellte, dass es sich hier mitnichten um Selbstverständliches handelt. Barbara Distel, ihr Engagement und ihre vertrauensvolle (Nachwuchs-)Frauenförderpolitik sind mir immer ein Maßstab für eigenes Handeln geblieben.

Irgendwann lief die Finanzierung meiner Stelle aus, eine Folgefinanzierung für die volle Stelle konnte der Verein nicht akquirieren. So orientierte ich mich beruflich neu. Aber der Beschluss zur Errichtung einer Internationalen Jugendbegegnungsstätte in Dachau war auf höchster politischer Ebene gefasst – das inhaltliche Ziel damit erreicht. 1998 wurde das Haus eröffnet.

Frauen in Non-Profit-Organisationen (NPO) heute 

Daten und Fakten

Seit es den NPO-Sektor gibt, engagieren sich hier Frauen für die unterschiedlichsten Belange, zunehmend auch in Form von Erwerbstätigkeit. Auf die Frage, warum sie für eine NPO arbeite, antwortete eine Frauen-Führungskraft im Rahmen einer 2017 publizierten Studie: „Ich möchte was Sinnvolles tun, möchte mich einsetzen, möchte was für die Gesellschaft tun“. Beweggründe, die mir, angefangen bei der oben vorgestellten Barbara Distel, bei Frauen in NPOs immer wieder begegnen.

Insgesamt hat sich der NPO-Sektor in Deutschland zu einem bedeutenden Arbeitsfeld entwickelt, 2019 wurden hier 3,1 Millionen Erwerbstätige gezählt. Das waren 8% aller Beschäftigten, davon stellten Frauen rund 75%. Allgemein nähert sich die Erwerbstätigenquote von Frauen laut Aussage des Statistischen Bundesamtes vom März 2020 der Erwerbstätigenquote von Männern immer weiter an; insbesondere unter älteren Frauen bis 64 Jahren ist sie stark gestiegen. Dies entspricht auch meinem Erleben, sowohl im beruflichen wie im privaten Kontext. Viele Frauen arbeiten allerdings in Teilzeit, mit Folgen für die soziale Absicherung bei Arbeitslosigkeit und Rente: Während 2018 nur knapp 9% der Männer in Teilzeit beschäftigt waren, waren es Frauen zu 47%. Auch in NPOs arbeiten deutlich mehr Frauen als Männer in Teilzeit: 58% gegenüber 24% bei Männern (2019).

Bislang finden sich – leider – nur wenige Untersuchungen speziell zur Beschäftigtensituation von Frauen in NPOs. Noch unklar ist momentan außerdem, wie sich hier mittel- und langfristig die Pandemie 2020/21 auswirken wird. Untersuchungen zur allgemeinen Erwerbstätigkeit kommen jedenfalls zu dem Ergebnis, dass insbesondere Frauen von der Reduzierung des Erwerbseinkommens sowie der Übernahme der familiären Sorgearbeit betroffen sind: „Die Wirtschaftskrise infolge der Pandemie … (hat) Männer und Frauen unterschiedlich getroffen. Frauen arbeiten häufiger im Gesundheitswesen, in der unbezahlten Pflege und in der Hausarbeit, wodurch sie anfälliger für die Folgen der Pandemie sind.Auch sind Frauen oft die ersten, die ihren Job verlieren. Eine weitere, sehr unerfreuliche Folge der pandemiebedingten Lockdowns ist die massive Zunahme häuslicher Gewalt gegen Frauen und Kinder, auch die Zunahme der Schwere der Verletzungen. Inwiefern sich diese Gewaltverhältnisse auf die Erwerbstätigkeit von Frauen auswirken, bleibt noch zu untersuchen.

Strukturbesonderheiten von NPOs

NPOs sind im Vergleich zu Wirtschaftsunternehmen und Behörden vor allem aufgrund ihrer Strukturbesonderheiten für Frauen so attraktiv:

  • NPOs erfüllen mit ihrer Werte- und Normenorientierung in hohem Maße die Erwartungen von Frauen an eine sinnvolle und gesellschaftlich nützliche Arbeit.
  • NPOs sind oftmals partizipativ ausgerichtet, bieten flache Hierarchien und Arbeitsbereiche mit hoher Eigenverantwortlichkeit.
  • NPOs ermöglichen flexible Arbeitszeiten und bieten familienfreundliche Arbeitsbedingungen.

Laut Forschung ziehen NPOs Frauen und Männer an, die weniger an einer klassischen Karriere als an einer gesellschaftlich relevanten Tätigkeit und zudem an einer möglichst ausgewogenen Balance von Erwerbsarbeit und Privatleben interessiert sind. Die meisten – oftmals hochqualifizierten – Frauen sind außerdem mit ihrer Bezahlung zufrieden.

Erneut decken sich hier Forschung und mein eigenes Erleben. Ferner liegen meiner Erfahrung nach die Hemmschwellen für Entlassungen bei NPOs wesentlich höher als im Profitbereich, was ein zusätzliches attraktives Merkmal von NPOs bildet.

 

Frauen und NPO-Leitungsebenen

Der starke Anteil von Frauen in NPOs auf der Beschäftigtenebene spiegelt sich allerdings nicht auf der Leitungsebene: Die Vorstände sind mehrheitlich von Männern dominiert. Insbesondere auf den Führungsebenen großer, einflussreicher NPOs wie beispielsweise finanzstarker Stiftungen finden sich nur wenige Frauen. Als Faustregel lässt sich formulieren: Je größer, finanzkräftiger und älter eine Organisation ist, desto weniger Frauen bekleiden Spitzenpositionen. Die KZ-Gedenkstätte Dachau bildet in dieser Frage eine Ausnahme: Nicht nur übernahm schon im Zuge der Gründung 1965 eine Frau die Leitung, sondern wird die Leitung bis heute von einer Frau ausgeübt.

Doch wieso sind NPO-Leitungsebenen immer noch größtenteils von Männern dominiert? Hier formuliert die schon erwähnte Studie von 2017 folgende Erklärungen:

  • Leitung und Führung wird eher Männern zugetraut – auch etliche Frauen denken so.
  • Frauen verfügen über weniger Selbstbewusstsein als Männer und trauen sich deshalb Leitung weniger zu.
  • Außerdem rekrutieren sich die überwiegend männlich besetzten Leitungsgremien inkl. der Zuständigkeit für Personalauswahl zumeist aus ihresgleichen: „Thomas wählt Thomas“.
  • Die primäre Verantwortlichkeit für Kinder und Familie wird Frauen zugesprochen, wiederum auch von Frauen selbst.
  • Frauen sehen sich mit größeren Leistungsanforderungen konfrontiert als Männer.

Dies alles bildet den Grundstoff, aus dem die berühmt-berüchtigte „Gläserne Decke“ besteht, die zu durchdringen für Frauen so mühevoll ist.

Weitere Gründe sind laut Studie:

  • Die unattraktiven Arbeitszeiten für Leitungspersonen: Wichtige Gremiensitzungen insbesondere mit Ehrenamtlichen finden an Wochenenden oder abends zu später Stunde statt. Und nicht selten werden ständige Erreichbarkeit und unbezahlte Überstunden erwartet.
  • Frauen sind seltener als Männer bereit, die Risiken eines Sprungs in die Leitungsebene einzugehen, zumal, wenn damit das Einarbeiten in einen neuen Bereich und/ oder ein Wohnortwechsel verbunden sind.
  • Frauen sind mit dem Vorhandenen inkl. einer guten Arbeitsatmosphäre zufrieden und richten sich auf mittleren Positionen ein.

Eine NPO-Mitarbeiterin bringt diese Haltung folgendermaßen auf den Punkt: „Verantwortung, Stress, keine Freizeit, viel Koordinierungstätigkeit. Ich sehe das nicht besonders positiv und mich in Zukunft auch nicht in einer Führungsposition.“

So bleibt als Frage, wie sich diese aus meiner Sicht mindestens unbefriedigende Situation perspektivisch ändern lässt.

Handlungsempfehlungen

Die Autor*innen der Studie formulierten hierfür Handlungsempfehlungen. Diese reichen von der Einführung einer gesetzlichen Quote für Leitungsebenen über interne Netzwerkbildung bis hin zum Aufbau von Mentoring-Angeboten für berufliche Einsteiger*innen. Wenn ich an meinen eigenen beruflichen Werdegang und an mir bekannte Frauen denke, die in NPOs Leitungspositionen bzw. Stabstellen erlangten, dann fallen mir folgende ergänzende Punkte ein:

  • In Partnerschaften eine Aufteilung praktizieren, die den Beteiligten gleichermaßen Karrierewege ermöglicht. Sich außerdem durch Unterstützungssysteme bis hin zu professionellen Dienstleister*innen entlasten.
  • Als Frau in sich selber investieren z. B. in Form von Coaching oder kollegialer Beratung – das stärkt das Selbstbewusstsein und die eigene strategische Denkfähigkeit.
  • Frauenförderung durch konkretes Handeln praktizieren, auch ohne dass dafür in der Organisation ein explizites Programm besteht.

Unter ökonomischen Gesichtspunkten sollten sich Frauen meines Erachtens zudem genau überlegen, ob die eigene mittel- und langfristige soziale Absicherung wirklich über einen männlichen Partner geplant werden sollte (was vielleicht auch den männlichen Partner überfordert bzw. unter unguten Druck setzt). Diese Reflexion schließt das noch geltende Ehegattensplitting ein – verheiratete Frauen können es ablehnen und gemeinsam mit dem Partner ein ökonomisch gleichberechtigtes Modell praktizieren. Zudem betrifft es die Entscheidungen zur Teilzeitarbeit: Wenn Teilzeitarbeit, dann wie lange und in welchem Umfang mit jeweils welchen langfristigen Konsequenzen für wen? Hinzu kommt, dass – leider – Teilzeitkräfte oft geringere Chancen auf Leitungspositionen besitzen.

Doch insgesamt, unter Berücksichtigung aller genannten Faktoren, ist aus meiner Sicht festzuhalten: NPOs bieten Frauen interessante, sinnstiftende, sich in mehrfacher Hinsicht lohnende Arbeitsfelder und Arbeitsbedingungen – ich jedenfalls bin dem Bereich treu geblieben. Und wenn viele Frauen es wollen, davon bin ich zutiefst überzeugt, lassen sich die NPOs weiter im Sinne von Gendergerechtigkeit und Diversity ausgestalten.

Weiterführende Links, Studien, Literatur

Inwiefern hier von einer „Retraditionalisierung“ gesprochen werden kann, ist nicht ganz eindeutig. Vgl. Kohlrausch, B./ Zucco, A.: Was bedeutet die Corona-Pandemie für die Gleichstellung zwischen Mann und Frau? 24.11.2020. https://www.wsi.de/de/blog-17857-was-bedeutet-die-corona-pandemie-fur-die-gleichstellung-zwischen-mann-und-frau-28569.htm.

Vgl. außerdem dies.: Die Corona-Krise trifft Frauen doppelt. Weniger Erwerbsarbeit und mehr Sorgearbeit. WSI – Wirtschafts- und Sozialwissenschaftliches Institut der Hans-Böckler-Stiftung: POLICY BRIEF Nr. 40, 05/2020. https://www.wsi.de/de/faust-detail.htm?sync_id=8906.

Vgl. außerdem: Pressemitteilung: Neue Ergebnisse der Böckler-Erwerbspersonenbefragung: Corona und Arbeitszeit: Lücke zwischen den Geschlechtern bleibt – Frauen erhalten seltener Aufstockung bei Kurzarbeit. 29.12.2020. https://www.wsi.de/de/pressemitteilungen-15991-corona-und-arbeitszeit-lucke-zwischen-den-geschlechtern-bleibt-29563.htm.

 

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