Das SOCIUS Pitchdeck in der Praxis

Das SOCIUS Pitchdeck in der Praxis

Laborbericht vom 21. März 2024

Wie entsteht kollektive Handlungsenergie?

Alignment ist eine delikate Angelegenheit. Der Korridor, in dem sich die gemeinsame Ausrichtung eines Teams abspielt, kann weiter oder enger gefasst sein. Wenn er zu eng wird, wird der Anspruch an verbindliche Gemeinsamkeit zum Korsett. Wenn er sehr weit ist, droht Beliebigkeit und Zerfall. Alignment bezeichnet dabei nicht unbedingt nur das Teilen von Werten und Zielen.  Es ist vor allem die Synchronisation von Handlungsenergie. Wie diese entsteht und was es braucht, um sie immer wieder herzustellen, ist für gelingende Selbstorganisation eine entscheidende Frage. 

Im Labor widmten wir uns unter anderem der Frage, welche Rollen in diesem diffizilen Spiel der Synchronisierungen von Handlungsenergie, kollektiver Navigation und Prozesskontinuität zu vergeben sind. Neben der Impulsgeber:in (showing up) erscheinen uns in selbstorganisierten Teams die persönliche Fähigkeit zwischen Führen und Folgen zu navigieren sowie die Möglichkeit beiseite zu treten und auch bei nicht 100% Überzeugung für das Vorhaben, den Weg frei zu machen, wesentlich. Hier ist Selbstnavigation in Hinblick auf innere Widerstände und Spannungen und ein reflektierter Umgang damit gefragt. Was nicht zuletzt auch dazu führen kann, einen schwerwiegenden Einwand zu formulieren und damit ein “Stopp”-Zeichen für das Vorhaben zu setzen. 

Im Labor gehen wir ihr in einer Fall-Simulation nach, unterstützt  mit dem von uns entwickelten Alignment Pitch Deck. Die Progression hat drei Runden: 1. Einbringen eines Impulses. 2. Austausch zur Bewertung des Vorhabens. 3. individuelle Commitments.

Einbringen von Impulsen 

Selbstorganisierte Teams leben von rollenbasierter Verantwortungsübernahme, aber auch von Momenten situativer Führung. Eine Person hat einen Impuls, legt ihn in die Mitte und andere schließen sich an, lassen das Vorhaben gewähren oder stellen sich dagegen. Dabei ist schon der Moment des Einbringens oft unklar. Ist es eine wilde Idee oder ein konkretes Vorhaben? Ist es eine Einladung zum Mitdenken, zum Mittun oder nur die Information über einen rollenden Zug? 

Das Pitchdeck gibt der impulsgebenden Person hierfür drei mögliche Optionen vor: Die „Greenlight”-Karte drückt den Wunsch nach schlichter Einwilligung aus, dass das Vorhaben durchgeführt werden kann. Aufschlussreich kann hier eine Reflexion sein, um welche knappe Ressource dabei verhandelt wird, die die Einwilligung der Anderen überhaupt erst erforderlich macht. Es könnte um Raum- und Budgetnutzung oder auch die Inanspruchnahme von Zeit, Aufmerksamkeit und Sichtbarkeit gehen. 

Die zweite Alternative ist die „Einladungs”-Karte – ein Pitch, der die Tür zum gemeinsamen Handeln öffnet, ohne dass die Erwartung besteht, dass alle sich dem Impuls anschließen. Als dritte Option kann die „Appell“-Karte gespielt werden, mit der eine Aufforderung an das gesamte Team ausgesprochen wird, um sich einer Handlung anzuschließen. 

In einer anschließenden Informations- und Meinungsbildenden Runde können Fragen/ Meinungen geäußert werden. Dabei kann deutlich werden, dass es nicht immer hinreichend ist, dass die Einsortierung des Impulses ausschließlich durch die impulsgebende Person selbst erfolgt. Manches wird als Greenlight eingebracht, aber es bestehen Interessen und Ansprüche im Team zur aktiven Mitwirkung. Andersherum kann ein verbindlicher Appell auch zu einer Einladung heruntergestuft werden, wenn die Prämisse „alle oder keine:r“ stichhaltig hinterfragt wird.

Austausch zur Bewertung

In der zweiten Runde erfolgt eine Bewertung des Vorhabens anhand von zwei Sets von Feedback-Karten: Die strategische Bewertung gibt Rückmeldung zur Einschätzung des Potentials für das Team oder die Organisation im Ganzen – im Sinne einer Aufwands- und Ertragseinschätzung. Die persönliche Bewertung gibt Rückmeldung zum individuellen „Lustfaktor“ und zur Kapazität, die eine Mitwirkung ermöglicht oder verhindert. Die Karten werden in Runden ausgespielt und erläutert. Auf Grundlage dieser Rückmeldungen kann die impulsgebende Person ihren Vorschlag zurückziehen, modifizieren oder in die dritte Runde schicken.

Individuelle Commitments

Die dritte Runde besiegelt mit den Commitment-Karten das vorgestellte Vorhaben. Die Teammitglieder können sich dabei  wiederum zwischen drei Karten entscheiden:
A) Ich bin dabei und mache im Rahmen meiner Möglichkeiten mit. B) Ich gebe mein Einverständnis, dass das Vorhaben durchgeführt wird, aber ich bin nicht dabei (entweder weil ich keine Kapazitäten habe oder weil ich der Sache nicht im Wege stehen will, obwohl ich nicht 100% überzeugt bin. C) Ich habe einen schwerwiegenden Einwand und spreche mich dafür aus, dass das Vorhaben nicht umgesetzt wird.

Dass die Aushandlung von Impulsen auch mit dem Pitch Deck nicht reibungslos und schmerzfrei vonstatten geht, wird auch im Labor schnell klar. Deutlich wird aber auch, dass die Formatierung durch das Kartenset Klarheit und Transparenz schaffen kann, die den Prozess beschleunigt und im Kommunikationsverlauf Komplexität reduziert. 

Das Labor bringt noch eine weitere Erkenntnis: This is primal stuff. Die Annäherung an Alignment-Ability ist nicht allein Sache der Grosshirnrinde. Die Momente, in denen physisch erlebbar wird, dass eine gemeinsame Welle entsteht oder der Fluss blockiert ist, in denen eine eigene Positionierung eine emotionale Komponente hat – sei es in Körperübungen oder im achtsamen Wahrnehmen einer Auseinandersetzung – sind so mächtig und wesentlich, dass ein Training wie die Sieben Muskeln der Selbstorganisation auch hier nicht an der Verneigung vor dem somatischen Zugang zu kollektiver Entwicklung vorbeikommt.

Die Autor:innen

Andi Knoth

Lysan Escher

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Entspannt unter Spannung

Entspannt unter Spannung

Laborbericht: Selbstnavigation in rauen Gewässern, 23. Januar 2024

Spannung ist ein schillernder Begriff: auf der hellen Seite die spannende Geschichte, das gespannte Hinleben auf ein schönes Ereignis, die knisternde Spannung des Flirts mit der Welt… auf der dunkleren Seite die (Ver)Spannung bei Stress, die (An)Spannung bei Gefahr, die spannungsgeladene Stimmung vor dem Ausbrechen eines Konflikts. Spannung ist dabei vor allem eins: Energie. Ein System und ein Organismus ohne Spannungen ist tot

Im Kontext von Selbstorganisation wird Spannung oft als Veränderungskraft beschrieben, die sich aus der Lücke zwischen dem, was wir wahrnehmen und dem, was wir als Potential empfinden, speist. Die Bearbeitung von Spannungen ist in dieser Hinsicht ein notwendiger Akt von Entwicklung.

So richtig wohlig – das wird auch im Sieben Muskeln Labor deutlich – ist es uns in der Regel nicht, wenn Spannungen den Raum aufladen. Denn in jeder Spannung liegt auch Unsicherheit, und mit ihr die Wahrnehmung von Gefahr, die automatisierte Reaktionen wie Flucht, Kampf oder Erstarrung hervorruft. Wir können diese Unsicherheit nicht ausschalten, aber wir können lernen, das Unbehagen ihr gegenüber abzubauen. Und wir können trainieren, unsere automatischen Reaktionen unter Spannung durch bewusste Handlungen zu ersetzen. Das erfordert drei Schritte:

Wahrnehmen

Zunächst geht es darum, meine emotionalen und körperlichen Signale wahrzunehmen (Werde ich irgendwo eng? Geht mein Puls hoch? Fließt mein Atem noch? Schlägt mir etwas auf den Magen?). Wenn ich diese Signale frühzeitig aufnehme, habe ich die Chance, meinen Autopiloten zu unterbrechen – also nicht automatisch in eine Abwehr- oder Kampfhaltung zu gehen, sondern mich der Spannung neugierig hinzuwenden. Die Stärkung der Wahrnehmung innerer Signale funktioniert über Praktiken der Achtsamkeit – im Labor nutzen wir hierfür einen Bodyscan und eine somatische Übung zum „Auftauen“ erstarrter Haltungen.

Explorieren

Auf die Hinwendung folgt die Exploration. Um mit einer Spannung produktiv umzugehen, muss ich verstehen, wo sie herkommt, und was sie mir erzählt. Denkbar ist etwa, dass sie 

    • in mir durch widersprüchliche Ansprüche oder Impulse entsteht, die von aussen angestoßen werden, aber vor allem innen aufzulösen sind; 
    • in einer Beziehungskonstellation angelegt ist, in der Bedürfnisse oder Rollenanforderungen im Konflikt zueinander stehen, oder 
    • aus dem Feld kommt, etwa in Form struktureller Spannungen, die ich wahrnehme, die aber letztlich ihren Ursprung im System haben. 

Beitragen

Die Bewusstheit über die Natur der Spannung ermöglicht es mir, geklärt mit ihr umzugehen und effektiv zu ihrer Bearbeitung im Innen oder Aussen beizutragen. Wenn die Spannung primär in meinen inneren Widersprüchen liegt, können Coachingmethoden wie das Tetralemma oder Immunity to Change unterstützen. Wenn sie in einer Beziehungskonstellation verankert ist, sind Praktiken wie rollenbasiertes Tension Processing oder GFK hilfreich. Bei einer Spannungs-Übertragung aus dem Feld, muss ich mich entscheiden, ob ich mich der Spannung entziehe, oder meine Resonanz nutze, um ihre Ursachen im System zu bearbeiten.

Viele Menschen neigen dazu, innere Anspruchskonflikte nach außen zu projizieren und Feldspannungen als eigene Konflikte zu verinnerlichen. Die saubere Sortierung fällt dabei leichter, wenn ich zu diesen Deutungen mit Dritten in reflexiven Austausch gehen kann.

Der Dreischritt lässt sich als Grundlage gelingender Selbstnavigation verallgemeinern: Was spüre ich? Was bedeutet das? Was mache ich damit? In der Navigation rauer Gewässer (die oft schnelle und beherzte Reaktionen erfordert), ist er dabei besonders relevant und besonders herausfordernd. Das Einüben der Progression – so das Fazit des Labors –  ist ein Akt, der sich nicht im Rahmen eines Trainings, sondern über eine längere Zeit im achtsamen und reflektierten Alltagshandeln vollzieht.

Die Sieben Muskeln der Selbstorganisation (7M)

bilden die Eckpunkte eines Trainingskonzeptes zur Stärkung individueller Fähigkeiten und Haltungen für die Arbeit in selbstorganisierten Teams. Im Januar Labor wurden die beiden Muskeln Selbstnavigation und Souveränität im Umgang mit Spannungen beleuchtet. Im kommenden 7M labor geht es um die Handlungsfähigkeit in Komplexität und um Alignment Ability.

Autor Andi Knoth

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Zukunft gestalten – Ansätze zur Realisierung von Utopien

Zukunft gestalten – Ansätze zur Realisierung von Utopien

Utopien sind en vogue. In letzter Zeit kommen immer mehr Utopie-Erzählungen auf den Büchermarkt. In den Medien spielen Utopien eine bedeutsamere Rolle und werden von Personen wie Richard David Precht, Maja Göpel oder Harald Welzer der breiten Öffentlichkeit schmackhaft gemacht. Das ist nicht verwunderlich, da wir einerseits die multiplen Krisen immer mehr zu spüren bekommen und viele Dinge auf den Prüfstand stellen, und andererseits ein erzählerisches Vakuum existiert, wie sich unsere Gesellschaft weiterentwickeln könnte. Worauf wollen wir uns als Gesellschaft zubewegen? Utopien helfen, darauf Antworten zu finden.

Das SOCIUS labor zur Thematik lud dazu ein, sowohl eine eigene gesellschaftliche Utopie zu entwerfen, als auch einen ersten konkreten Schritt in Richtung ihrer Realisierung zu machen. Stella Schaller, Mitbegründerin von Reinventing Society – Zentrum für Realutopien führte gemeinsam mit Simon Mohn, Organisationsentwickler bei SOCIUS und ebenso Mitbegründer von Reinventing Society durch diesen experimentellen Raum.

Upstating – utopisch Denken hat Voraussetzungen

Kann jede:r einfach eine Utopie entwerfen? Ja, doch es braucht eine gewissen inneren Zustand oder „State“. Sind unsere Köpfe voll oder unser Körper unangenehm angespannt, funktioniert das Entwerfen von Utopien erfahrungsgemäß nicht. Es kann sogar als Kränkung wahrgenommen werden, wenn das Phantasieren über utopische, großartige Welten und Lösungen zu sehr von der derzeitigen inneren Verfassung abweicht.

Im Labor bedienten wir uns einer vereinfachenden Skala des inneren Zustands, die visualisiert, dass wir uns möglicherweise zunächst “hochschrauben” müssen, um überhaupt Utopien entwerfen zu können (Zustand „State“ erhöhen = upstating). Schlussendlich versucht das Werkzeug in Situationen des Alltags zu ermöglichen, dass wir uns aus eigener Kraft von einem unangenehmen Seins-Zustand in einen angenehmeren verhelfen können.

Was ist deine Utopie? – Thomas Morus lässt grüßen

Zu Beginn des 16. Jahrhunderts entwarf Thomas Morus, englischer Staatsbürger und Lordkanzler einen fiktiven Inselstaat „Utopia“ als Gegenentwurf zum damaligen englischen Staatssystem. Damit begründete er mitunter die utopische Erzählung als literarische Gattung und inspiriert seit 500 Jahren Menschen, Visionen einer für sie schöneren Welt zu beschreiben. So sehr das Konzept der Utopie auch im letzten Jahrhundert von links und rechts missbraucht wurde, erlebt es gerade eine Renaissance, um Gesellschaftsentwürfe zu verbreiten, die nach einer geglückten sozial-ökologischen Wende angesiedelt sind.

Eigener Gesellschaftsentwurf mit Methode

Entlang der neu entwickelten Methode „Mikroversum“ experimentierten wir mit dem Entwerfen von Utopien durch die Teilnehmenden. Ausgangspunkt für die Utopien waren Werte und Wirkungshebel für eine bessere Welt der jeweiligen Organisationen, die durch die Teilnehmenden vertreten wurden. Die Methode ermöglicht, sowohl individuelle als auch organisationale Utopien zu erstellen.

Ausgehend von individuell handlungsleitenden Prinzipien begaben sich alle Teilnehmenden in einen kreativen Prozess. Angelehnt an Morus‘ Insel,erarbeiteten sie Stück für Stück Facetten einer etwas abseits gelegenen Insel, auf der Menschen sich um diese Prinzipien herum eine Realutopie aufgebaut haben. Fragen nach Festen, Ritualen, Mobilität, politischer Willensbildung, Wohnformen, Versorgung, Bildung usw. leiteten durch einen Prozess, aus dem die Beschreibung einer kleinen gesellschaftlichen Utopie resultierte – ein Mikroversum. Somit hatten wir in kurzer Zeit über 10 Utopieentwürfe hervorgebracht.

Utopie auf mehreren Ebenen

Utopien zu entwerfen hat das große Potential, Menschen vor Augen zu führen, in welcher Welt sie eigentlich leben möchten und so zu gesellschaftspolitischem Engagement und Verantwortungsübernahme zu inspirieren. Dafür entscheidend ist die eigene Verortung im „Nicht-Ort“, die sinngemäße Bedeutung von Utopie. Das gilt sowohl individuell als auch organisational. Wenn die Welt so ist, wie wir sie uns wünschen würden – welchen Aktivitäten würden wir nachgehen? Welchen Aktivitäten würde unsere Organisation nachgehen, wenn sie ihr gesellschaftliches Ziel womöglich schon realisiert hätte?

Genauso stellt sich aber auch die Frage, wie wir dorthin gelangen. Der Weg in die Utopie kann zunächst unklar und unrealistisch erscheinen, er braucht Wegweiser. Entsprechend gibt es zwei entscheidende Bausteine, damit die Utopie nicht nur ein Luftschloss bleibt, sondern tatsächlich handlungsleitend wird. Das ist einerseits Ebenenkongruenz, andererseits Pfadkongruenz

Ebenenkongruenz

Bleibt eine Utopie auf der gesellschaftlichen Ebene und beschreibt ausschließlich die Verfasstheit einer optimalen Gesellschaft aus der jeweiligen Betrachter:innenperspektive, verschenkt sie wertvolles Potential. Um mit ihr zu arbeiten, müssen sich Organisationen die Fragen stellen „Wie würden wir in dieser Utopie arbeiten? Wie sähe es aus, wenn wir diese Utopie in unserem Innern bereits umsetzen würden?“ Genauso betrifft das auch die individuelle Ebene: „Wer wäre ich in dieser Utopie? Wie sähe es aus, wenn ich sie jetzt schon leben würde?“ Diese Übersetzungsleistung schafft Kongruenz zwischen den drei Ebenen und dadurch ein umso effektiveres Handeln.

Durch den Fokus auf die eigene Rolle werden plötzlich Lösungen zum Beitrag zu einer solchen Gesellschaft sichtbar. So können Individuen und Organisationen sich ausrichten und ihren Teil zur Lösung heutiger Herausforderungen umsetzen und selbst zu kraftvollen Impulsgeber:innen werden. Die Wirksamkeit, bereits in der Gegenwart die Lösung gesellschaftlicher Probleme zu sein, ist nicht zu unterschätzen.

Pfadkongruenz

In der Musik heißt es zuweilen, dass in der Ouvertüre – der Eröffnung – schon das gesamte Stück im Kern enthalten und zu erahnen ist. Ähnlich lässt sich diese Aussage für den Weg in die Realutopie treffen. Der Weg in die Realutopie bedarf selbst Mitteln, die in sich die Logik der angestrebten Utopie bergen. Das heißt, dass die Wahl der Methoden und Instrumente für den Pfad der eigenen Veränderung kongruent mit der eigenen Utopievorstellung sein sollte. Wir müssen uns also die Frage stellen: “Passen die gewählten Mittel zur angestrebten Utopie und bergen in sich bereits deren Prinzipien?”

Von der Utopie zur Realutopie

Eine der mit am häufigsten gestellten Fragen bei der Arbeit mit Utopien ist: „Und was mache ich jetzt mit der Utopie? Wie komme ich dahin?“ Der Entwurf einer Utopie markiert einen Anfang, die Gewahrwerdung dessen, in welcher Welt wir leben möchten. Der tatsächliche Weg beginnt erst. Um im Labor sofort ins Handeln zu kommen, experimentierten wir mit utopischem Prototyping. Diese aus Otto Scharmers Theorie U inspirierte und abgewandelte Methode zum Erstellen eines Prototypen der beschriebenen Utopie, bringt diese in eine erste Form und Umsetzung.

Utopisches Prototyping

Beim Prototyping ist es entscheidend, sofort in die Umsetzung zu kommen und erste Ergebnisse zu produzieren. Nicht lange überlegen – machen! Bereichert von der eigenen Utopie, überlegten die Teilnehmenden sich einen Prototypen, der daraus etwas Handfestes machte. Das konnte beispielsweise ein eigener Blogbeitrag sein, ein Podcast, ein neues Meeting(-format) im Team, ein neues Produkt der Organisation, ein Beteiligungsprozess, ein Beet in der Straße, eine Vereinfachung einer Regelung bei der Arbeit und und und.

Nach einer kurzen Zeit hatten die Teilnehmenden Skizzen, Grafiken und sogar einen Entwurf aus LEGO®-Steinen erstellt. In Breakout-Rooms wurden die Prototypen anschließend einander vorgestellt. Anhand einiger Leitfragen wurden die Entwürfe auf den Utopiegehalt überprüft, mit Ideen zur Umsetzung angereichert und auf Ebenenkongruenz getestet. So hielten die Teilnehmenden am Ende des Labors nicht nur eine eigene Utopie, sondern auch einen ersten Prototypen derselben in der Hand.

Mit utopischem Mindset in die Veränderung

Ein Prototyp ist ein erster kleiner Schritt und das Labor endete an dieser Stelle. Doch um im weiteren Verlauf konkreter Veränderungen auf Kurs zu bleiben und neue utopische Wege zu entdecken, ist es entscheidend, sich ein utopisches Mindset zu erarbeiten. Das bedeutet:

  • Upstating einüben: in den Momenten, in denen der eigene innere Zustand sich unangenehm anfühlt, sich zunächst um sich selbst zu kümmern, statt sich auf die nächste Aufgabe zu stürzen.
  • Potentiale sehen lernen: bewusst die utopische Brille aufsetzen und sich zu all dem, was uns im Alltag begegnet die Frage stellen “was ist das höchste Potential davon?” und so das utopische Denken kultivieren.
  • Experimentieren: wer überall Potentiale sieht, hat auch viele Ideen zu kleinen Verbesserungsschritten. Die Utopie wird spürbarer, wenn wir beginnen, unsere Ideen auszuprobieren und uns der Veränderung des Status quo spielerisch nähern.
  • Inspirieren lassen: die Welt ist schon voller Ansätze und Lösungen, die mit nächst besseren Logiken aufwarten. Wenn wir uns umfassender mit progressiven Lösungen beschäftigen, kommen wir in einen inspirierten Zustand und tragen die Lösungen unweigerlich auch in unsere eigenen Kontexte.

Die Utopie am Horizont

Der Weg zur Realutopie ist maximal transformierend. Er beinhaltet nicht nur die Hinbewegung zu einem schöneren Äußeren, sondern die profunde Wandlung des Inneren, sowohl individuell auch auch organisational. Dafür ist die kontinuierliche Rückbesinnung auf und Weiterentwicklung des Utopienarrativs entscheidend. Solch ein Wandel braucht Besonnenheit, Pioniergeist und Geduld. Dafür verspricht er eines: Freude bei der Transformation und am Ergebnis. Utopien haben mitunter die stärkste positive Veränderungskraft, die Hinbewegung auf einen neuen Zustand zu stützen. Wir stehen vermutlich erst am Anfang, das Potential von Utopien zu begreifen.

Quellenangaben Grafiken und Bilder

KÖLN UTOPIA 2048, BY AERROSCAPE, CREATIVE COMMONS LIZENZ: CC BY-NC-SA

Isola di Utopia Moro, Marcok at it.wikipedia, Public domain, via Wikimedia Commons

Sir Thomas More, Hans Holbein, Public domain, via Wikimedia Commons

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Umfrage: Welche Themen für das SOCIUS labor und die SOCIUS Seminare wünscht Ihr euch?

Umfrage: Welche Themen für das SOCIUS labor und die SOCIUS Seminare wünscht Ihr euch?

SOCIUS bietet seit langer Zeit Fortbildungen, Seminare, Werkstattzyklen, Trainings an – von Fundraising über Projektmanagement, Monitoring & Evaluation hinzu Organisationsentwicklung war in den letzten Jahren alles dabei. Für Führungskräfte und Mitarbeitende von NGOs, genauso wie für Kolleg*innen, die beraten wollen oder alle anderen. die an dem ein oder anderen Thema interessiert sind. Das kontinuierlichste Angebot ist dabei „gOe! – gemeinnützige Organisationen entwickeln“: ein Werkstattzyklus, den es jetzt ca. 18 Jahre lang gibt und den wir seit einigen Jahren sogar zwei Mal im Jahr anbieten, einmal in Berlin mit Joana Ebbinghaus und Christian Baier (nächster Start im März 2021) und einmal in Stolzenhagen (an der Oder) mit Nicola Kriesel und Andreas Knoth (nächster Start im April 2021). Ursprünglich waren es drei mal drei Tage, die Einblicke in die Veränderung von Organisationen gewährten. Über die Jahre kam auch auf Grund von Rückmeldungen durch Teilnehmende ein zehnter Tag dazu, so dass die nötige Integration des Gelernten auch Platz in der Werkstatt finden konnte. Nun haben wir dieses Jahr noch mal erhöht, auf insgesamt 12 Tage Werkstattzyklus. In Berlin wird ein viertes Modul sowie die Integration eines Praxisprojektes hinzukommen. In Stolzenhagen wird die Dichte der Inhalte etwas aufgelöst und neue Aspekte in die Arbeit hinzugefügt.

Seit 2015 bieten wir das SOCIUS labor mit anschließender lounge an –  bereits über 40 mal hat das SOCIUS labor an einem Donnerstagnachmittag seine Türen geöffnet und wir haben gemeinsam mit Gästen und Teilnehmenden vier Stunden lang an den Rändern der Organisationsentwicklung experimentiert und geforscht. Seit Mitte 2019 haben wir uns angewöhnt SOCIUS labor Berichte auf unserem Blog zu veröffentlichen. Die SOCIUS labore für das erste Quartal 2021 sind bereits geplant und finden alle definitiv online statt. Für die Zeit danach sind wir offen für Anregungen und Wünsche Eurerseits.

  • Erinnert Ihr Euch an ein SOCIUS labor, das Ihr gerne noch einmal besuchen würdet?
  • Oder an eins das Ihr verpasst habt, und Euch deswegen eine Wiederholung wünscht?
  • Habt Ihr Ideen, mit denen Ihr vielleicht selbst mal im SOCIUS labor experimentieren wollt?
  • Oder interessiert Ihr Euch für ein Thema von dem Ihr Euch wünscht, dass wir es mal aufgreifen?

Dazu haben wir diese Umfrage erstellt. Wir freuen uns wenn Ihr uns Feedback gebt.

Und nicht nur einmal ist aus dem Experimentieren im SOCIUS labor ein SOCIUS Seminar oder auch ein ganzer Werkstattzyklus geworden. Und auch hier hätten wir gerne Eure Meinung und Rückmeldung

  • von was wünscht Ihr Euch eine Wiederauflage?
  • Welches Thema fehlt Eurer Ansicht nach in unserem Portfolio?

SOCIUS Seminare (zwischen einem und vier Tagen lang), dienen vorrangig der Wissensvermittlung, Themen in den letzten 3 Jahren waren unter anderem:

Wir würden uns freuen, wenn Ihr mit uns in Austausch kommt zu unserem Angebot und das was Euch besonders anspricht.

Wir haben hier einen kleine Umfrage vorbereitet, die nur 3 Minuten Eurer Zeit braucht, uns aber sehr weiterhilft!

Wir danken Euch sehr für Euer Mittun.

Euer SOCIUS Team – Christian Baier, Joana Ebbinghaus, Kerstin Engelhardt, Julia Hoffmann, Simon Mohn, Andreas Knoth, Nicola Kriesel, Denise Nörenberg, Ralph Piotrowski und Rudi Piwko

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SOCIUS labor Bericht: Liberating Structures

SOCIUS labor Bericht: Liberating Structures

Liberating Structures – die Wortkombination von „Strukturierung“ und „Befreiung“ ist schon eine kleine Zumutung, aber eine schöne: Strukturen sind ja nur dann Gefängnisse, wenn sie Entfaltung verhindern. Wo sie sie ermöglichen, können sie im doppelten Sinne befreiend wirken – befreiend von der Stagnation überregulierten Formgeschehens und vom Dschungel unterregulierter Gruppendynamik. Und doch gelingt dieses Spagat so oft nicht – was ist das Geheimnis? Willkommen in der Welt der „Wicked Questions“, der Nr. 1 im Menü der Liberating Strcutures.

Britta Loschke ist für SOCIUS durch langjährige Zusammenarbeit und gemeinsame Geschichte ein Very Special Guest. Sie ist im besten Sinne ein Strukturfreak (muss man sein, wenn man mit Großgruppen beteiligungsorientiert arbeiten will). Damit knüpft dieses Labor auch an unseren langjährigen „Battle“ an über die Frage, wieviel Struktur und wieviel Emergenz Prozesse vertragen.

Der Einstieg zum Labor bildet das „Impromptu Networking“: wechselnde 4-minütige Zufalls-Begegnungen zu den Fragen „Was erhoffst Du Dir von diesem Labor? Und was bringst Du in ein?“. Und wie dieser Austausch einen kompakt-intensiven ersten Kontakt unter den 15 Labor-Teilnehmenden ermöglicht, geht es im Programm auch weiter: Die Gruppenerfahrung und das gemeinsame Interesse an Beteiligungsprozessen bilden dabei immer die Plattform, über die Methoden miteinander in Austausch zu kommen.

Was macht die Liberating Structures aus?

Die Structures (auch liebevoll „LS“ genannt) sind ein Repertoire von sogenannten „Mikro-Strukturen“, Abläufen zur Gestaltung von Gruppenprozessen und Workshops. Die erste Sammlung wurde von Keith McCandless und Henri Lipmanovicz vom Plexus Institute zusammengestellt. Sie umfasst bisher 33 Methoden – einige alt-bekannt (etwa der Open Space oder die Appreciative Inquiry Interviews), andere neu erdacht und pointiert aufbereitet. Auch wenn der Modus und die Spielregeln der Weiterentwicklung in der LS Community nicht abschließend geklärt ist (übrigens mal ein hochinteressantes Thema für eine Forschungsarbeit), kommen neue Methoden laufend hinzu.

Gemein ist den Strukturen, dass sie zu jedem Zeitpunkt die größtmögliche Aktivierung der Gruppe unterstützen (Vorträge und lange Vorstellungsrunden gehören daher nicht zum Repertoire der Structures), und dass sie Vielfalt und Komplexität produktiv nutzen anstatt sie zu simplifizieren oder zu ignorieren. Die Haltungen dahinter sind in 10 Prinzipien niedergeschrieben, die als loses Manifest der Liberating Structures im Labor-Raum verteilt hängen – auch mit der Einladung dazu, Resonanz und Reibung mit einzelnen der Prinzipien zu erkunden.

 

Wie in jeder guten Methodensammlung sind die Structures anhand eines einheitlichen Rasters beschrieben: die Zeiteinteilung, die Verteilung von Teilhabe und Mitwirkung, die „Einladung“ (oder auch Spielanleitung), die Zusammensetzung der Gruppe(n) und die Anordnung des Raumes.

Arbeit mit Widersprüchen und beängstigenden Unsicherheiten

Nach einigen Einführungen zum Wesen und zu den Prinzipien der Liberating Structures geht es im Labor mit den „Wicked Questions“ weiter: Wir schreiben auf, was für uns wesentliche Wahrheiten und Prinzipien unserer Arbeit in und mit Gruppen sind und wo diese besonders miteinander in Reibung stehen. Die Wicked Question wird im Format notiert: „Wie kann es sein, dass … und gleichzeitig…“. Das von Britta als Beispiel eingeführte Spannungsfeld  „Struktur“ und „Emergenz“ lässt sich hier gut bearbeiten. In paarweisen Austauschen werden die Widersprüche geschärft und weiter herausgearbeitet. Es ist eine interessante Erfahrung, dem Reflex zu widerstehen, Widersprüche sofort aufzulösen und zu spüren, welche Kraft in der Spannung scheinbar unvereinbarer Prinzipien liegt. Die Timebox schließt sich auch hier wieder mit dem Ping des Klangstabs – ein kompakter Moment Reflexion und weiter. Auch das ist Struktur.

Als letzte Structure erkunden wir die „Tiny Demons“ – eine neuere LS Übung zur spielerischen Arbeit mit Befürchtungen. Die Übung hat drei Schritte:

  1. Zeichne auf einem Blatt in vier Quadranten je eine Krakellinie (oben rechts eine dynamische Linie, oben links eine geschlossene Figur, unten rechts ein eckiges Gebilde, unten rechts irgendwas). Ergänze die Formen jeweils zu einem Monster, indem Du Zähne, Haare, Flügel, Klauen dazu zeichnest.
  2. Mache auf der Rückseite eine Liste Deiner Befürchtungen in Bezug auf die zu bearbeitende Fragestellung – im Labor widmen wir uns der Frage: Was macht Dir Sorge in der Anwendung der Liberating Structures?
  3. Wähle die vier größten Befürchtungen aus. Welches Monster passt zu welcher deiner Befürchtungen? Gib den Dämonen einen Namen und stelle sie jemandem vor (hier lassen sich auch szenische Dialoge mit den Dämonen anschließen).

So ungewohnt die Übung beginnt, die Gespräche am Ende sind tief und leicht zugleich. Eine schöne, kreative Methode, die auch bei den Fortbildungs-Junkies unter den Labor-Besucher*innen noch den Nerv des Unbekannten trifft.

In der Abschlussbetrachtung schwingt Erfülltheit von den vielen intensiven Austauschen, inspirierte Nachdenklichkeit zum noch teilweise nebligen LS Überbau, Dankbarkeit für die praktischen und schnell anwendbaren Methodeneinblicke und Respekt für die integre und souveräne Begleitung von Britta durch diesen Ritt.

Und natürlich gibt es wie immer im Nachklang der Labore eine leckere Suppe von Denise und Drinks am Kamin.

weitere Infos

Die Liberating Structures findet man als Sammlung im Netz (https://www.liberatingstructures.de), als Buch (The Surprising Power of Liberating Structures: Simple Rules to Unleash A Culture of Innovation, 2014), als Kartenspiel und mittlerweile auch als kostenlose App.

Zum tieferen Einstieg in die Welt der Structures gibt es verschiedenste Möglichkeiten: Virtuell tauscht sich die globale LS Community auf Slack (http://bit.ly/libstrucslack) und in den Social Media Kanälen (#LiberatingStructures) aus. Wer mehr auf live Interaktion steht, finden auf https://www.liberatingstructures.de/community/ eine Übersicht über lokale und regionale LS Gruppen. Workshops zu den Liberating Structures werden in Deutschland u.a. vom Liberating Network (z.B. Berlin 19./20.3.) von Holisticon (Hamburg) und von der Facilitation Academy (Berlin) angeboten.

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SOCIUS labor Bericht: Lasst uns Zukunft spielen!

SOCIUS labor Bericht: Lasst uns Zukunft spielen!

Die ganze Welt spricht von Disruptionen. Dystopische Zukunftsbilder werden allenthalben gemalt und es gibt quasi niemanden mehr, der oder die nicht gewiss ist dass die Zukunft ungewiss ist.

Und dann kommt Christian Schoon – Zukunftsforscher bei der Stadt Köln. Ein gut gelaunter Geist aus einer kleinen Fakultät, der sich ganz professionell mit Zukunft befasst. Zusammen mit Josephine Ulrich, einer langjährigen Kollegin und Freundin von SOCIUS haben die beiden am 16. Januar 2020 das SOCIUS labor „Zukunftsforschung und Foresight – im Spannungsfeld zwischen Seriösität und Absurdität“ angeboten.

Die beiden haben sich in der Stadtteilarbeit in Berlin Neukölln kennengelernt und gemeinsam Projekte verwirklicht, bevor es den einen nach Köln und die andere nach Rostock zog. Den Raum den SOCIUS mit den Laboren stellt für gemeinsames Experimentieren und Forschen, haben die beiden an dem Nachmittag mit acht Teilnehmenden, genutzt um sich dem gemeinsamen Thema zu widmen und mit dem was ihnen aus anderen Kontexten schon vertraut ist, neue Erfahrungen in einem so genannten „Stranger Lab“ zu machen.

„There are known knowns; there are things we know we know. We also know there are known unknowns; that is to say we know there are some things we do not know. But there are also unknown unknowns – there are things we do not know we don’t know.“ (Donald Rumsfeld, 2002)

Weniger Vorhersage als Spekulation

Zunächst hat Christian Schoon uns einige Einblicke in seine Profession gegeben – wie erforscht man die Zukunft? Etwas was noch gar nicht da ist? Was gibt es daran heute schon zu verstehen?

Das Feld der Zukunftsforschung trennt sich von der Tradition der Vorhersage. Es geht davon aus, dass es immer mehrere Zukünfte gibt – eine plausible, eine wahrscheinliche, eine mögliche und eine wünschbare. Und in der Zukunftsforschung geht es darum ein Thema in die Zukunft zu spinnen. Als Angestellter der Stadt Köln hat Christian Schoon viel Erfahrung damit das vor allem in Verwaltungskontexten zu machen, sieht aber keine Schwierigkeiten die Prinzipien der „Spinnerei“ auf (Groß-)Organisationen zu übertragen.

Bevor er städtischer Zukunftsforscher wurde, arbeitete er bei „Future Impacts“, einer Beratungsfirma die „Foresight Consulting“ anbietet und der er immer noch verbunden ist. In diesem Rahmen haben er und seine Kolleg*innen u.a. auch das britische Militär beraten, bei einem Zukunftsprojekt.

Das Forschen bei Zukunftsforscher*innen gleicht eher einem spekulieren, experimentieren und gestalten, da der „Gegenstand“ der Erforschung ja noch nicht existent ist. Hier zu nutzen sie:

  • Gespräche mit Expert*innen
  • Gaming
  • Delphi-Befragungen
  • Szenariotechnik
  • Simulationen

Sie befinden sich dabei immer in dem Bewusstsein, das so genannte „wild cards“, wie zum Beispiel die Anschläge auf das Worldtrade Center am 11. September 2001 in New York, nicht vorhersehbar sind, und dass sie so genannte „weak signals“ auch manchmal übersehen können.

Serious Gaming

Serious Gaming eignet sich immer dann, wenn es um Strategie, Innovation, Planung und – Zukunftsdenke geht. Sein Ursprung liegt im „Wargaming“. Heute boomt es in der Wirtschaft und in öffentlichen Einrichtungen. Es fördert kreatives Denken, führt zu neuen Erkenntnissen, hebelt Denkverbote und Denkbarrieren aus, ermöglicht neue Perspektiven, erhöht die Teamzusammenarbeit und -verständigung und macht Spaß. Bekannt ist es vor allem durch Lego Serious Play oder die Scenario Exploration Systems der Europäischen Kommission.

Christian Schoon erzählt, dass in den Niederlanden, vor allem in Den Haag, der Bürgermeister regelmäßig mit seinen Mitarbeitenden spielt, sobald ein Problem, eine Herausforderung oder etwas Neues ansteht.

Und das machen wir jetzt auch. Die Idee ist ganz einfach: Von einem zufällig zusammengesetzten Zukunftsszenario aus wird die Frage gestellt: Was ist passiert? Wie kam es dazu?

Christian Schoon und Josephine Ulrich begleiten zwei Spielgruppen im von Future Impact entwickelten „Disruptions Game“. Wir spielen die Variante für die Verwaltung. Hier gibt es sechs verschiedene Perspektiven von denen wir aus die Zukunft denken können: Mitarbeitende, Führung, Organisationsform, Kommunikation, „Typen“ (Mentalität) und Führungsstil. Innerhalb dieser Perspektiven gibt es wiederum sechs verschiedene Aspekte. Außerdem gibt es fünf verschiedene Denkrichtungen: „Gibt es nicht mehr“, „wird weniger“, „wird mehr“, „verändert seinen Charakter“, „Joker“. Nun wird gewürfelt – ein Buchstaben und ein Zahlenwürfel verraten uns aus welcher Perspektive mit welchem Aspekt wir denken, der beherzte Zufallsgriff in den Kartenstapel gibt uns die Denkrichtung vor.

„Während der Zukunftsforscher an die heutige Realität anknüpfen muss, sein Zukunftsraum durch absehbare Trendentwicklungen, fest vorgegebene Faktoren (»Givens«) eingeschränkt wird und selbst Wild Cards nicht aus dem blauen Himmel fallen, sondern plausible Anknüpfungspunkte benötigen,“ schalten und walten Spieler frei in ihrer Welt. (Steinmüller, 2016)

Storytelling inklusive!

„B4 wird mehr“: B = Kommunikation/ 4 = Echtzeittools (Werkzeuge mit denen wir in unmittelbarer Interaktion sind, wie z.B. messenger wie Signal, Telegram, WhatsApp u.a.; Arbeitsplattformen wie trello, Slack, basecamp u.a.; shared docs an denen gleichzeitig gearbeitet werden kann) – wir sind in der Zukunft – was ist passiert dass es nun mehr Echtzeittools gibt? Die Person die gewürfelt hat, hat 3 Minuten Zeit auf dem Zettel ihr Szenario aufzuschreiben, während die anderen überlegen können, was ihnen dazu einfällt, was passiert sein könnte, dass es nun mehr Echtzeittools gibt. Diese werden dann alle im Anschluss miteinander geteilt. Nicht selten passiert es, dass wir uns gegenseitig zu phantastischen Assoziationen anstacheln und sehr nachvollziehbare Geschichten erzählen, wieso nun entweder alle nur noch Echtzeittools verwenden, Teilzeit das neue „normal“ ist, die Führungskraft ihren Charakter verändert hat, oder warum es zukünftig keine Netzwerk-Organisation mehr gibt.

Nachdem beide Spielgruppen diverse Szenarien für die Zukunft entwickelt hat und jedenfalls die eine Gruppe das auf Belohnung ausgelegte Chipssystem für „gute Szenarien“ mit einem Chips-Grundeinkommen fürs Mitspielen ersetzt hat, kamen wir alle wieder zusammen, berichteten kurz und wählten vier Szenarien aus, mit denen wir uns jeweils in Duos weiter befassten unter der Fragestellung: Was bedeutet dieses Szenario für die Führung? Welche Veränderungen werden damit einher gehen? Und welche Kompetenzen müssen Führungskräfte für dieses Szenario entwickeln?

Und was heißt das für die Zukunft?

Es trat jeweils ganz erstaunliches zu Tage und alle Beteiligten spürten die Kraft dieses Spieles für die Entwicklungen der Gegenwart in die Zukunft:

  • Wenn „Teilzeitbeschäftigung“ z.B. das zukünftig „normale“ ist, dann bedeutet das für Führungskräfte, dass sie Aufgaben und Verantwortungen teilen müssen. Die klassische Führungsrolle muss verlassen werden, Umsichtigkeit ist gefragt, die sich an Inhalten und menschlichen Bedarfen orientiert. Gleichzeitig braucht es mehr Absprachen und Koordnination, weil die gleiche Arbeit jetzt ja von mehr Menschen erledigt wird. Die Ansprüche an Verlässlichkeit und Verbindlichkeit steigen ebenso wie die an Selbstführung für alle.
  • Wenn mehr Echtzeittools genutzt werden, weil die „Digital Natives“ quasi ganz natürlich eben genauso kommunizieren, dann bedeutet das für Führungskräfte, dass sie dafür sorgen müssen, eine Balance zu schaffen zwischen der Möglichkeit ungestört zu arbeiten und schneller Interaktion. Außerdem müssen „Konventionen“ für die Nutzung der Tools im Rahmen des Datenschutzes nicht nur erarbeitet sondern auch durchgesetzt werden. Führungskräfte müssen hierfür Medienkompetent, Organisationskompetenz und emotionale Intelligenz bewusst entwickeln und einsetzen.

Alles in allem war es ein sehr inspirierender Nachmittag und die Teilnehmenden haben im Anschluss noch eine ganze Weile bei Suppe und guten Getränken miteinander über die Zukunft geplaudert und das Netzwerk erweitert.

Habt großen Dank, Christian und Josephine, für diese Erfahrung!

Sinnvoll zusammen wirken

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